Tichys Einblick
Schriftsätze im Prozess

Wie der Verfassungsschutz sich bei Hans-Georg Maaßen selbst entlarvt

Als „rechtsextremen Verdachtsfall“ stuft der deutsche Inlandsgeheimdienst seinen ehemaligen Präsidenten ein. Dagegen wehrt sich Hans-Georg Maaßen vor Gericht. Es zeigt sich, dass das Amt in Wahrheit gar nicht die Verfassung schützt, sondern die Regierungsparteien.

Hans-Georg Maaßen, Berlin, 09.11.2024

picture alliance/dpa | Soeren Stache

Der Mann wolle „die Menschenwürde (…) beseitigen“: Das wirft das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) seinem eigenen Ex-Präsidenten Hans-Georg Maaßen vor. Die Behörde tut das nicht mal eben so, sondern schriftlich und vor dem Verwaltungsgericht Köln.

Wenn Sie jetzt stutzen, lieber Leser, dann tun Sie das zu recht.

Natürlich kann kein Individuum die Menschenwürde beseitigen. Selbst wenn irgendjemand das wollte: Es geht weder praktisch noch juristisch. Allenfalls könnte man sie ignorieren oder verletzen. Aber niemand kann die Menschenwürde – also eine Idee, ein abstraktes Konzept – beseitigen. Das ist simpelste Sprachlogik auf dem Niveau der achten Klasse.

Doch so steht es halt jetzt, protokolliert für alle Ewigkeit, in einem Schriftsatz. Mit dem reagiert das BfV auf die Klage Maaßens gegen seine Einstufung als „rechtsextremer Verdachtsfall“ und gegen die grenzwertig pathologische Datensammelei zu seiner Person. Zur Rechtfertigung hat die Behörde viele vermeintliche Argumente zu Papier gebracht.

Sie hat sich damit keinen Gefallen getan. In ihrer taufrischen Erwiderung auf den BfV-Schriftsatz, die TE vorliegt, zerlegen Maaßens Anwälte den deutschen Inlandsgeheimdienst derart, dass man zwischendurch fast Mitleid mit den Kölner Schlapphüten bekommt.

Aber nur fast.

Denn die Ausarbeitung der Kanzlei Höcker macht erst so richtig deutlich, welche politische Rolle sich der Verfassungsschutz inzwischen anmaßt – wobei er von den etablierten Parteien mal mehr, mal weniger offen unterstützt wird. Dabei wird unangenehm klar:

Die Sache mit dem Rechtsstaat

In ihrer Erwiderung auf den denkwürdigen Schriftsatz des BfV geben Maaßens Anwälte zahlreiche Beispiele dafür, wie das Amt in seiner praktischen Arbeit unser Grundgesetz, das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) und einschlägige Gerichtsurteile ignoriert bzw. (absichtlich?) völlig falsch interpretiert.

Das Amt gibt zum Beispiel unumwunden zu, in der über Maaßen angelegten geheimdienstlichen Akte auch Berichte zu speichern, die gar keinen Bezug zum 62-Jährigen haben – oder in denen er lediglich namentlich erwähnt wird, ohne dass es irgendeinen verfassungsschutzrechtlichen Inhalt gebe.

Das BfV dürfe gesetzlich aber nur solche Informationen sammeln, die tatsächliche Anhaltspunkte irgendeiner Bestrebung Maaßens gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung belegen, kritisieren dessen Anwälte. Definitiv nicht erlaubt ist es der Behörde, wahllos Berichte mit einem nur abstrakten Bezug zu ihrem Mandanten zu sammeln. Wenn diese Daten nicht als „Stütze“ für einen konkreten Vorwurf gegen Maaßen dienen, hätten sie gar nicht erst erhoben werden dürfen (und müssten jetzt unverzüglich gelöscht werden).

Lustigerweise begibt sich das BfV hier in einen klassischen logischen Zirkelschluss: Es argumentiert, dass es die Daten zu Maaßen erhoben, verarbeitet und gespeichert hat, um dann anhand dieser Daten zu prüfen, ob gegen den Mann ein Anfangsverdacht der Verfassungsfeindlichkeit bestehen könnte. Nach dem BVerfSchG müssen dem Amt aber ERST konkrete Anhaltspunkte für ein verfassungsfeindliches Verhalten vorliegen, damit es mit dem Datensammeln überhaupt ANFANGEN darf.

