Christian Lindner (FDP) hat ein Kernproblem: Was der Finanzminister tut, stellt das komplette Gegenteil dar von dem, was der Finanzminister sagt. So ist eines immer vernünftig, das andere aber enttäuschend. Die Rede, die Lindner zur Einbringung des Haushalts in den Bundestag hält, ist eine gute. Er spricht die richtigen Punkte an.
Die Politik der vergangenen Jahre habe eine „wachsende Erwartungshaltung gegenüber dem Staat“ erzeugt. Die Menschen hätten sich an Leistungen und Zuwendungen gewöhnt. Jetzt müsse wieder eine „vernünftige Balance“ zwischen Staat und privat gefunden werden. Die Menschen müssten einsehen, dass sich nicht alle Probleme mit „massiven staatlichen Interventionen“ lösen ließen. Alles richtig. Doch genau für diese Politik steht der Finanzminister Christian Lindner mit „Sondervermögen“, „Transformationsfonds“ oder „Doppelwumms“.
Dass es mit der Schuldenpolitik so nicht weitergeht, sagt Lindner selbst. Es sind die steigenden Zinsen, die diese Politik beenden. 37 Milliarden Euro muss der Bund im nächsten Jahr laut dem Finanzminister für Schulden ausgeben. Das ist zehn mal so viel wie noch vor zwei Jahren – das ist doppelt so viel, wie das Ministerium für Forschung und Bildung ausgibt.
Obendrein ist das nur der Anfang. Der Zinsdienst für die Ausgabenpakete der vergangenen zwei Jahren beginnt erst. Der Haushaltsplan Lindners reicht nur bis 2027. Schon in diesem Plan fehlen 5 Milliarden Euro jedes Jahr, von denen Lindner nicht weiß, wie er sie finanzieren soll. 2028 beginnt die Tilgung der Kreditaufnahmen für die Staatskredite während der Pandemie. Das sind zusätzliche 12 Milliarden Euro pro Jahr, die den Haushalt belasten werden.
Das „Sondervermögen“ für die Bundeswehr ist 2028 ebenfalls ausgegeben. Seinen Nato-Partnern hat Deutschland versprochen, zwei Prozent seines Bruttoinlandproduktes für die Armee auszugeben. Sind die Schulden aus dem „Sondervermögen“ aufgebraucht, muss der Bund das Geld über den normalen Haushalt aufbringen. Wie viel das sein wird, mag Lindner noch nicht benennen. Ebenso wenig wie die zusätzlichen Belastungen, die auf den Bund zukommen, wenn 2031 der Stabilisierungsfonds ausgelaufen ist. „Hinter der Horizontlinie, für uns noch nicht sichtbar, da kommt ein Eisberg. Besser gesagt ein Eisbergfeld“, sagt Lindner.
Wie will Lindner diesem „Eisbergfeld“ nun ausweichen? Der Finanzminister will an den Sozialstaat ran: „Unser Sozialstaat kann nicht weiter wachsen.“ Er wolle an die Sozialversicherung ran, so möchte er mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine kapitalgedeckte Rente entwickeln. Auch wolle er prüfen, ob sich Lohnabstand und Erwerbsanreize positiv entwickelt haben.
Auch will Lindner an die Migration ran. Derzeit mache es Deutschland Leistungsfähigen und Leistungswilligen es zu schwer, ins Land zu kommen. Und es denen zu leicht, zu bleiben, die nur in die Sozialsysteme wollten. Richtig gesprochen. Nur: Warum dann 25 Prozent mehr Geld innerhalb eines Jahres für die, die nicht arbeiten? Das zusätzliche Geld werde diese, so Lindner, in qualifizierte Jobs führen. Ok.
„Ihre Migrationspolitik ist maximal chaotisch“, hält Mathias Middelberg ihm vor. Der CDU-Finanzexperte legt den Finger in die richtige Wunde. Während Lindner sagt, der Staat könne nicht alle Aufgaben lösen und der Bund müsse zurück zu einer soliden Finanzpolitik, klatschen nur die Abgeordneten der FDP. Die Koalitionspartner von SPD und Grünen bleiben stumm. Es ist ein wichtiger Grund, warum die Aussagen und Taten Lindners so weit auseinandergehen: Selbst wenn die FDP das Richtige will, kann sie es in dieser Koalition nicht durchsetzen.
Angesichts der großen Aufgaben sei „Christian allein zuhause“, wie Middelberg sagt. Er erkenne zwar das Richtige, aber ihm fehle die Unterstützung es durchzusetzen. Der Finanzminister müsse einsehen: „Die Party ist vorbei.“ Durchaus richtig in der Analyse. Allerdings gehen viele Gründe dafür, warum die Party vorbei ist, auf die Politik zurück, die 16 Jahre lang von der CDU verantwortet wurde – aber das ist ein anderes Thema.