Tichys Einblick
Kritik an Kritikern des "Hitzeaktionsplans"

Lauterbach: Querdenker stören Hitzetote nicht

Lauterbach teilt nun gegen Kritiker seines Hitzeaktionsplans wie gegen Gegner von Corona-Maßnahmen aus. Der Bericht eines Medienportals soll untermauern, dass es dabei keine Maßnahmen wie zu Corona-Zeiten geben soll – obwohl er im Grunde genau das bestätigt.

IMAGO / IPON

Deutschland fragt sich, ob der neue Hitzeschutzplan Maßnahmen beinhalten könnte, die der Corona-Zeit ähneln – und Lauterbach antwortet, dass Querdenker die Situation nutzten, um Menschen aufzuhetzen. Der Bundesgesundheitsminister schreibt in einem Tweet: „Querdenker nutzen jede Gelegenheit, Menschen aufzuhetzen. Es sterben zu viele Menschen an den zunehmenden Hitzewellen. Das stört Querdenker nicht. Wir werden Alte und Kranke durch Hitzepläne schützen.“

Bezeichnend, dass der Gesundheitsminister neuerlich die Hetze von Querdenkern zum Thema macht, obwohl er selbst damit eine Vielzahl von Bürgern herabwürdigen möchte, denen die Erfahrung der letzten Jahre noch in den Knochen steckt. Dass Lauterbach den Vorwurf zerstreuen will, dass es Corona-Maßnahmen durch die Hintertür geben könnte, dabei sich aber eines Tonfalls bedient, wie er in den Kampfzeiten der Corona-Krise an der Tagesordnung war, scheint dem SPD-Politiker nicht einmal mehr aufzufallen.

Anlass ist nicht nur die sich seit einer Woche verdichtende Kritik, die nicht nur von Medien stammt. Vielmehr ist es die „Begleitmusik“, die Skepsis schürt. Wenn man Hitzeaktionstage in milden Sommertagen veranstalten will, mal Dürre, mal Gewitter zur existenziellen Katastrophe hochgeschrieben wird, wenn der WDR 25 Grad als Grenzwert ausgibt, ab dem man nicht mehr das Haus verlassen sollte – dann sind Zweifel logisch nachvollziehbar und keine Verschwörungstheorie. Der Auftritt auf der Bundespressekonferenz enthielt weitgehende Forderungen. Anwesend: Dr. Martin Herrmann von der NGO Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), deren Think-Tank wiederum Papiere zur Verfügung stellt, die das Sommerleben der Deutschen erheblich einschränken könnten – und nicht nur das.

Lauterbach verbreitet eine Darstellung des Portals Correctiv, das die Position Lauterbachs unterfüttern soll. Dieses wendet sich gegen die These, dass unter dem Vorwand des „Hitzeschutzes“ der nächste Lockdown anstehen könnte und bezieht sich auf ein Video des Social-Media-Dienstleisters TikTok. Das ginge aus der Bundespressekonferenz jedoch nicht hervor. Von Lockwdown sei „keine Rede“, vielmehr verweise Lauterbach auf ein 7-Punkte-Programm zur Pandemiebekämpfung. Dass dies bereits skeptische Assoziationen beim Leser wecken könnte, scheint Correctiv nicht zu beachten.

Doch auch der Rest der Correctiv-Gegendarstellung ist nicht so sicher, wie sie den Anschein macht. Sie zieht sich darauf zurück, dass der Hitzeschutzplan sich eng am französischen Pendant orientieren soll. So hat es auch Lauterbach gesagt. Doch die Anfrage an das Bundesgesundheitsministerium, die Correctiv stellt, widerspricht im Grunde dieser Behauptung. Auf Nachfrage, ob es Einschränkungen geben könnte, die denen in Corona-Zeiten ähneln, erklärt der Ministeriumssprecher eben nicht, dass man sich auf den französischen Plan bezieht, sondern antwortet, man wolle Gesprächen mit „allen relevanten Akteuren“ nicht vorgreifen.

Zu diesen Akteuren gehört KLUG. Daran knüpft die logische Frage an, warum Martin Herrmann seine weitgehenden Forderungen auf einer Bundespressekonferenz aussprechen darf, ohne dass sich das Gesundheitsministerium oder dessen Chef von genau diesen Aussagen ausdrücklich distanziert. Lauterbach twittert, dass der Hitzeschutzplan „Alte und Kranke“ schützen solle. Wieso aber will dann Herrmann eine gesetzliche Verankerung des Hitzeschutzes als Pflichtaufgabe nicht nur in Pflege- und Gesundheitsbehörden, sondern auch in Betrieben, Kitas und Schulen?

Dass das Ministerium betont, zuerst mit den „Akteuren“ reden zu wollen, bevor es eine letztgültige Aussage trifft, beweist somit ganz im Gegenteil, dass die Frage über die Ausmaße gar nicht geklärt ist – und auch, dass man das französische Modell eben nicht prioritär übernimmt, denn sonst wären solche Gespräche belanglos; dann reichte eine Absprache mit den französischen Experten und nicht etwa eine Beratung mit einer NGO, zu der es im Nachbarland gar kein Pendant gibt.

