Tichys Einblick
"Einigung" mit den Ländern

Lauterbachs Revolution frisst Deutschlands Krankenhäuser

Karl Lauterbach und die Länder haben sich in Sachen Krankenhausreform geeinigt. Schon wieder. Doch wichtige Fragen bleiben offen. Nach wie vor. Derweil sterben die Krankenhäuser ungebremst weiter.

Karl Lauterbach besucht Integriertes Notfallzentrum INZ im Marienkrankenhaus in Hamburg-Hohenfelde, 30.06.2023

IMAGO/Chris Emil Janßen

Eine Zahl ist es, die momentan die Verhandlungen zwischen Karl Lauterbach (SPD) und den Gesundheitsministern der Länder nicht beherrscht. Dies aber sollte: 500 Millionen Euro machen Deutschlands Krankenhäuser jeden Monat an Minus. Das sagt Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Die hat sich im Maritim-Hotel in der Berliner Friedrichstraße zum Krankenhausgipfel Special versammelt – einen Tag nach dem nächsten Durchbruch zwischen Bundesminister und Ländern.

Der Gesundheitsminister ist im Maritim-Hotel und spricht vor dem Gipfel. Kleinlaut. Für seine Verhältnisse. Im Dezember hatte er in Sachen Reform noch eine „Revolution“ angekündigt. Nach der Einigung mit den Gesundheitsministern der Länder am Montag hatte der Erfinder der „absoluten Killervariante“ versucht, an seiner spektakulären Sprachregelung festzuhalten. Doch selbst regierungsnahe Medien attestierten ihm danach, dass von seiner Revolution nichts übriggeblieben sei. Also lässt er es vor den versammelten Krankenhaus-Experten. Die schmunzeln und grinsen auch so schon während seiner „Key Note“ öfters, als sie dem Bundesgesundheitsminister anerkennend applaudieren.

Denkbar wenig hat Lauterbach von den Ländern mitgebracht: Bestimmte Operationen sollen nur noch in Krankenhäusern stattfinden, die diese oft genug praktizieren. So soll zum Beispiel nur noch ein Chirurg Eingriffe am Herzen vornehmen dürfen, der das etwa mindestens 100 Mal im Jahr macht. Von der Notwendigkeit dieses Schritts ist nahezu das gesamte deutsche Gesundheitswesen seit 20 Jahren überzeugt. Lauterbach und Länder haben jetzt immerhin eine Absichtserklärung hinbekommen. Der Entschluss steht noch aus. Ja, es gibt noch nicht einmal einen Entwurf. Den soll jetzt eine „Redaktionsgruppe“ erarbeiten.

Als Erfolg feiert Lauterbach zudem die Einschränkung der Bezahlung von Kliniken nach Fallpauschalen. Dass er die vor rund 20 Jahren als Berater maßgeblich mit herbeigeführt hat? Geschenkt. Wie viele sich widersprechende Meinungen Lauterbach alleine vertreten kann, hat er schon während der Pandemie ausreichend bewiesen. Nun sollen Krankenhäuser zu 60 Prozent schon dafür bezahlt werden, dass sie Angebot anbieten – der Fachbegriff dafür lautet „Vorhaltepauschale“. Die restlichen 40 Prozent sollen sich Krankenhäuser durch Fallpauschalen verdienen. Wobei es noch zusätzliche „Qualitätsprüfungen“ geben soll, falls diese Fallpauschalen die konkreten Kosten für eine Behandlung nicht abdecken.

Der dritte Punkt, auf den sich Lauterbach und die Länder geeinigt haben, ist ein Klassiker der politischen Versprechen: Die Bürokratie soll abgebaut werden. Dieses Versprechen fehlt seit 20 Jahren in keiner Regierungserklärung. Doch daraufhin folgen immer mehr Gesetze mit immer mehr Ausnahmeregelungen, ein wild wuchernder Wald an Formularen, die ausgefüllt werden wollen und eine ebenso wachsende Verwaltung, die diese Formulare dann bearbeitet. Alleine im letzten Jahr ist der öffentliche Dienst um über 100.000 zusätzliche Stellen gewachsen.

Entsprechend glaubt Gaß dem Versprechen des Bürokratieabbaus nicht: Lauterbach und die Länder hätten keine einzige Maßnahme vorgeschlagen, die zum Abbau von Bürokratie führe. Tatsächlich geeinigt hätten sie sich aber auf die Qualitätsprüfung und die Vorhaltefinanzierung. Diese würden wiederum jede Menge Verwaltung mit sich bringen. Lauterbach verspricht in seiner Key Note dann, dass es in den Krankenhäusern der untersten Stufe künftig kaum noch Prüfungen der erbrachten Leistungen geben werde. Das werde entsprechend für den Abbau von Bürokratie sorgen.

