Tichys Einblick
LNG-Importe

Die Gasspeicher sind voll – nun kommen ganz andere Probleme

Vor den Küsten Spaniens und Portugals stauen sich die LNG-Tanker. Doch die Infrastruktur für die enormen Flüssiggas-Mengen, vor allem in Deutschland, ist noch gar nicht verfügbar. Indessen sind die LNG-Importe aus Russland in die EU seit Jahresbeginn um knapp 50 Prozent gestiegen.

IMAGO / ANP

Derzeit parken Tanker mit Flüssiggas im Wert von Milliarden Euro vor Europas Küsten. Das Gas wird dringend benötigt – doch Europas Infrastruktur hält nicht mit, schreibt das Handelsblatt. Laut Angaben der Analysefirma Vortexa ankern derzeit 34 Schiffe, die Flüssiggas (LNG) geladen haben, auf dem Meer, ohne einen Hafen anzusteuern.

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Zwar wurde kürzlich in Wilhelmshaven das sogenannte Floating Terminal – immerhin nur binnen 200 Tagen – fertiggestellt. Doch das reiche bei weitem nicht. „Es fehlt an Terminals, um das Flüssiggas anzulanden; es fehlt an Regasifizierungsanlagen, die das Flüssiggas aus den Schiffen zu Gas aufbereiten, und es fehlt an Pipelines, mit denen das Gas in die Speicher und zu den Kunden gebracht werden könnte“, heißt es weiter. Dass sich der LNG-Stau in den kommenden Jahren wiederholt, halten Fachleute für unwahrscheinlich. Die Probleme werden ganz andere sein, sagte auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch. Sie sprach von einem „erheblichen Risiko“, dass Europa im kommenden Jahr etwa 30 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas fehlen, um die Speicher wieder auf die aktuellen Füllstände zu bringen.

Die sogenannten Future-Preise für Gaslieferungen im November waren zuletzt unter die Marke von 100 Euro pro Megawattstunde gefallen. Noch im August lag der Preis bei mehr als 300 Euro pro Megawattstunde. Es ist „eine unglaubliche Arbitrage“, titelte seinerzeit die Berliner Zeitung. US-Unternehmen strichen 150 Millionen Dollar Gewinn pro Flüssiggas-Schiff ein.

Indessen wurde publik, dass auch Russland LNG-Gas in die EU liefert. Während die Lieferungen von Erdgas, das per Pipeline geliefert wird, in diesem Jahr dramatisch zurückgegangen sind, stiegen die Importe von verflüssigtem Erdgas (LNG) aus Russland in die EU in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 nach Angaben der Europäischen Kommission im Jahresvergleich um 46 Prozent.

„EU-Beamte sind stolz darauf, dass die Länder ihre Käufe von russischen fossilen Brennstoffen seit Beginn des Krieges reduziert haben, als führende Politiker versuchten, die Finanzen des Kremls zu schwächen. ‚Wir müssen Russlands Einnahmen kürzen, mit denen Putin seinen grausamen Krieg in der Ukraine finanziert‘, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im September. Und während die Versorgungskürzungen bei Pipeline-Gas drastisch waren – eine Kombination aus Russland, das den Fluss von Pipelines einschränkt, und EU-Ländern, die ihre Importe diversifizieren – erzählt Europas kleinerer LNG-Handel mit Russland eine andere Geschichte“, berichtet Politico.

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Der Anstieg der LNG-Importe sei zwar gering im Vergleich zum enormen Rückgang der russischen Pipeline-Gasimporte, die sich nach Angaben der Kommission von 105,7 Milliarden Kubikmeter in den ersten neun Monaten des Vorjahres auf 54,2 Milliarden Kubikmeter im gleichen Zeitraum dieses Jahres halbierten. Aber der LNG-Anstieg widerspricht der EU-Rhetorik und ist nicht ohne eigene Risiken, sagen Energiemarktanalysten.

Die Berliner Zeitung wird noch deutlicher. Der massive Rückgang russischer Pipelinegas-Lieferungen habe russische LNG-Exporte nach Europa angekurbelt. Um russisches Pipelinegas zu ersetzen, hätten die EU-Länder laut der Internationalen Energieagentur (IEA) in den ersten neun Monaten des Jahres zusätzliche 50 Milliarden Kubikmeter LNG, oder Flüssigerdgas, importiert. 70 Prozent davon entfallen auf US-Lieferanten, doch woher kommt der Rest? Nicht zuletzt aus Russland. Insgesamt hätten die Gasimporteure aus Frankreich, den Niederlanden, Spanien und Belgien dieses Jahr bis September 16,5 Milliarden Kubikmeter russisches LNG zum Marktpreis eingeführt, gegenüber 11,3 Milliarden Kubikmeter Gas im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Doch wer verkauft den Europäern dieses LNG?, fragt die Berliner Zeitung. „Der größte Teil davon stammt offenbar vom zweitgrößten russischen Erdgasförderer Nowatek (Novatek). Der Konzern mit Sitz in Westsibirien und in Moskau ist, anders als der Staatskonzern Gazprom ein privates börsennotiertes Unternehmen. Er betreibt das LNG-Terminal Jamal im Nordwesten Sibiriens, an dem neben dem französischen Minderheitsaktionär Total Energies auch chinesische Investoren zu 30 Prozent beteiligt sind. Das Terminal ist mit dem Gasfeld Süd-Tambejsk verbunden und liefert LNG nicht nur verstärkt an China, sondern offensichtlich auch in die EU.“

Dass Nowatek in Brüssel toleriert werde, zeige auch der Umgang mit dessen Vorsitzendem und Hauptaktionär Leonid Michelson. Der 67-Jährige genieße dank eines geschätzten Vermögens von 22 Milliarden US-Dollar anders als der Gazprom-CEO Alexei Miller (60) ganz klar den Status eines Oligarchen und sei trotzdem nicht von der EU sanktioniert (von Polen aber schon).

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