Tichys Einblick
Warum "Stolzmonat" trendet

Die linke Regierung führt Deutschland an der Mehrheit vorbei – der Protest wächst

Auf Twitter trendet "#Stolzmonat". Es ist der Ausdruck eines weiteren Bedürfnisses, das die linke Regierung in Deutschland nicht bedienen kann. Dieses Unvermögen wird sie zu unguten Methoden zwingen.

IMAGO/photothek

Der Begriff Stolzmonat trendet derzeit auf Twitter. Es ist nicht klar, ob die AfD diese Initiative angestoßen oder sich nur draufgesetzt hat. Egal, denn beides wäre ein kluger Schachzug. Der drängt ihren politischen Gegner dazu, einen systematischen Fehler zu wiederholen, der schon mehrfach zum Erstarken der AfD geführt hat: Durch gescheiterte Tabuisierung der Partei ein Themenfeld zu überlassen, das vielen Bürgern wichtig ist.

Nun ist Stolz ein schwieriger Begriff. Linke zitieren gerne den ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann (SPD), der meinte, seine Frau zu lieben, aber nicht sein Land. Doch dieser 60 Jahre alte Vergleich hat schon damals gehinkt. Zwar ist der Begriff Stolz in seiner Mehrdeutigkeit schwierig. Unter Stolz versteht man in erster Linie den Verweis auf etwas Erreichtes. Da setzen Heinemann und Linke an, da die jeweilige Herkunft nichts sei, das man erreicht habe. Doch in Ermangelung eines besseren Begriffs steht Stolz auch für das Gefühl des Einverstandenseins. Mit sich selbst, aber auch mit dem Volk, aus dem man stammt.

Dieses Einverstandensein ist elementar. Jesus von Nazareth hat das schon vor 2000 Jahren verstanden, als er seine Jünger aufforderte: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Damit meinte Jesus eben nicht nur die Nächstenliebe, sondern auch und sogar in erster Linie die Selbstliebe. Wer sich selbst hasst und andere liebt, wie sich selbst, der hasst andere. Jesus wusste das. Seine Auflösung bestand darin, sich als Gruppe selbst zu lieben – als Gruppe in Gemeinschaft vor Gott. In den 2000 Jahren nach dem religiösen Philosophen ersetzte die Herkunft für viele die religiöse Übereinkunft. Dagegen ist nichts zu sagen. Zwar haben beide Motivationen zu schweren Verwerfungen geführt, aber eben auch zu ungeheuren zivilisatorischen Fortschritten.

Spätestens mit der Globalisierung hat sich die Linke geteilt.

„Volk“ ist im Deutschen ein noch viel stärker verbrannter Begriff als „Stolz“. Doch ist nichts an seine Stelle gerückt und der Begriff ist eigentlich unersetzlich. In einer Demokratie. Denn in einer Demokratie ist der Volk der Souverän. Sie ist die beste Staatsform. Auch wenn Linke meinen, der Sozialismus sei das – und die dutzenden Versuche, die zu massenhaftem Leid und Tod geführt haben, seien kein echter Sozialismus gewesen. Aber der nächste Versuch müsse einfach klappen. Ganz bestimmt.

Wobei der Begriff Linke nicht mehr präzise genug ist. Spätestens mit der Globalisierung hat sich die Linke geteilt. Es gibt die alte, gewerkschaftliche Linke und die neue, woke Linke. Letztere verachtet die Idee vom Volk offen und konsequent. Die gewerkschaftliche Linke muss mit einem Widerspruch leben: Einerseits möchte sie zur gesamtlinken Bewegung gehören und fremdelt daher mit Volk und Stolz. Andererseits weiß sie um den Vorteil eines Nationalstaates. Im Rahmen von Nationalstaaten ist es den Gewerkschaften gelungen, soziale Errungenschaften für Arbeiter und Arbeitnehmer zu erreichen, wie sie historisch Ihresgleichen suchen.

Die Globalisierung zu nutzen, haben Arbeitgeber und Kapitalbesitzer bestens verstanden. Die Gewerkschaften indes haben bis heute keine Antwort darauf gefunden. Der neue Kapitalismus macht sie ohnmächtig. Einen Kapitalisten wie Bill Gates bewundern sie als Altruisten, wenn er sein ungeheures Vermögen in Stiftungen und Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO steckt. Wenn diese Stiftungen und Organisationen dann Politik machen, von denen Firmen und Projekte profitieren, in die Gates investiert hat, schweigen die Gewerkschaften beklommen. Und aus Unternehmen, die er mittelbar oder unmittelbar beeinflusst, hält Gates die Gewerkschaften wie andere Kapitäne des modernen Kapitalismus ebenfalls heraus. Aus diesem Dilemma haben Gewerkschaften bisher keinen Ausweg gefunden. Auch weil ihr eigenes Führungspersonal eher zur Welt der woken Linken gehört als tatsächlich zur Welt der gewerkschaftlichen Linken.