Nur: Wie oder ob überhaupt sein Stufenmodell kommen wird, das ist genau der Punkt, den Lauterbach und die Länder in die „Redaktionsgruppe“ verschoben haben. Der Bundesgesundheitsminister hatte im Dezember ein striktes Modell mit drei Stufen angekündigt. Im obersten Level die Vollversorger wie etwa Unikliniken, die alle Leistungen anbieten. Darunter im zweiten Level Krankenhäuser, die noch gewisse Leistungen erbringen dürfen. Und im untersten Level quasi Pflegeheime mit Ambulanz, deren medizinische Leitung von Pflegern besetzt werden kann.

Diese Idee hatte Lauterbach mit einer Expertenkommission ausgebrütet und im Dezember als „Revolution“ des Krankenhauswesens angekündigt. Stolz hatte er auf der entsprechenden Pressekonferenz erklärt, dass die Kommission und er das bewusst an Ländern, Krankenkassen oder Krankenhausgesellschaft vorbei geplant hätten – denn die hätten nur die Radikalität der Idee verwässert. Blöd nur, dass die Frage, welche Leistung ein Krankenhaus anbieten darf, Ländersache ist. Lauterbach darf das gar nicht entscheiden. Und ein Revolutionär ist er bestenfalls verbal, die Verfassung gebietet ihm vorläufig noch Einhalt.

Nach Lauterbachs Modell hätte eine Fachklinik sich unter das Dach eines Vollversorgers begeben müssen, um zu überleben. Eine Klinik mit einer funktionierenden Stroke Unit, die ausreichend Schlaganfälle im Jahr behandelt, um als spezialisiert zu gelten, hätte diese Abteilung schließen müssen, wenn das Haus nicht als Vollversorger anerkannt worden wäre. Für die Patienten hätte das Folgen gehabt: Ein 70 Jahre alter Mann mit einem Schlaganfall hätte dutzende Kilometer weiter fahren müssen zur Behandlung als bisher, weil er in seinem bisherigen Krankenhaus nicht gleichzeitig hätte entbinden können. Gegen solche Entscheidungen vom Reißbrett wehren sich die Länder – erfolgreich, wie es aussieht.

Allerdings, das kündigt Gaß in seiner Rede an, sei Stand jetzt immer noch unklar, wer darüber entscheiden soll, welche Leistungen ein Krankenhaus künftig anbieten soll: das jeweilige Land? Die Kassenärztliche Vereinigung? Ebenso sei der Politik nicht bewusst, welchen Aufwand es mit sich bringe, um vereinheitlichte Regeln in 16 Landesgesetze umzuwandeln. Auch bedachten weder Lauterbach noch die Länderminister, wie viele Krankenhäuser noch angesichts der derzeitigen Unterfinanzierung sterben würden, bis die Änderungen tatsächlich griffen.

Lauterbach möchte grundsätzlich eine Versorgung, die Krankenhäuser auf dem Land erhält und Überkapazitäten in den Ballungsgebieten abschafft. In diesem Punkt wird der Minister tatsächlich vom Gesundheitswesen getragen. Nur: Greift die Politik jetzt nicht ein, werden es gerade diese Krankenhäuser auf dem Land nicht schaffen, bis die Reformen greifen, warnt Gaß. Für den Chef der Krankenhausgesellschaft wird das frühestens 2027 der Fall sein.

Die Branche wolle weder Almosen noch ein Rettungspaket. Die Erlöse der Krankenhäuser müssten an die durch die Inflation explodierenden Kosten angepasst werden. Das sei nicht passiert, sagt Gaß zu seinem Gast. Diese Anpassung hat der Gast verschlafen, kann beispielsweise ein Journalist sagen, der nicht auf Gastfreundlichkeit Rücksicht nehmen muss.

Lauterbach verweis drauf, dass dem Bund dafür das Geld fehlt, die Länder aber Spielräume hätten. Das ist eine Sicht, die zum Beispiel der Bundesrechnungshof bestätigt. Einzelne Länder wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen haben entsprechend auch schon angekündigt, mit Milliardenbeiträgen ein Krankenhaussterben verhindern zu wollen. Andere Länder werden zeigen müssen, ob sie das hinkriegen. Wo das nicht gelingt, sterben die Krankenhäuser. Die Frage, wie gut die Behandlung bisher war, spielt dann überhaupt keine Rolle mehr. Ebenso wenig wie die Frage, ob die Wege zur nächsten Behandlung zu weit werden. Tritt dieses Szenario in den nächsten Jahren ein, ist Lauterbachs Revolution mit vielen sinnlosen Toten verbunden – es wäre allerdings nicht die erste Revolution, die so endet.

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