„Jetzt ist sie halt Gesellschaftsministerin“. Mit genau dieser Attitüde der achselzuckenden Akzeptanz vollendeter Tatsachen fährt Deutschland spätestens seit 2015 der Katastrophe entgegen. Nachdem Millionen unerlaubter Dauergäste einst so zur Kenntnis genommen wurden, weitet sich dieses Diktum mittlerweile auf alle Gesellschaftsbereiche aus. „Jetzt produziert er halt nicht mehr“, hätte auch ein Robert Habeck zu einem insolventen Unternehmer sagen können. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis sich grüne Ampelminister selbst Titel und Befugnisse zuschanzen, die zwar nirgendwo abgesprochen wurden, die aber auch niemand so recht verhindern möchte.
In diesem Fall ist es Lisa Paus, offiziell Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), die die Gunst der passiven Stunde ergriff und sich seit geraumer Zeit bevorzugt als „Gesellschaftsministerin“ bezeichnet. Nicht, dass dies ein offizieller Titel wäre, nein, Paus wählte ihn selbst. Der Einfachheit halber. Denn der Name des BMFSFJ wäre ja schon „lang und kompliziert genug“, erklärte die Ministerin einst in einem peppigen Video. Gut, da muss man ihr auch ausnahmsweise mal zustimmen. Paus schlug daher vor: „Also machen wir es lieber kurz: Wir sind ihr Gesellschaftsministerium.“
Was auf den ersten Blick an jenes berühmte (getürkte) Foto nordkoreanischer Generäle erinnert, die sich wertlose Blechorden bis an ihr Hosenbein heften, ist aber mehr als nur eine folgenlose Selbstbeweihräucherung einer Ampelministerin, die aus der zweiten Reihe ins Rampenlicht drängt. Es ist ein eindeutiger Hinweis auf ein Programm ihres Ministeriums, das sich selbst ermächtigt, und zwar gegen jeden Widerstand – ob nun aus der Opposition oder der Koalition selbst.
Die Kernkompetenz Demokratie leben und fördern
Denn in dem selben Video erklärt Paus es selbst: Man kümmere sich auch „um Demokratieförderung, Engagementpolitik und viele weitere Themen“. Das BMFSFJ übernimmt den neuen Titel „Gesellschaftsministerium“ dankend und betont, dass man unter anderem Politik „für Vielfalt und sozialen Zusammenhalt, für mehr Demokratie und gesellschaftlichen Fortschritt“ mache. Da ist allerdings was dran. Denn das BMFSFJ kümmert sich bereits seit geraumer Zeit weniger um eine der im langen Namen angeschnittenen Kernkompetenzen, sondern um selbstgewählte ideologische Steckenpferde, die den gesellschaftlichen Umbau vorantreiben.
Das „Mehr“ an Demokratie ist bereits ein wenig verklausulierter Hinweis, welche Steckenpferde das sein könnten. Denn das berüchtigte Nudging-Projekt „Demokratie leben!“, das unlängst wieder am Rande des Skandals um die weltanschaulich gemaßregelte Schülerin Loretta B. in die Schlagzeilen kam, ging 2015 von eben jenem BMFSFJ aus. Heute gilt es als außerparlamentarische Blaupause für das Demokratiefördergesetz.
„Demokratie leben!“ zeigt eindrücklich, wo das selbsternannte Gesellschaftsministerium seine Aufgaben sieht, nämlich in der Koordinierung der Förderung politisch genehmer Stiftungen, die den politischen Feind in Schach halten und die Gesellschaft auf Linie bringen sollen. Die im offiziellen Namen BMFSFJ festgehaltenen Kernkompetenzen Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sind hingegen nicht nur schwer zu merken, sondern werden auch ansonsten stiefmütterlich behandelt.
Unkenrufe als vernachlässigbares Hintergrundrauschen
Mitglieder des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend monieren nämlich schon länger, dass die ursprünglichen Aufgabenfelder der Ministerin brach liegen. „Wichtig wäre es, wenn Frau Paus erstmal ihrer Amtsbezeichnung gerecht würde“, sagte kürzlich Silvia Breher von der CDU und verwies darauf, dass Kita-Programme gekürzt oder gestrichen wurden und Jugendverbände schon längst nicht mehr vom Ministerium wahrgenommen würden.
Wer dahinter aber einzig und allein oppositionelle Grabenkämpfe wittert, täuscht sich. Auch innerhalb der Ampel gibt es Zweifel am Vorgehen von Paus. Oder genauer gesagt, in Teilen der FDP. Ausschussmitglied Katja Adler vermutete Kalkül hinter der Selbstermächtigung des Ministeriums und deutete dies als „gesellschaftspolitischen Kulturkampf“, den die Grünen immer offener austragen würden. Die Einverleibung der Familie als gesellschaftspolitische Aufgabe stünde einem eigenverantwortlichen privaten System „diametral gegenüber“, so die FDP-Abgeordnete.
Auch der liberale Lieblingskontrarier Aller, Wolfgang Kubicki, zeigte sich zunächst „ratlos“ angesichts des selbstgewählten Titels von Paus, wandte dann aber ein, dass es ihn in der Annahme bestätige, „dass die Selbstermächtigung der Grünen keine Grenzen kennt“. Tja, wenn die FDP da bloß etwas dagegen tun könnte. Irgendwas mit Konsequenzen ziehen. Aber so recht will man da noch nicht drauf kommen.