Chinas Kommunisten nutzen Leute effektiver aus als es dem Kapitalismus gelang

Die auf nationaler Ebene arbeitenden gewerkschaftlichen Linken mögen manche vielleicht nicht gemocht haben. Aber ihre Erfolge für Arbeiter und Arbeitnehmer sind in Zahlen dokumentierbar. Doch eben diese Erfolge sind mit der Globalisierung ins Wanken geraten. Absurderweise ausgelöst durch das linke China. Die chinesischen Kommunisten haben den Unterdrückungsapparat des Sozialismus mit den Markt-Mechanismen des Kapitalismus verbunden und bewiesen, dass sich Arbeiter und Arbeitnehmer so effektiver ausnutzen lassen, als es dem Kapitalismus allein je gelungen ist.

Solange diese kombinierte Unterdrückung mit ungeheurem Wachstum einherging, funktionierte das chinesische Modell. Doch die kommunistische Führung weiß, dass dieses Wachstum sich so nicht endlos fortsetzen lässt. Daher spielt sie selbst immer stärker auf die Karte des Nationalstolzes. Wenn das Wachstum nicht mehr als einigendes Band taugt, muss es halt der Nationalstolz sein. In Ermangelung einer funktionierenden mittelständischen Wirtschaft hat Wladimir Putin schon vor dem Ukraine-Krieg in Russland auf dieses Rezept vertraut.

Eben dieser Ukraine-Krieg hat Deutschland in ein Dilemma gebracht: Einerseits braucht die woke-links geprägte Regierung den Nationalstolz. Ohne diesen lässt sich schon der Wohlstands-Verlust nur schwer verkaufen, der sich aus dem Verzicht auf russisches Gas ergibt – und aus Transferleistungen an die Ukraine. Müsste ein grüner Robert Habeck, der nach eigenen Angaben mit Deutschland nichts anfangen kann, an die nationale Einigkeit appellieren, damit wehrtüchtige Männer und Transfrauen zur Waffe greifen, wäre das dramatisch – aber auf einer zynischen Ebene auch lustig.

Der Ukraine-Krieg hat Deutschland in ein Dilemma gebracht

In den Talkshows verplappern sich manche Politiker, dass wir schon jetzt in den Ukraine-Krieg verwickelt sind. Wir stehen heute tatsächlich da, wo die Amerikaner 1962 in Vietnam gestanden haben: Wir liefern Waffen und Ausbilder, wehren uns aber noch dagegen, Bodentruppen zu senden. Wie letzteres dann in Vietnam eskaliert ist, ist historisch bekannt. Noch ist Deutschland diesen Schritt nicht gegangen.

Seine innere Einheit braucht es aber schon jetzt. Ein Gefühl, mit sich selbst im Reinen zu sein. Ganz egal, ob man dieses Gefühl dann Stolz oder Tralala nennt. Schon jetzt ist ein Großteil der deutschen Produktivität mit zwei Aufgaben gebunden, die notwendig sind, aber den Wohlstand nicht mehren: die Verwaltung sowie die Pflege der Alten und Kranken. Der Personalbestand ist in diesen beiden Bereichen in den vergangenen Jahren enorm gewachsen, der Bedarf wächst weiter. Der personelle genauso wie der finanzielle.

Gleichzeitig trauen wir uns zu, im Klimaschutz so weit vorweggehen zu können, dass ein Konstrukt wie das kapitalistisch-kommunistische China uns eines Tages beschämt folgt. Gleichzeitig meinen wir, aus Noblesse auf eine Auswahl in der Zuwanderung verzichten zu können. Wenn zehn kommen, von denen nur einer Wohlstand erwirtschaftet, dann muss dieser eine halt die anderen neun mittragen – und die deutsche Verwaltung – und die Pflege alter und kranker Deutscher. Wir werden schon genug finden, die das leisten wollen. Und können.

