So sehen Sieger aus. So nämlich wie Emmanuel Macron auf den Fotos vom G7-Gipfel in Biarritz. Zu jedem großen politischen Erfolg gehören auch immer begünstigende Zufälle. Für Macron waren das die Waldbrände in Brasilien. Sie erlaubten ihm die perfekte Selbstinszenierung.
Ein derartig erfolgreiches Treffen hatte im Vorfeld wohl niemand erwartet. Der französische Präsident hat nicht nur als Gastgeber großen Anteil am Zustandekommen einer wider Erwarten substantiellen gemeinsamen Abschluss-Erklärung: Die Aussicht auf eine internationale Mindestbesteuerung für große Digitalunternehmen, auf ein US-EU-Handelsabkommen ohne neue Zölle auf deutsche Autos und französischen Wein und schließlich sogar die zumindest sprachliche Entschärfung des drohenden Konflikts mit dem Iran. Man kann tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass es in Biarritz wider Erwarten gelungen ist, ein wenig vom verloren geglaubten Geist der Kooperation und grundsätzlichen Einigkeit der westlichen Industrienationen zurückzuzaubern.
Wie lange dieser Geist erhalten bleibt und ob etwas wirklich belastbares dabei herauskommt, ist eine andere Frage. G7-Abschlusserklärungen sind schließlich keine bindenden Verträge. Aber für Macron ist in jedem Fall alles perfekt gelaufen. Denn noch wichtiger als diplomatische Tatsachen dürften für ihn die Botschaften sein, die von diesem Gipfel bei seinem eigenen (Wahl-)Volk ankamen.
Umso raffinierter jetzt sein Clou: Er verkniff sich Angriffe auf Donald Trump (der hätte schließlich die Stimmung vor Ort versauen können) und suchte sich stattdessen ein anderes Schlachtfeld der Selbstinszenierung und einen anderen Bösewicht: den brennenden Urwald des Amazonas und Brasilien Präsidenten Jair Bolsonaro. Das hatte nicht nur den Vorteil, dass Bolsonaro im Gegensatz zu Trump nicht an Ort und Stelle dabei war und daher nicht für hässliche Szenen und Bilder sorgen konnte.
Schon im Vorfeld des Gipfels hatte Macron durch ungewöhnlich persönliche Attacken gegen Bolsonaro wegen dessen Untätigkeit gegen die Waldbrände im Amazonas-Gebiet und der Drohung, deswegen das bereits unterzeichnete Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur zu blockieren, gleich zwei Gruppen von Franzosen emotionspolitisch bedient, die für seinen Machterhalt entscheidend sein dürften: Nämlich einerseits das Milieu, aus dem sich seine eigenen politischen Fußtruppen rekrutieren und andererseits das Milieu, aus dem mit der Gelbwesten-Bewegung eine existentielle Gefahr für seine Präsidentschaft entstand.
Macrons Weg in den Élysée-Palast begann mit der Gründung einer Art Jugendbewegung namens „En Marche!“ („Voran!“). Da kamen Studenten und junge Berufstätige aus den größeren Städten mit den besten beruflichen Aussichten und höchsten moralischen Ansprüchen zusammen. In dieser mittlerweile staatstragend in „La Republique en Marche“ umbenannten Bewegung sammelte sich das junge Juste Milieu Frankreichs hinter einem der ihren: dem damals noch nicht 40-jährigen ENA-Absolventen Macron. Ebenso wie in Deutschland ist auch in Frankreich in großen Teilen der gut ausgebildeten und an den Hochschulen globalistisch geprägten Jugend die Besorgnis um die „Klimakrise“ zu einer Art Ersatzreligion geworden. Und „Rechtspopulisten“ und „Klimawandelleugner“ sind deren Ketzer.
Dazu kommt aber noch ein weiterer Vorteil der Attacke gegen Bolsonaro für Macron: Seine Drohung, das kürzlich unterzeichnete Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten nicht zu ratifizieren, dürfte vor allem dort in Frankreich gut ankommen, wo die Gelbwesten-Opposition gegen Macron und seine Regierung am stärksten ist: in der von Landwirtschaft geprägten Provinz. Dort fürchtet man die Konkurrenz der Weltmärkte mit Fleisch aus Brasilien mehr als den Klimawandel. Von Freihandel, zumindest sofern er die französische Landwirtschaft betrifft, hält man da gar nichts. Die Gelbwesten sind zwar mittlerweile ermüdet, aber bei Macron dürften sie einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben: Vergiss die Interessen und die Gefühlslage der französischen Provinz nicht.
Macrons Befeuerung der Empörung gegen die neue Regierung in Brasilien ist bei näherer Betrachtung die reine Heuchelei. Was erwartet man denn, wenn man mit dem Agrarexportland Brasilien ein Freihandelsabkommen schließt? Ist dessen Ziel nicht selbstverständlich die Erleichterung des Außenhandels? Und natürlich wollen Brasiliens Landwirte mit dieser Aussicht vor Augen mehr Soja anbauen, mehr Tiere halten, mehr Fleisch exportieren, wohlhabender werden – und der Wald steht dabei im Weg und brennt allzu gut.
Die Waldbrände im Schwellenland Brasilien und die Empörung darüber bei der globalistisch-moralistischen Wohlstandsjugend in Paris oder anderen europäischen Großstädten offenbart eben auch die inneren Widersprüche des Globalismus: Ökologische Weltrettung und ökonomische Wohlstandsmehrung im „globalen Süden“ gehen eben nicht so einfach zusammen. Wer wirklich wollte, dass der Regenwald in Südamerika geschützt wird, hätte kein internationales Abkommen schließen dürfen, dass dessen Vernichtung zu einer lukrativen Investition macht. Dann müsste man den Brasilianern eigentlich aber auch ehrlich auf Regierungsebene sagen: Der Regenwald und unsere Klimasorgen sind wichtiger als eure Aussichten auf mehr Wohlstand. Das ist schließlich auch die Botschaft, wie sie bei vielen Brasilianern inklusive ihres gewählten Präsidenten ankommt: Der Wald gehört nicht euch, sondern „der Welt“. Und mit der fühlt sich die thunbergsche Jugendbewegung identisch.
Anderen Völkern und deren Regierungen die letzte Verfügungsgewalt über die Ressourcen innerhalb ihrer Landesgrenzen streitig zu machen – das berührt „im globalen Süden“ aber auch heute noch historische Empfindlichkeiten. Bolsonaros Vorwurf gegen Macron, dieser zeige eine „koloniale Mentalität“, ist darum aus brasilianischer Perspektive mehr als eine billige Retourkutsche. Er verlangt jetzt von Macron eine Entschuldigung, weil der die nationale Souveränität Brasiliens in Frage gestellt habe.
Ganz ohne Verluste war eben auch für Macron der Sieg von Biarritz nicht zu haben.