»Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrte Kollegen«, beginnt Bundeskanzler Scholz sein Schreiben an Umweltministerin Lemke, Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner: »Ich habe als Bundeskanzler entsprechend Paragraf 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung die nachfolgende Entscheidung getroffen: Es wird die gesetzliche Grundlage geschaffen, um den Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke Isar zwei, Neckarwestheim zwei sowie Emsland über den 31.12.2022 hinaus bis längstens zum 15.4.2023 zu ermöglichen.«
Scholz schreibt (»mit freundlichen Grüßen«) ausdrücklich von einem »Leistungsbetrieb«. Dies bedeutet, dass die drei verbliebenen Kernkraftwerke weiterhin in der Merit-Order mitbieten. Damit bleibt das Angebot an Strom hoch und die Preise niedrig.
Insofern setzt Scholz seine Richtlinienkompetenz richtig ein. Deutlich ist auch sein Machtwort in Sachen Verlängerung der Laufzeiten von Kohlekraftwerken. Die Stromproduktion der Braunkohlekraftwerke im Rheinischen Revier soll massiv gestärkt werden, in den Tagebauen wird weiter Kohle abgebaut. Die ist noch in großen Mengen vorhanden und zudem sehr preisgünstig, kann ohne aufwändige Transportwege direkt in den Kraftwerken in Strom und Wärme umgewandelt werden. Auch das trägt zur Erweiterung des Stromangebots bei und hält die Preise niedrig.
Das Dorf Lützerath, um das jetzt Klimaaktivisten Demonstrationen angesagt haben, wird weichen. Die Bewohner sind schon seit langem ausgezogen, gut entschädigt worden und haben schon längst neue Häuser bezogen. Dies alles war bereits vor langer Zeit im Kohlekompromiss festgelegt worden, dem in Nordrhein-Westfalen auch die Grünen zugestimmt hatten. Unter dem alten Kabinett »Kraft« in Düsseldorf wurde sogar das Jahr 2045 als Ende für den Tagebau Garzweiler festgelegt.
Die drei Kernkraftwerke, die von den ursprünglich 17 übrig geblieben sind, sollen jetzt also »längstens« bis 15. April des kommenden Jahres laufen. Und dann? Wird dann ein neues Machtwort fällig – wenn Scholz überhaupt noch Kanzler ist.
Von neuen Brennstäben schreibt Scholz nichts; es ist auch keine Grundsatzentscheidung für einen Weiterbetrieb von Kernkraftwerken zur Energiesicherung, wie sie bereits im März der Verband Kerntechnik Deutschland e.V. (KernD) verlangt hatte.
Für die restlichen Kernkraftwerke bedeutet dies einen sogenannten »Streckbetrieb«, bei dem die Brennstäbe nicht mehr erneuert werden. Normalerweise werden im Jahresrhythmus ein Drittel der Brennstäbe im Reaktorkern gegen neue ausgetauscht. Dies geschieht nicht mehr. Wie lange die alten halten, ist nicht ganz klar. Ein solches Experiment an lebender Energieversorgung eines Landes hat noch nie jemand gemacht.
Und weiter: »Es ist aktuell davon auszugehen, dass die Energieversorgungskrise noch mehrere Jahre andauern wird – und in dieser unsicheren Zeit könnten die Kernkraftwerke mit frischen Brennelementen noch einen deutlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit, zum Klimaschutz und zur Kostendämpfung leisten. Wenn es also wie jetzt um jede Kilowattstunde geht, sollte man die jährlich rund 11 Milliarden Kilowattstunden Strom pro Kernkraftwerk, die für Deutschland noch bereitgestellt werden könnten, nicht einfach ignorieren.«
Darauf wiesen die Kernkraftfachleute bereits Ende Juli hin. Passiert ist nichts. Wie die Bundesregierung mit der Frage der Energieversorgung des ihr anvertrauten Industrielandes umgeht, ist abenteuerlich. „Am Abschalten von Kernkraftwerken festzuhalten, ist nichts anderes als Sabotage“, schreibt Welt-Herausgeber Stefan Aust.