Tichys Einblick
Explosion der Arztbesuche – auch ohne Corona

Immunschwäche nach dem Lockdown: 4,5 Millionen Atemwegserkrankungen in einer Woche

Die Zahl der Atemwegserkrankungen hat sich vervielfacht – und das betrifft nicht nur Corona. Durch Lockdown und andere Maßnahmen wurde die natürliche Immunität in der Bevölkerung gegen viele Erkrankungen abgebaut. Das rächt sich jetzt.

IMAGO / Westend61

1,2 Millionen Arztbesuche registrierte das Robert Koch-Institut in der Woche vom 27. Juni bis zum 3. Juli wegen akuter Atemwegserkrankungen. Insgesamt schätzt das RKI die Gesamtzahl der Atemwegserkrankungen innerhalb jener Woche auf 4,5 Millionen.

Diese Werte liegen deutlich über denen der Sommer vor Corona. Bei den Erwachsenen habe sich die Anzahl der Arztbesuche teilweise sogar verdreifacht, so das RKI. Schon in den vergangenen Wochenberichten hat das RKI von einer für die Jahreszeit ungewöhnlich hohen Infektionsrate gesprochen. Die Lockdowns, Kontaktverbote und Ausgangssperren der vergangenen beiden Jahre haben offenbar nicht nur soziale Ängste, sondern auch eine Immunschwäche bei vielen Menschen gefördert.

Stichproben zufolge sei das erhöhte Infektionsgeschehen bei Kindern nicht auf Corona zurückzuführen. Erreger wie Parainfluenza oder Rhinoviren seien hier dominant. Bei den über 18-Jährigen sind die Infektionen laut RKI überwiegend solche mit dem Corona-Virus. Doch auch andere Atemwegserkrankungen spielen hier eine große Rolle. „Derzeit sehen wir in der Diagnostik ein buntes Bild und finden jede Woche fast alle Erreger“, berichtet etwa die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek. Klar ist, dass auch unabhängig von Corona die Anzahl der Atemwegserkrankungen angestiegen ist. Warum das so ist, wird in dem RKI-Wochenbericht jedoch nicht beantwortet.

Möglich erscheint, dass die Bürger inzwischen schon bei milderer Symptomatik einen Arzt aufsuchen. Sei es aus Panik oder um möglicherweise ein Genesenen-Zertifikat zu erhalten. Eine weitere Antwort wurde vor einigen Wochen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach persönlich gegeben. So erklärte er, „dass die Immunität in den letzten Jahren zurückgegangen ist, weil die Schutzmaßnahmen auch dort geschützt haben, sodass sich dort eine Immunitätslücke aufbauen konnte“. Selbst der Corona-Expertenrat schlägt wegen der Immunschwäche Alarm. Hiervon seien insbesondere Kinder betroffen. Durch eine befürchtete Grippe-Welle und vermehrte RSV-Infektionen könnte es zu einer Be- und Überlastung der Kinderkliniken kommen. Um dies zu verhindern und sich vor der Grippe zu schützen, empfiehlt der Expertenrat sogar das Maskentragen.

Umso wichtiger sei es nun, eine erneute „Impf“kampagne ins Leben zu rufen, meint unter anderem der Hausärzteverband. Dem Verbandsvorsitzenden Ulrich Weigeldt zufolge ist und bleibt die „Impfung“ die wichtigste und wirkungsvollste Maßnahme im Kampf gegen das Corona-Virus. „Wir brauchen daher eine positive Impfkampagne – nicht nur für die vierte Impfung, sondern auch, um die Impflücken bei der ersten und der dritten Impfung zu schließen.“ Eine neue Kampagne müsse die Menschen motivieren und dürfe sie nicht verängstigen.

Das RKI bläst in dasselbe Horn. 9,2 Millionen Menschen müssten ihre „Impfung“ noch mindestens einmal auffrischen. Ebenso viele Erwachsene seien bisher überhaupt nicht geimpft. Es könnte daher eine erneute Maßnahmen-Welle vor der Tür stehen. Karl Lauterbach versicherte schon einmal, dass die Pandemiebekämpfung nicht in die Sommerpause gehen werde, und erklärte: „Wir dürfen und wir können es uns nicht leisten, ein drittes Mal nicht gut vorbereitet in den Herbst hineinzugehen.“

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