„Hitzeschutz ist Lebensschutz“ – so hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gegenüber der Bild am Sonntag seinen Hitzeaktionsplan verteidigt. Während es vor ein paar Tagen noch hieß, es ginge nur um den Schutz von „Alten und Kranken“, so hat Lauterbach die Schutzzone nochmals vergrößert: Alte Menschen, Pflegebedürftige, Vorerkrankte, aber auch Kinder, Schwangere und Menschen, die sich beruflich oder privat viel im Freien aufhielten, seien gefährdet, wenn „Hitzewellen über Deutschland rollen“. Es werde noch nicht einmal registriert, dass jedes Jahr Tausende an Hitze stürben, so der SPD-Politiker. Laut Robert-Koch-Institut starben zwischen 2018 und 2020 mehr als 19.000 Menschen in Deutschland an Hitze.
Vor dem Treffen mit Vertretern von Pflege, Ärzteschaft, Kommunen, Ländern und Sozialverbänden am Montag hatte jedoch nicht nur Lauterbach neuerlich die Notwendigkeit von Hitzemaßnahmen betont. Der Bundestagsabgeordnete Johannes Wagner (Grüne) forderte gegenüber t-online einen Hitzeschutzplan für jedes Krankenhaus, jede Kommune und jede Kita. Das RKI müsse auch seine Statistik für hitzebedingte Todesfälle verbessern. Entscheidend seien bauplanerischer Maßnahmen. Öffentliche Plätze müssten entsiegelt, Fassaden und Dächer begrünt, Bäume erhalten und neu gepflanzt werden. „Das kann auch mal bedeuten, dass ein Parkplatz einem Baum weichen muss“, erklärte Wagner gegenüber dem Portal. „Das ist eine Frage der Lebensqualität, aber auch des Überlebens, da die Hitze in Städten tödlich sein kann.“
Auch Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, erklärte: „Jeder Hitzetote ist einer zu viel.“ Was früher ein Jahrhundertsommer gewesen sei, sei nun „Normalität“. Der Sozialverband VdK kritisierte, dass das Treffen am Montag deutlich zu spät komme. Die Präsidentin Verena Bentele forderte den raschen Einbau von Klimaanlagen für Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und Altersheime. Dem Plan müssten nun schnell Taten folgen, denn jede Verzögerung ginge auf Kosten der Betroffenen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert Investitionen in Milliardenhöhe. Vorstand Eugen Brysch sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass ein nationaler Hitzeschutzplan sonst nicht viel wert wäre. Neubauten ohne Temperaturbegrenzung auf maximal 25 Grad dürften nicht mehr in Betrieb gehen, das müsste im Plan verankert werden.
Der DAK-Vorstandschef Andreas Storm begrüßte das Vorgehen der Bundesregierung. „Es ist alarmierend, wie viele Menschen schon in den ersten Hitze-Wochen Gesundheitsprobleme hatten“, so Storm. „Unser Hitzereport zeigt, dass die Mehrheit der Befragten große Sorgen haben und die bisherigen Schutzmaßnahmen nicht ausreichend finden.“ Der Hitzereport zeige, dass ein Fünftel der Deutschen im Jahr 2023 unter extremer Hitze leide, die sich in Abgeschlagenheit, Kreislaufproblemen und Schlafstörungen äußerten. Bei den Über60-Jährigen sei sogar ein Viertel betroffen. Laut Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse machen Hitzewellen und Extremwetter zwei Drittel der Menschen große Sorgen. 72 Prozent der Deutschen forderten daher, es müsse mehr zum Schutz der Bevölkerung vor extremer Hitze getan werden.
Storm betonte, es brauche „Sofortmaßnahmen“ noch für diesen Sommer. „Es ist richtig, dass der Minister schnell handelt und hier ein breites Bündnis bildet“, so Storm. „Vor allem Kinder, Kranke und ältere Menschen müssen besser vor Hitze geschützt werden.“ Man könne nicht noch zwei Jahre auf flächendeckende Maßnahmen warten. „Wir brauchen jetzt kurzfristige Maßnahmen und ein Hitzewarnsystem“, forderte Storm. „Deshalb könnte ein Stufenplan mit einem Sofortschutz und mittelfristigen Maßnahmen sinnvoll sein.“ Für den Hitzereport befragte Forsa rund 1.000 Bundesbürger.
Der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Martin Sichert, kritisierte den Hitzeschutzplan. Es handele sich um „populistischen Irrsinn“ und habe mit Lebensschutz nichts zu tun. Vielmehr hätten noch im letzten Jahr Kinder und Jugendliche bei hochsommerlichen Temperaturen mit Maske in Unterrichtsräumen sitzen müssen. Das Vorhaben sei an „Scheinheiligkeit nicht zu überbieten“. Der Hitzeschutzplan sei „vollkommen unnötig“. „Es ist offensichtlich, warum Lauterbach dieses Vorhaben auf die Tagesordnung setzt: Als Teil der Ampel-Regierung muss er seinen Part dazu beitragen, um den Menschen Angst vor einer angeblich menschgemachten Klimaveränderung zu machen und so die ideologisch verblendete ‚Klimarettungspolitik‘ zu stützen“, so Sichert.
Am Montagmorgen hatte sich Lauterbach bereits mit seinem französischen Amtskollegen Francois Braun über den Hitzeplan besprochen. „Frankreich hat mit dem vorbildlichen Hitzeschutzplan in den letzten Jahren Tausende Menschen jeden Sommer gerettet. Seit 2004. Jetzt ziehen wir nach“, erklärte Lauterbach auf Twitter. Der Hitzeschutzplan soll nicht nur sein Ministerium betreffen: in einer Arbeitsgruppe sollen auch die Ministerien für Inneres, Arbeit, Umwelt, Verkehr und Bau an dem Plan mitwirken. Bezeichnend, wer nicht involviert ist: nämlich das Ministerium für Wirtschaft und Klima von Robert Habeck. Dabei könnte nach dem flächenmäßigen Einbau von Wärmepumpen auch der größere Einsatz von Klimaanlagen ein Thema sein, das die Stromversorgung und die Klimapolitik in Deutschland betreffen würde.