Die deutschen Grundpfeiler wackeln. Das Militär ist trotz Milliardenaufwands nicht leistungsfähig. Die Polizei ist mancherorts sichtbar überfordert, aber auch von woke-linken Regierungen an die Leine gelegt. Vor allem aber sind es die wirtschaftliche Stärke und mit ihr der Sozialstaat, die diesem Land innere Stabilität geschenkt haben. Wer auf den Zustand der Pflegeversicherung schaut, der Krankenversicherung und vor allem der Rentenversicherung, dem muss Angst und Bange werden, ob der Tragfähigkeit dieser Stützen.

Die deutschen Grundpfeiler wackeln.

Stolz auf sich selbst ist in solchen unsicheren Zeiten ein wichtiges Bedürfnis. Wer ein besseres Wort für dieses Bedürfnis kennt, kann es gerne nennen. Doch es zu negieren, ist ein zum Scheitern verurteilter Versuch. Ein Scheitern, das in jüngster Zeit viele Beispiele kennt. Die Systematik ist immer wieder die gleiche: Heute verdammen Woke-Linke Stolz als etwas, das von der AfD kommt. Sie hoffen auf den Effekt, dass Menschen sich vom Stolz distanzieren, weil sie nicht in der Nähe der AfD erscheinen wollen.

Doch der erreichte Effekt ist ein anderer. Mit der Ordnung an Grenzen haben die Woke-Linken diesen Kniff ebenfalls versucht. Oder mit der inneren Sicherheit. Doch eine Mehrheit hat sich eben nicht gesagt: Wenn die AfD das will, dann verzichte ich auf Ordnung an den Grenzen und innere Sicherheit. Stattdessen drückten Woke-Linke so immer mehr den Zweisatz ins Unterbewusstsein der Menschen: Wenn du Ordnung an Grenzen und innere Sicherheit willst, musst du AfD wählen. So sind 19 Prozent in Umfragen erklärbar für eine Partei, die interne massiv zerstritten ist. Das Potenzial wird weiter wachsen. Vor allem dann, wenn die anderen Parteien nur Tabuisierung der Wünsche zu bieten haben – aber keine Vorschläge dafür, wie diese Wünsche zu verwirklichen sind.

Mit sich selbst zufrieden sein zu wollen, ist ein tiefsitzendes menschliches Bedürfnis. Eltern wissen das. Selbst junge, unerprobte. Sie setzen instinktiv darauf, ihren Nachwuchs für kleine Lernfortschritte über Gebühr zu loben – um ihn so für größere Lernfortschritte zu motivieren. Ein Kind, dass das Gefühl hat, Dinge richtig zu machen, ist mit sich zufrieden. Der Stolz auf die Gruppe ist zwar deutlich komplexer als der Stolz auf sich selbst – rührt aber vom gleichen Grundbedürfnis her.

Die linke Regierung führt Deutschland an der Mehrheit vorbei

Deutschland wird von einer Regierung geführt, die laut Umfragen in keinem ihrer wichtigen Projekte eine Mehrheit hinter sich hat. Es ist eine linke Regierung. Eine woke-linke Regierung. Sie wird dies nicht zum Anlass nehmen, ihre Positionen zu überdenken. Sie wird dies zum Anlass nehmen, ihre Positionen durchzusetzen. Der Satz „Wir müssen unsere Politik besser kommunizieren“ zeugt von dieser Bereitschaft. Übersetzt heißt der nämlich: Die Doofies wissen nicht, was gut ist – aber wir wissen es. Wer dem im Weg steht, muss bekämpft werden. Zur Not mit Gewalt. Anfangs noch mit staatlicher Gewalt wie der Beweislastumkehr, Verständnis für Linksextremismus und Untersuchungshaft für politisch Unliebsame. Am Ende solch linken Regierungshandelns steht dann viel Leid sowie die Erkenntnis, dass das ja gar nicht links war. Und schon gar kein Sozialismus. Und dass der nächste Versuch klappen wird. Ganz bestimmt.

Erfahrungen diesbezüglich gibt es genug. Für den Empiriker ist es keine Frage, dass Sozialismus nicht funktioniert – und nicht funktionieren kann. Die Bilder sind Legion. Von den Killing Fields, den Toten an der Mauer oder den Menschen unter der Guillotine. Das Bedürfnis, sich dagegen zu wehren ist da. Instinktiv. Es versammelt sich hinter dem Begriff Stolz. Der mag nicht ideal sein. Aber das ist egal. Da das Grundbedürfnis, sich gegen eine mächtige politische Elite zu wehren, die sich zur Not auch gegen die Mehrheit durchsetzen will, instinktiv richtig ist.

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