Tichys Einblick
Augenzeugen erzählen

„Polizei kesselt Spaziergänger ein“ – Erlebnisberichte von den Corona-Protesten

Über 100.000 Bürger demonstrierten in über 1.000 Orten im ganzen Bundesgebiet am Montag gegen Corona-Maßnahmen. TE zeigt hier Erfahrungsberichte von Augenzeugen. Machen Sie sich Ihr eigenes Bild!

An über 1.000 Orten in ganz Deutschland fanden am Montag Demonstrationen gegen die Corona-Politik statt. Selbst nach konservativen und nur in Teilen vorliegenden Polizeischätzungen waren deutlich über 100.000 Menschen auf den Straßen, allein 50.000 in Baden-Württemberg. Einen ausführlichen Bericht über die Proteste finden Sie hier.

Immer wieder kam es dabei auch zu Gewalt – teils sollen Demonstranten Polizisten angegriffen haben, teils löste die Polizei die Versammlungen wegen Verstößen gegen Corona-Bestimmungen auf. Uns erreichten zahlreiche Zuschriften von Augenzeugen, die die Demonstrationen in verschiedenen Orten in Deutschland beobachteten. Wir zeigen ausgewählte Erlebnisse. Machen Sie sich selbst ein Bild.


Ein Leser aus Frankfurt schreibt uns: 

In Frankfurt versammelten sich nur wenige Leute auf dem Römerberg um 18:00 Uhr. Es handelt sich etwa um 200-250 Personen, die dann langsam in Richtung Rathenau Platz aufbrachen. An einer Engstelle der Straße wurden dann circa 50 von Ihnen von etwa der gleichen Menge Polizisten in schwerer Kampfmontur eingekesselt. D.h. diese Menschen, die außer gehen gar nichts taten – einige trillerten ab und zu mal mit einer Trillerpfeife – wurden also gewaltsam am weitergehen gehindert und dort sozusagen festgesetzt. Die Polizei forderte den Versammlungsleiter auf, zu einer Unterredung zu kommen. Es fand sich aber keiner, da es der ausdrückliche Wunsch der Spazierengänger, keine Versammlung zu bilden. Nach einer etwa dreiviertel Stunde Stillstand ließ die Polizei verlautbaren, man habe keinen Versammlungsleiter ausfindig machen können beziehungsweise es hätte sich keiner gemeldet, damit sei dieser Spaziergang eine unangemeldete Versammlung, würde somit eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen und insofern aufgelöst werden. Man solle sich in kleinen Gruppen entfernen.

Ein Spaziergänger, der in der vergangenen Woche schon dabei gewesen war, schilderte mir, wie er nur aufgrund seiner Anwesenheit von der Polizei festgenommen und verhört worden war.
Im Folgenden bewegten sich sich kleine Gruppen von Menschen jeweils in der Innenstadt herum, während zahlreiche Polizisten mit Kastenwagen im Gefolge immer versuchten, diesen Menschen zu folgen beziehungsweise zuvorzukommen und am weitergehen zu hindern. Einige ‚militantere‘ Spaziergänger trillerten gelegentlich mit einer Pfeife. Die Taktik ist also offenbar, an überraschende Orte zu gehen und dann mit Trillerpfeifen Signal zu geben. Mit Gewalt hat es aber nicht das geringste zu tun. Die Polizei tritt aber martialisch in Gruppen auf und verfolgt diese Spaziergänger.

Das Narrativ ist also jetzt offenbar, dass jede noch so kleine Zusammenkunft von Passanten als Versammlung gewertet und behauptet wird, dass diese genehmigungspflichtig sei. Das Demonstrationsrecht ist dadurch de facto abgeschafft. Die Tatsache, dass Versammlungen auch ohne Anmeldung stattfinden dürfen, wird offen missachtet, wahrscheinlich unter Bezugnahme auf des Infektionsschutzgesetz.

Nächsten Samstag ist eine Demonstration in Frankfurt am Main angemeldet. Dort ist nach den bisherigen Erfahrungen die Taktik so, dass die Menschen durch die Polizeipräsenz gezwungen werden, relativ eng zusammen zu stehen und dann die gesamte angemeldete Demonstration unter dem Vorbehalt der Nichteinhaltung der Hygieneregeln verboten werden kann, mit allen Möglichkeiten auch des gewaltsamen Eingreifens. Angemeldete Demonstrationen verlaufen also in der Regel so, dass sie innerhalb kürzester Zeit illegalisiert zu werden können und damit die Teilnehmer strafverfolgt. Im Gegensatz zu anderen Städten war in Frankfurt sehr wenig los, die Anzahl der Teilnehmer war wirklich äußerst begrenzt, die Motivation aber hoch. Es ist also nicht damit zu rechnen, dass diese Menschen mit ihren Spaziergängen in nächster Zeit aufhören werden. Es entwickelt sich also der Bundesrepublik eine Situation wie in der DDR in 1989, als die Spaziergänge auch nicht wieder aufhörten.