Ein weiterer Kniff: Correctiv bedient das Narrativ, dass es keine Maßnahmen gäbe, die an die Härte der Corona-Jahre herankämen, folgt man dem französischen Plan. Man verlinkt auf die Seite des französischen Hitzeschutzplans, um das „Querdenker-Narrativ“ zu entkräften. Denn: „Aufgezählt werden da etwa Schulausflüge, große Menschenansammlungen und Sport- oder Kulturveranstaltungen. Das ist in dem Maß nicht vergleichbar mit den Corona-Lockdowns, die es in Deutschland während der Pandemie gab.“

Die Correctiv-Deutung nimmt Bezug auf diese Passage im französischen Hitzeschutzplan: „Das Auftreten einer extremen Hitzewelle (rote Wetterwarnung) bedeutet nicht nur, dass die individuellen Schutzmaßnahmen der Bevölkerung verstärkt werden müssen, sondern auch, dass eventuell Maßnahmen zur Einschränkung von Aktivitäten (z. B. Schulausflüge, Schulprüfungen, große Menschenansammlungen, Sport- oder Kulturveranstaltungen, Anpassung der Arbeitszeiten usw.) oder die Begrenzung von anthropogenen Wärmeemissionen ergriffen werden müssen.“

Genau das aber ist für viele Normalbürger die Lockdown-Erfahrung, die man vermeiden möchte. Wenn Correctiv betont, diese Maßnahmen stünden nicht mit der Corona-Politik in Relation, weil es damals Ausgangssperren gegeben habe, so stellt sich die Frage, wie große Menschenansammlungen sonst vermieden werden sollen; und ob es damit nicht wieder möglich ist, beispielsweise unangenehme Demonstrationen zu verbieten. Wenn der französische Ansprechpartner sagt, man wolle natürlich nicht Ausgangssperren wie in der Corona-Zeit etablieren, so ist das vermutlich richtig – es sind dann eben schlicht auf Hitzeperioden beschränkte Bewegungseinschränkungen. Für den Bürger ist es aber schlicht dasselbe unter anderem Namen. Dass in solchen Perioden auch Betriebe heruntergefahren werden könnten (Begrenzung von anthropogenen Wärmeemissionen), bildet ein Thema, das bislang noch gar nicht angesprochen wurde.

Wie immer gilt: Es kommt auf den Grenzwert an, wann eine „rote Stufe“ eintritt. Was früher Inzidenzen waren, sind heute die Gradzahlen. Wer definiert extreme Hitze? Und wo ist diese angesiedelt? In der heutigen Berichterstattung sind nunmehr nicht 35 Grad, sondern vielfach schon 30 Grad ein Grenzwert, ein Arzt äußerte gegenüber dem WDR sogar 25 Grad.

Selbst wenn es nur um das französische Modell ginge, dann wäre dies kein Beleg gegen, sondern ein Beleg für Einschränkungen, wie es sie auch in der Corona-Zeit gegeben hat. Was also glauben Lauterbach und Correctiv entkräften zu können? Correctiv bedient sich des Kniffs, Corona-ähnliche Maßnahmen zu benennen, um dann zu sagen, dass es keine Corona-ähnlichen Maßnahmen seien. Vielmehr wäre es angesichts dieser Fakten für ein Rechercheportal notwendig, nicht etwa Verschwörungstheorien in sozialen Medien zu widersprechen, sondern dem Gesundheitsminister, der behauptet, nur „Alte und Kranke“ schützen zu wollen, während man im eigenen Artikel breit auflistet, dass dem eben nicht so ist.

Neuerlich wird offensichtlich: Es geht um eine „gesamtgesellschaftliche Anstrengung“, von der auch Kinder und Jugendliche betroffen sein werden. Ironischerweise unterfüttert Correctiv damit die Erzählung, die es zu dekonstruieren sucht – und Lauterbach bestärkt sie.


Ergänzung der Redaktion: Die Nachrichtenagentur dts meldet, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Montag einen nationalen Hitzeplan vorstellen will, um ältere und kranke Menschen vor den immer extremeren Hitzewellen zu schützen. „Es muss aufhören, dass jedes Jahr Tausende Menschen den Hitzetod sterben – und das wird noch nicht einmal registriert“, sagte Lauterbach der „Bild am Sonntag“.

Laut des fünfseitigen Plans soll die Bevölkerung stärker vor den Gefahren zunehmender Hitze gewarnt werden. Pflegeheime, Kommunen, Krankenhäuser bekommen konkrete Konzepte zur Verfügung gestellt, um auf Hitzewellen zu reagieren. Zurückgreifen will Lauterbach auf das Hitzewarnsystem des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Geplant ist außerdem die Gründung einer interministeriellen Arbeitsgruppe mit dem Umweltministerium und weiteren Ressorts (Verkehr, Bau, Arbeit und Soziales, Innen).

Mit Experten und verantwortlichen Ressortkollegen wird sich Lauterbach am Montag zum Hitzeschutzplan austauschen. Erwartet werden in Berlin Vertreter aus der Ärzteschaft, der Pflege, von Krankenkassen, Kommunen und dem DWD.

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