Irgendwie haben sie das in Köln übersehen. Oder vergessen. Oder sonst was.

Die Sache mit der Inkompetenz

Durch das Schriftsätze-Duell vor dem Verwaltungsgericht Köln erfährt das erstaunte Publikum jetzt auch noch einmal detailliert, dass andere Bundesbehörden schon länger so ihre Zweifel an der Professionalität des BfV haben.

Zum Beispiel hatte das Amt seit Januar 2019 Telefonate des damaligen EU-Beamten Gerhard Sabathil mit zwei weiteren Männern belauscht. Die Abhörprotokolle des BfV waren dann eine wichtige Grundlage dafür, dass gegen die drei Männer der Anfangsverdacht einer Spionage für China entstand.

Doch seit März 2020 wuchsen beim Generalbundesanwalt die Zweifel an der Qualität der Arbeit der Kölner Behörde. Offenbar hatten BfV-Mitarbeiter die abgehörten Telefonate teilweise verkürzt und teilweise mit erheblichen Abweichungen vom tatsächlichen Wortlaut notiert. Zusammengefasste Aussagen wurden wohl fälschlicherweise zum Teil als wörtliche Zitate markiert. Mehrere entlastende Gesprächspassagen wurden offenbar ganz weggelassen.

Der „Stern“ zitierte Quellen, wonach man in Karlsruhe so verärgert über die Kölner Verfassungsschützer war, dass man um eine grundsätzliche Klärung bat, nach welchen Kriterien dort Gesprächsinhalte zusammengefasst würden. Nachdem das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde, erklärte der zu Unrecht verdächtigte Gerhard Sabathil deprimiert: „Der Verfassungsschutz hat mein Leben zerstört.“

Offenbar habe das BfV aus dem damaligen Desaster nichts gelernt, schreiben Maaßens Anwälte heute. Denn genau so würde das Amt jetzt wieder gegen ihren Mandanten vorgehen: mit verkürzt wiedergegebenen Sachverhalten, von der Wahrheit abweichenden Zusammenfassungen, Weglassen entlastender Inhalte und mit Zitaten, die gar keine echten Zitate sind. Spürbar genüsslich watschen die Juristen das BfV dann noch weiter ab:

„Diese Art der Vorgehensweise steht einer einfachen, nicht rechtsfähigen Bundesoberbehörde (auf einer ‚Ebene‘ mit dem Bundesarchiv, dem Bundesamt für Kartographie und Geodäsie, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit oder dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft) nicht zu.“

Doch das BfV dilettiert weiter munter vor sich hin. Geradezu ungläubig lernt der unvoreingenommene Leser, mit welchen abenteuerlichen Volten die Behörde gegen Hans-Georg Maaßen den indirekten Vorwurf des „Antisemitismus“ konstruiert.

Dabei geht das Amt besonders perfide vor. Es behauptet nicht, Maaßen sei ein Antisemit. Das wäre auch völlig albern, weil der Mann seit vielen Jahren ja vor dem (aus dem muslimischen Kulturkreis) importierten Antisemitismus warnt. Stattdessen werfen die Verfassungsschützer ihrem Ex-Chef vor, er verbreite „antisemitische Narrative und Topoi“ – weil er das Davoser Weltwirtschaftsforum mit den Worten kritisierte, beim WEF handele es sich um „Pseudolinke“ und „globale Vermögenseliten“ bzw. „Wirtschaftsglobalisten“, die zusammen eine neue Weltordnung schaffen wollten.

Seit Jahrzehnten hat Maaßen – nicht zuletzt als Chef des Verfassungsschutzes – Antisemitismus in Deutschland bekämpft. Wiederholt wurde er dafür von mehreren israelischen Geheimdiensten geehrt. Nie hat er sich antisemitisch geäußert, dafür hat er sehr oft vor Antisemitismus gewarnt. Doch für das BfV ist seine Kritik am WEF jetzt „auch ohne explizite Benennung von Juden als Akteuren im Hintergrund eindeutig als antisemitisch erkennbar“.

Was der Verfassungsschutz ihm also vorwirft, ist ein Antisemitismus ohne Juden. Was fällt einem dazu noch Sinnvolles ein?