Schwerin:

Grüße aus Schwerin. Im strömenden Regen zog die Demo, bestehend aus jungen Menschen, Familien, Bürgerinnen und Bürgern, älteren Menschen, friedlich durch Schwerin, Nazis oder Faschisten sah ich nicht. Die eingesetzten Polizeibeamten standen locker, sich unterhaltend, lachend und in einem Fall flirtend (Polizistin und Polizist, da lag was in der Luft) an der Demonstrationsstrecke. Nur am Schloß und Landtag war die Polizei dicht als Ketten angeordnet, so dicht, dass sie bei der entstandenen Langeweile nicht umfallen konnten.


Berlin-Schöneberg: 

Gutbürgerliche Menschen im Durchschnittsalter von 50 Jahren, insgesamt vielleicht 180 Personen gehen mit Kerzen vom Rathaus Schöneberg über die Belziger, Akazien, Goltz über den Winterfeldt Platz zum Nollendorfplatz unterhalten sich, sprechen über Gott und die Welt im friedlichen Einklang. Als fünf Antifa-Jungs Streit suchen, werden sie stehen gelassen und gebeten sich nicht zu uns zu gesellen. Vom Nollendorf-Platz zurück, kurz vor dem Marktplatz tauchen ca. 50 Einsatzpolizisten auf und stürmen an unserer langen Schlange vorbei und als wir am Markt ankommen, kesseln sie uns ein, provozieren und drängen uns zur Seite schlagen Frauen und Männer, rufen: „nicht genehmigte Demonstration“, schleppen Teilnehmer ab, treten und schlagen unschuldige Menschen, die sich dieser überwältigten gepanzerten Macht kaum erwehren und bei solch unmenschlicher Bestialität nur Opfer sein können. Ich bin entsetzt fassungslos, dies in einem freiheitlichen Rechtsstaat? Wo sind wir angelangt?

Das kann nicht Deutschland sein.


Aalen:


Michael Warnecke aus Hannover: 

Wie in vielen anderen Städten finden seit einigen Wochen auch in Hannover polizeilich nicht angemeldete Spaziergänge gegen die Corona-Maßnahmen und die drohende Impfpflicht statt. So trifft sich jeden Montag um 18 Uhr eine wachsende Zahl von Menschen vor dem Neuen Rathaus, stellt Kerzen auf und spaziert anschließend durch die Innenstadt. Am Montag vor Weihnachten, das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hatte gerade durch ein Urteil den Einzelhandel in Niedersachsen auch für Ungeimpfte wieder geöffnet, versuchte die Polizei zu verhindern, daß die etwa 300 Spaziergänger in die Fußgängerzone gelangten und dort von späten Weihnachtseinkäufern gesehen werden könnten. Zweimal kesselte die Polizei ein gutes Dutzend Spaziergänger (und wahrscheinlich auch zufällig vorbeikommende Passanten) ein. Die Polizisten begründeten den Kessel damit, daß der Spaziergang „versammlungsartig“ sei und stellte die Personalien der Festgesetzten fest.

Eine Woche später, am 27.12.01 – die Weihnachtseinkäufe waren inzwischen erledigt – ließ die Polizei es ruhiger angehen. Einige hundert Spaziergänger (weit mehr als am Montag zuvor) konnten weitgehend unbehelligt von der Polizei durch die Innenstadt gehen. Mit dem Jahreswechsel änderte sich die Situation grundlegend. Am 31.12.2021 gab die Polizei in ihrer Rolle als Versammlungsbehörde um 17.40 Uhr eine „Allgemeinverfügung“ bekannt, derzufolge „aufgrund der aktuellen Corona-Infektionslage (…) ab dem 1. Januar 2022 Teilnehmende an Versammlungen im Stadtgebiet Hannovers geeignete Mund-Nase-Bedeckungen“ tragen müssen. Weiter heißt es in der Meldung, daß die Mund-Nase-Bedeckung „mindestens“ das Schutzniveau FFP2 aufweisen müsse. Die in der Allgemeinverfügung als Begründung angeführte „aktuelle Corona-Infektionslage“ ist überraschend, da Hannover eine im bundesweiten Vergleich sehr niedrige und seit Wochen sinkende Inzidenz aufweist. Am 2. Januar 2022 lag die bundesweite 7-Tage-Inzidenz laut RKI bei 222,7, während sie in der Region Hannover nur bei 120,5 lag (RKI Covid-19-Dashboard, abgerufen 02.01.2022, 22 Uhr). Es drängt sich somit der Verdacht auf, daß das Motiv für die Einführung der Maskenpflicht bei Versammlungen in Wirklichkeit nicht die „Infektionslage“ ist. Das Vorgehen der Polizei im neuen Jahr bestätigt diesen Verdacht. Der Neujahrstag war ein Samstag.

