Tichys Einblick
Streitfall Carola Rackete

Den Linken droht die Spaltung

Amira Mohamed Ali (33) hat angekündigt, nicht mehr als Vorsitzende der linken Bundestagsfraktion zu kandidieren. Das ist mehr als eine Personalie - es ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Spaltung der Linken.

IMAGO / Metodi Popow

Vor der grünen Bundesgeschäftsstelle demonstrierten die Linken. Kein Jahr ist das her. Damals wollte die Partei sich aufmachen und alle die einsammeln, die unter den unsozialen Folgen der rot-grün-gelben Energiepolitik leiden. Es hört sich an wie eine Geschichte aus längst vergangener Zeit. Die unsozialen Folgen gibt es zwar immer noch, doch heute steht die kleinste Fraktion im Bundestag vor ihrer Spaltung – und damit vor ihrer Auflösung.

In der Linkspartei herrscht ein Richtungsstreit. Mit der Idee der Sammlungsbewegung war eine linke Politik im Sinne der Gewerkschaften verbunden: höherer Lebensstandard für alle, bessere Arbeitsbedingungen, wozu auch ein guter Weg zum Arbeitsplatz gehört. Obendrein eine stärkere soziale Absicherung. Nun drängen sich Themen im Sinne der woken Linken in den Mittelpunkt: Einwanderung, Schrumpfen des Wohlstands zugunsten des Klimaschutz und identitätspolitische Fragen.

Für diesen woken Kurs steht Carola Rackete (35). Der Parteivorstand Janine Wissler und Martin Schirdewan hat die berühmte „Seenot-Retterin“ zur Spitzenkandidatin der Linken für die Europawahl im nächsten Jahr ausgerufen. Der ehemalige Vorsitzende Klaus Ernst sprach im Tagesspiegel von einer politischen „Geisterfahrt“ des Vorstands. Der habe das nicht – wie üblich – mit dem Parteiausschuss abgesprochen, sondern alleine entschieden und der Öffentlichkeit präsentiert. Was Ernst ebenfalls aufgestoßen ist: Gleich nach der Pressekonferenz mit dem Vorstand gab Rackete eine weitere Pressekonferenz mit den Verbänden, die sie unterstützen und die für die woken Themen stehen: Einwanderung, Klimaschutz und Identitätspolitik.

Der Machtkampf scheint entschieden. Zugunsten des woken Parteivorstands, gegen die Gewerkschafts-Linken. Mit der Kandidatur Racketes rutscht Özlem Demirel auf der Europa-Liste nach hinten. Sie kam aus der Gewerkschafts-Arbeit zu den Linken und sitzt für die Partei aktuell im Europaparlament. Zu den Gewerkschafts-Linken gehört auch Amira Mohamed Ali (33), die nun angekündigt hat, Ende des Monats nicht mehr um den Vorsitz der Fraktion im Bundestag zu kandidieren. Sie stammt aus Hamburg, ist Tochter eines Ägypters, Rechtsanwältin und bekennendes Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. Außerdem hat sie das „Manifest für Frieden“ unterschrieben, das unter anderem von Sahra Wagenknecht entwickelt wurde.

Ali hat noch nicht angekündigt, aus der Fraktion austreten oder mit Wagenknecht eine neue Partei gründen zu wollen. Sie hat es aber auch nicht dementiert – hält es also offen. Wissler und Schirdewan haben einen schwammig formulierten Beschluss durchgesetzt, dass Wagenknecht keine Verantwortung mehr für die Linke übernehmen soll. Den Ausschluss der Ehefrau Oskar Lafontaines fürchten sie. Denn gründet Wagenknecht eine eigene Partei zerreißt es die Linken – in zwei Parteien. Mindestens.

Denn es gibt mehr als eine Soll-Bruchstelle. Die eine ist Wagenknecht. Ihr Engagement gegen den Ukraine-Krieg und ihre prorussischen Aussagen stoßen manche vor den Kopf und verbinden sie mit dem Parteivorstand, obwohl sie in einem anderen Punkt wiederum gegen den Parteivorstand sind: nämlich der Kandidatur Carola Racketes.

Vor allem im Osten ist die „Seenot-Retterin“ nur schwer vermittelbar: Westdeutsche. Wohlhabend aufgewachsen, dank eines Vaters, der sein Geld in Armee und Rüstungsindustrie verdient hat. Die den Menschen predigt, dass sie für den Klimaschutz Verzicht üben – und dass sie unbegrenzt Einwanderer aufnehmen sollen. Von sich aber sagt, sie wolle später nicht in Deutschland leben. Für sie selbst sei es hier zu eng.

Für den Westen mag Rackete die ideale Kandidatin sein. Nur ist die Linke im Westen bis auf ein paar letzte Inseln überall abgesoffen. Hessen droht im Herbst die nächste dieser Inseln zu sein, die untergeht. Die Partei lebt nur noch vom Osten. Und auch das nicht mehr gut. Im Bundestag sitzt die Linke nur deshalb in Fraktionsstärke, weil sie in Berlin zwei Direktmandate holte – unter welchen irregulären Bedingungen die Wahl aber in Berlin ablief, hat TE exklusiv recherchiert und bekannt gemacht.

Dietmar Bartsch, Alis Co-Chef in der Fraktion, warnt daher jetzt vor Austritten. Gegenüber dem Tagesspiegel sagte er, dass schon drei Austritte reichten und die Linken verlören den Fraktionsstatus. Für Bartsch hätte das persönliche Konsequenzen. Parteien, die im Bundestag nur als Gruppen vertreten sind, stellen keine Vorsitzenden – und Bartsch würde „nur“ noch das Gehalt eines normalen Abgeordneten erhalten. „Das wäre verantwortungslos“, sagt Bartsch im Tagesspiegel über die möglichen Austritte. Das würde die Rechten stärken.

Rackete gießt derweil Öl ins Feuer. Spricht sich öffentlich für einen harten Kurs gegen Wagenknecht aus und fordert in der Taz, dass sich die Partei, für die sie kandidieren will, ändern müsse: „Wir brauchen einerseits ein Verständnis dafür, wie fundamental die Probleme der Partei sind, warum sie Wäh­le­r*in­nen und Un­ter­stüt­ze­r*in­nen verloren hat.“ Dafür brauche es jetzt einen „starken Veränderungswillen“.

Der Parteitag der Linken muss Rackete im November als Spitzenkandidatin hinter Schirdewan aufstellen. Dafür sind mehrere Szenarien möglich: Der Parteitag straft Rackete mit einem schlechten Ergebnis ab oder verweigert ihr gar komplett die Zustimmung. Denkbar, dass Wagenknecht bis dahin aber auch die Gründung einer eigenen Partei verkündet haben wird und somit die Schlagzeilen vorab bestimmen wird. Vielleicht einigen sich aber die Linken auch hinter Wissler, Schirdewan und Rackete, werden zur Sammlungsbewegung und erwecken so eine Volksbewegung für unbegrenzte Einwanderung, Schrumpfen des Wohlstands zugunsten des Klimaschutz und Identitätspolitik. Darf jeder selber urteilen, was er für unrealistisch hält.

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