Die Sache mit der Meinungsfreiheit

Die Dokumente im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln lassen kaum einen anderen Schluss zu: Der Feldzug gegen Hans-Georg Maaßen ist nur ein kleiner Teil einer viel umfassenderen Offensive gegen die Meinungsfreiheit in Deutschland.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will „rechtsextremistische Netzwerke“ genauso behandeln wie die Organisierte Kriminalität: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ Wer in der früheren DDR aufgewachsen ist, erinnert sich daran noch als „staatsfeindliche Hetze“. Wir sollen uns also nicht mehr über die politische Obrigkeit lustig machen dürfen.

Den Kabarettisten wird die Geschäftsgrundlage entzogen, und nicht nur ihnen.

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) will „Hass im Netz auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ staatlich bekämpfen – denn die „Feinde der Demokratie“ wüssten ganz genau, was „gerade noch so unter die Meinungsfreiheit“ falle. Der frühere SPD-Landesminister Mathias Brodkorb schreibt dazu:

„Paus’ Vorhaben ist nichts anderes als ein direkter Angriff auf den obersten Verfassungswert. Das Grundgesetz gewährt jedermann die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Dies ist ohne Meinungsfreiheit schlicht undenkbar. Und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wiederum ist eine direkte Folge des obersten Verfassungsprinzips: der Menschenwürde. Wer daher die Meinungsfreiheit angreift, stellt letztlich auch die Menschenwürde infrage. Moralisch gesehen, ist kaum ein gravierenderer Fall von Verfassungswidrigkeit denkbar.“

Doch es geht weiter. Maaßens Nachfolger als BfV-Chef, Thomas Haldenwang (CDU), erfand das Delikt der „Delegitimierung des Staates“. Der Staat müsse nicht nur Gewalt, sondern auch „verbale und mentale Grenzverschiebungen“ bekämpfen: „Wir müssen aufpassen, dass sich entsprechende Denk- und Sprachmuster nicht in unsere Sprache einnisten.“ Auch Meinungsäußerungen „unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität“ könnten „staatswohlgefährdend“ sein.

Es gruselt einen.

Die Bundesregierung und ihr BfV wollen also gar nicht in erster Linie die Demokratie schützen. Vielmehr wollen sie ganz offen Gedanken und verfassungsrechtlich eindeutig zulässige Meinungsäußerungen der Bürger verfolgen.

Josef Franz Lindner, Professor für Staatsrecht an der Universität Augsburg, nennt das alles eine „ungeheuerliche Amtsanmaßung“. Er stellt klar: Die vielzitierte Delegitimierung ist mitnichten ein verfassungsschutzrechtlicher Begriff, sondern eine reine „Erfindung des Bundesamtes für Verfassungsschutz“. Oder anders: Der Chef eines Geheimdienstes erweitert eigenmächtig die Kompetenzen seiner Spitzel.

Es gruselt einen immer mehr.

Die Sache mit der Parteilichkeit

Maaßen ist Parteivorsitzender der Werteunion. Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass das BfV – eine zur Neutralität verpflichtete Behörde mit geheimdienstlichen Befugnissen – sich im parteipolitischen Wettbewerb von den Regierungsparteien instrumentalisieren lässt.

Seine Anwälte schreiben dazu:

„(Sie) diffamiert als eine der Regierung untergeordnete Bundesoberbehörde einen Parteipolitiker der außerparlamentarischen Opposition, der prominent als Vertreter der Partei wahrgenommen wird. Wenn der staatliche Geheimdienst einen Vorsitzenden einer Partei (gerade im Rahmen der Gründung dieser Partei) nachrichtendienstlich behandelt, liegt darin auch (selbstverständlich) ein Eingriff in die Rechte der Partei (…).“

Dass hinter all dem politisches Kalkül steckt, legt die zeitliche Abfolge der Ereignisse nahe. Im Januar 2023 – noch BEVOR das BfV dann im November 2023 Maaßen als Verdachtsfall einstufte – beschimpfte Nancy Faeser den politischen Konkurrenten so:

„Es ist angesichts seiner jüngsten Äußerungen unbegreiflich, wie Herr Maaßen je Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz werden konnte. (…) Was Herr Maaßen von sich gibt, dürfte jeder Demokrat als zutiefst abstoßend und menschenverachtend empfinden.“

So rigoros sieht Frau Faeser das allerdings nur bei anderen. Sie selbst hat mit Extremisten keine Berührungsängste, sofern es sich um Linksextremisten handelt. Noch als hessische Landtagsabgeordnete veröffentlichte sie im Juli 2021 einen Gastbeitrag im Magazin „antifa“. Herausgeber ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Im Jahr 2020, also ein Jahr vor Faesers Gastbeitrag, warnte der bayerische Verfassungsschutzbericht vor dieser Vereinigung als „bundesweit größter linksextremistisch beeinflusster Organisation im Bereich des Antifaschismus“.

