Was passierte in der Nacht zum 14. Juli im Tal der Ahr und ihrer Nebenflüsse? Sicher ist: Eine verheerende Flut brach durch, die rund 130 Menschen das Leben kostete und eine 40 Kilometer lange Schneise der Verwüstung mit sich zog. Auch dass Wetterdienste wie der des TV-Stars Jörg Kachelmann vor eben dieser Lage gewarnt haben, ist klar. Unklar ist indes, ob die Landesregierung die Menschen an der Ahr geschützt oder im Stich gelassen hat.
Ebenfalls sicher ist, dass das rheinland-pfälzische Umweltministerium am Nachmittag vor der Katastrophe eine Pressemitteilung herausgegeben hat: Die Situation an der Ahr werde nicht so schlimm werden. Noch am selben Tag erfuhr das Ministerium, dass es damit unter anderem über den SWR eine trügerische und gefährliche Sicherheit verbreitet hat. Doch der zuständige Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) entschied, dass er noch einen Tag Zeit habe, sich zu korrigieren. Der Mann ist immer noch im Amt. Menschen in Not bewusst falsch zu informieren, ist für Grüne in Rheinland-Pfalz kein Rücktrittsgrund.
Öffentlich gezeigt werden können diese Videos vermutlich nicht. Sie zeigen Menschen in größter Not. Sie zeigen Menschen beim Sterben. Das deutsche Recht schützt die Würde der Betroffenen, indem es das öffentliche Zeigen solcher Bilder verbietet. Aber für die Aufklärung spielen sie eine wichtige Rolle. Nur lagen diese Bilder über ein Jahr lang für eben diese Aufklärung nicht vor. Nach einem Bericht der Rhein-Zeitung standen sie zwar auf einer Liste möglicher Beweismittel. Doch sie wurden als „nicht wesentlich“ eingestuft. Ob der Minister davon wusste, gehört zu den Dingen, die derzeit unklar sind.
Mit Hubschrauber-Flügen geht die Polizei sparsam um, denn Hubschrauber-Flüge sind teuer. Trotzdem wurde dieses Material als „nicht wesentlich“ für die Aufklärung eingestuft, trotzdem will Lewentz von diesen Videos nicht gewusst haben. Wer das dem Minister glauben will, steht vor dem nächsten Problem: Lewentz erwähnte diese Videos nicht, als er Ende September vor dem Untersuchungsausschuss aussagte. Sein Ministerium verteidigt sich nun damit, dass es erst Ende August von den Videos wusste. Erst Ende August – also immer noch einen Monat, bevor der Minister sie für keiner Erwähnung wert hielt. Roger Lewentz hat eine originelle Sicht darauf, was wichtig ist und was nicht.
Es ist durchaus nicht auszuschließen, dass das rheinland-pfälzische Innenministerium einfach nur dramatisch schlecht aufgestellt ist. Der ganze Ablauf der Flut lässt darauf schließen. Auch noch nach der Flut. Als die Zuschauer im Fernsehen, die zumutbaren, aber immer noch eindrucksvollen Bilder sahen, entwickelte sich eine große Spendenbereitschaft. Doch dieses Geld kam lange oder gar nicht bei den Opfern an. Die Verwaltung hielt es zurück. Es musste geklärt werden, wer berechtigt ist, Spenden zu erhalten. Der rheinland-pfälzischen Verwaltung war es egal, ob die Menschen an der Ahr frieren. Der rheinland-pfälzischen Verwaltung war nur wichtig, dass die Menschen an der Ahr nach Vorschrift und Protokoll frieren.
Und auch für die Flutnacht selbst zeichnet sich immer stärker ein vollständiges Versagen des Apparats um Lewentz und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ab. Der Meteorologe Jörg Kachelmann sagte vor dem Untersuchungsausschuss, dass die Katastrophe absehbar war: „Es ist immer genug Zeit, um das Richtige zu tun.“ Alle Wettermodelle hätten schon mit mehreren Tagen Vorlauf in großer Übereinstimmung für die Ahr und ihre Nebenflüsse das hohe Risiko von extremem Starkregen gezeigt. Bereits zwei Tage vor der Flutwelle hätten die Behörden deshalb Evakuierungen planen und die Bevölkerung vorwarnen können. Auf Twitter wiesen sogar Laien vor dem 14. Juli 2021 auf diese drohenden Szenarien hin. Ein Blick auf die Daten Kachelmanns und seiner Kolllegen genügte dazu. Doch in Dreyers und Lewentz’s Verwaltung hat niemand diese Daten gesehen – oder verstanden.
Die damalige Landesumweltministerin Anne Spiegel musste wegen der Ahr-Katastrophe als Bundesfamilienministerin zurücktreten. Auch sie wehrte sich lange dagegen, unter anderem mit einem bizarren TV-Auftritt. Spiegel kannte die verheerende Pressemitteilung des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums, dem sie damals vorstand. Sie selbst hatte dafür gesorgt, dass es darin gendergerecht „Campingplatzbesitzer:innen“ heißt. Dann ist sie zum Abendessen mit einem Parteifreund gegangen und hat ihr Handy danach ausgeschaltet, um besser schlafen zu können. Work Life Balance. So wichtig. Am Tag nach der Katastrophe sorgte sich Spiegel dann – um eine Sprachregelung und um PR-Bilder, die sie kompetent aussehen lassen. Ihre politische Karriere ging wegen der Ahr erst zuende, als sie zur Bundesministerin für Familien aufgestiegen war. Der mediale Druck auf sie wurde nun zu groß. Dem sieht sich auch ihr Kollege Lewentz ausgesetzt. Die rheinland-pfälzische Landespresse macht jetzt ihren Job. Zumindest die Rhein-Zeitung.