In den letzten Wochen hatte es häufig um 12 Uhr vor dem Landtag Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen gegeben. Damit dies an Neujahr nicht geschieht, hatte die Polizei mehrere Dutzend Beamte und ein halbes Dutzend Sprinter-Mannschaftswagen im Einsatz. Am Kröpcke (einem zentralen Platz in der Fußgängerzone), vor dem nahegelegenen Hauptbahnhof, und an dem dem Hauptbahnhof entgegengesetzten Ende der Fußgängerzone standen die Sprinter-Wagen, ein weiterer Sprinter fuhr in der Fußgängerzone Streife. Was vor dem Landtag, dem vermeintlichen Demonstrationsort, geschah, berichtet die Polizei selbst in einer Pressemitteilung: „Zwischen 12:00 Uhr und 16:15 Uhr wurden fünf nicht angezeigte Versammlungen um den Niedersächsischen Landtag mit insgesamt 15 Teilnehmenden festgestellt. Gegen die Teilnehmenden leiteten die Einsatzkräfte Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen des Nicht-Tragens der seit heute vorgeschriebenen Mund-Nasen-Bedeckung“ ein.

Man muß die Mitteilung genau lesen: fünf nicht angezeigte Versammlungen mit insgesamt 15 Teilnehmern. Das bedeutet, daß die Polizei drei Personen, die zusammenstanden, zur Versammlung erklärt und mit Ordnungswidrigkeitsverfahren belegt hat, wenn diese keine Mund-Nase-Bedeckung trugen. Aber auch mit Mund-Nase-Bedeckungen waren die Spaziergänger nicht aus dem Schneider, denn „darüber hinaus fertigte die Polizei 24 Ordnungswidrigkeitenanzeigen gegen Personen, die mit mehr als den zulässigen zwei Haushalten bei nicht vollständigem Impfschutz unterwegs waren“. Einen Tag später ging die Polizei auf die gleiche Weise vor. Am Sonntag versammelten sich, wie in den letzten Wochen üblich geworden, einige Kritiker der Corona-Maßnahmen um 15 Uhr an der Löwenbastion am Maschsee. Auch hier war die Polizei zur Stelle und berichtet, sie habe eine „nicht angezeigte Versammlung“ aufgelöst und „bis zu 60 Personen“ wegen nicht Tragens einer Mund-Nase-Bedeckung angezeigt. Mit einer unverkennbaren Häme erzählt der Verfasser der Polizeimeldung folgende Begebenheit: „Die Polizei deklarierte die Gruppierung als nicht angezeigte Versammlung und bat um Bekanntgabe einer Versammlungsleitung. Kurz darauf erklärte eine 63-jährige Teilnehmerin, die Leitung übernehmen zu wollen. Als sie erfuhr, dass gegen sie wegen der Durchführung der nicht angezeigten Versammlung ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet wurde, trat sie von ihrer Funktion zurück. Die Anzeige gegen sie blieb dennoch bestehen.“.

Dieses Vorgehen der Polizei gegen einen stillen und friedlichen Protest ist in einem demokratischen Rechtsstaat bereits für sich genommen äußerst bedenklich. Berücksichtigt man zusätzlich, wie kulant sich die Polizei gegenüber Demonstrationen verhält, die grundsätzlich auf Linie der Stadt- und Landesregierung sind, wird sichtbar, wie grotesk unterschiedlich die angelegten Maßstäbe sind. So tolerierten Stadt und Polizei fast zwei Jahre lang ein Demonstrationslager, das Sudanesen am zentralen Weißekreuzplatz eingerichtet hatten. Auch die Klimabewegten von Friday For Future durften von Juli bis Dezember 2021 ein Demonstrationslager direkt neben dem neuen Rathaus betreiben. Die Räumung wurde erst angeordnet, als sie das Lager angesichts der winterlichen Kälte nicht mehr durchgängig besetzt hielten.

Vor diesem Hintergrund ist leider festzustellen, daß die Polizei Hannover im Bereich des Versammlungsrechts nicht mehr unparteilich das Recht durchsetzt, sondern sich in Abhängigkeit von der politischen Ausrichtung der Demonstranten entweder kulant oder restriktiv zeigt.

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