In seinem sogenannten Kompendium aus dem März 2024 rechtfertigt das Amt die Erfindung der Kategorie „Delegitimierung des Staates“ (für die es im BVerfSchG keinerlei Grundlage gibt). Auf Seite 71 wird besonders betont, dass es hier nicht mehr um den Schutz des abstrakten „Parlamentarismus“ gehe, sondern um den Schutz von Parlamentariern im Sinne von „demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten beziehungsweise Verantwortlichen des Staates sowie von diesen getroffenen Entscheidungen“.

Anders: Das BfV vermischt Amt und Amtsträger.

Das führt unter anderem dazu, dass im Zusammenhang mit der Corona-Krise das Wortspiel „Fressefreiheit“ sowie die „kategorische Ablehnung der von Bund und Ländern getroffenen Einschränkungsmaßnahmen“ als verfassungsschutzrechtlich relevant eingeordnet werden. Dasselbe gilt für „Verschwörungserzählungen“. Wer etwa die Mondlandung für eine Inszenierung hält, ist nun ein Fall für den deutschen Inlandsgeheimdienst.

Das BfV praktiziert offenbar eine völlig ausufernde Geheimdiensttätigkeit weit weg von demokratischen Regelungen. Der Verfassungsschutz ist aber kein Regierungsschutz. Er ist auch nicht dazu da, kritische (und zulässige) Meinungen und Gedanken zu unterdrücken. Der Oldenburger Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler bemerkt dazu:

„Der Begriff ,Delegitimierer des Staates‘ existiert weder in der Verfassung noch in einem anderen Gesetz. Das Phänomen war und ist eine Erfindung des Verfassungsschutzes unter Präsident Thomas Haldenwang, um Kritiker der Corona-Maßnahmen beobachten zu können. Inzwischen werden auch Kritiker anderer politischer Vorhaben unter diesem Vorwand beobachtet.“

Das Problem sei aber, dass niemand sagen könne, was genau damit gemeint ist:

„Der Begriff ist so schwammig, dass potenziell jede Kritik an der Regierung darunterfällt – und das ist wahnwitzig. Der Verfassungsschutz greift damit ganz hart in die Meinungsfreiheit ein, indem er Menschen zu Beobachtungsobjekten erklärt, die ihr Grundrecht auf Meinungsfreiheit ausüben. Die Grenzen der Meinungsfreiheit legt die Verfassung und der Gesetzgeber fest – nicht irgendeine Behörde, auch nicht der Verfassungsschutz.“

Boehme-Neßlers vernichtendes Urteil: Die Beobachtung von „Delegitimierern des Staates“ durch den Verfassungsschutz ist verfassungswidrig.

Die Sache mit der Demokratie

Wenn der Verfassungsschutz eine Organisation beobachtet, weil es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt: Dann werden nicht alle, aber sehr viele Bürger das noch verstehen und akzeptieren.

Wenn eine Organisation die freiheitliche demokratische Grundordnung ganz oder teilweise abschaffen will (das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip, die Garantie der Menschenwürde): Dann werden nicht alle, aber sehr viele Bürger dem Verfassungsschutz den Rücken stärken.

Aber der Verfassungsschutz ist keine Gesinnungspolizei.

Wenn er Kritik an den herrschenden Verhältnissen verfolgt wie einst in der DDR; wenn er Kritik an der Regierung de facto unmöglich macht; wenn er um unser Gemeinwesen verdiente Menschen plötzlich zu Staatsfeinden erklärt; wenn ein Verfassungsschutz-Chef wie Thomas Haldenwang gestern noch die politische Konkurrenz bespitzeln lässt – und heute selbst für die CDU als Bundestagsabgeordneter kandidiert: Dann hat der Verfassungsschutz das Vertrauen der Menschen verspielt.

Der Fall Hans-Georg Maaßen zeigt, dass der Verfassungsschutz bei uns jetzt diesen Punkt erreicht hat. Schaffen wir ihn ab. Er schadet unserer Demokratie mehr, als er nützt.

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