Mit Karl Lauterbach (SPD) und dem Gesundheitswesen ist es wie mit einem Ehepaar im Bett – die Decke ist immer zu kurz. Egal wer wo zieht, einer liegt immer blank da: Die Kranken- und Pflegekassen sind unterfinanziert. Vorerst stopft der Gesundheitsminister Löcher, in dem er Rücklagen aufbraucht und Kredite zulässt. Das trägt ihn und das Gesundheitssystem bestenfalls noch übers nächste Jahr. Auch die Krankenhäuser warnen vor einer Pleitewelle, weil die Kosten und Einnahmeausfälle für Corona, ausgebliebene Behandlungen und Strom sie rote Zahlen schreiben lassen.
Lösen lässt sich das mit Geld. Aber das ist selbst in Zeiten des „Doppelwumms“ immer noch begrenzt. So verspricht Lauterbach den Krankenhäusern und Pflegeheimen 8 Milliarden Euro aus dem „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“, um mit den explodierten Energiepreisen zurecht zu kommen. Doch auch das verschiebt nur die Probleme der Kliniken und Heime nur kurzfristig.
Was bedeutet das? Aufgaben, die heute Physiotherapeuten, Logopäden oder Hebammen übernehmen, müssten die Krankenhäuser querfinanzieren, streichen oder von anderen Pflegern übernehmen lassen. Krankenhäuser finanzieren den laufenden Betrieb aus dem Geld, das sie für Behandlungen von den Kassen erhalten. Für Investitionen sind die Länder zuständig. Doch die statten die Kliniken zu schlecht aus. Das hat zwei Folgen: Zum einen ist laut Deutscher Krankenhausgesellschaft allein zwischen 2010 und 2019 ein Investitionsstau von 30 Milliarden Euro in deutschen Kliniken entstanden. Zum anderen zweckentfremden die Kliniken das Geld der Krankenkassen und zahlen damit einen Teil der notwendigen Investitionen.
Die Bettdecke ist zu kurz: Dass Krankenhäuser das Geld der Kassen schon jetzt für Investitionen missbrauchen müssen, geht zu Lasten der Qualität der Behandlung. Wenn sie jetzt auch noch Dienstleister wie Physiotherapeuten, Logopäden oder Hebammen querfinanzieren müssen, fällt der medizinische Standard in Deutschland weiter ab. Auch möglich ist, dass den ohnehin überarbeiteten, verbleibenden Pflegern noch mehr Arbeit aufgelastet wird. Wenn sie etwa die Betreuung der Neugeborenen und deren Mütter mit übernehmen müssen.
Doch schon jetzt fehlt es an Pflegern. Entsprechend sind die vorhandenen überarbeitet. 30 000 unbesetzte Stellen gebe es in den Kliniken, teilte Henriette Neumeyer dem Focus mit. Sie ist die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Allein im letzten Jahr sei die Zahl der unbesetzten Stellen um 10 000 Stellen angestiegen. Nun soll das dermaßen unterbesetzte Personal noch zusätzlich Aufgaben übernehmen. Was sagen seine Vertreter dazu? Ricardo Lange ist als Pfleger berühmt geworden, als er seinem Berufsstand während der Pandemie eine Stimme verlieh. Er formuliert auf Twitter mit gewohnt drastischen Worten: „An der Versorgung von Schwangeren sparen? Sorry, ihr spinnt doch!“
Mit seiner Sicht der Dinge scheint Lange alles andere als allein zu stehen. Michelle Franco aus Karlsruhe hat auf Change.org eine Petition gestartet. Sie ist nach eigenen Angaben Mutter einer Tochter und studiert Jura. „Hebammen waren ein wichtiger Teil meiner Schwangerschaft, sowohl vor, als auch nach der Geburt. Es ist mir wichtig, dass auch andere Menschen weiterhin diese Versorgung erhalten“, begründet sie die Petition auf Change.org. Mehr als 1,2 Millionen Menschen haben diese in wenigen Tagen unterschrieben. Damit gehört sie laut der Plattform zu den am meist unterstützten Petitionen in Deutschland.
An Lauterbach und die Bundesregierung schreibt Franco: Das Gesetz werde „gravierende Folgen für die Geburtshilfe in Deutschland haben“. Hebammen drohe die Kündigung. Dabei seien diese „essenziell für eine qualitative Betreuung von Frauen und Neugeborenen“. Würden dafür ersatzweise andere Pfleger eingesetzt, dann habe das „einen massiven negativen Einfluss auf die Versorgungsqualität“. Hebammen brächten durch ihre Ausbildung und ihre tägliche Arbeit Kenntnisse mit, die nicht nebenbei ersetzt werden könnten. Zumal das Pflegepersonal schon jetzt überlastet sei. Franco verweist auf die Statistik des Deutschen Hebammenverbandes. So habe es 1991 noch 1186 Krankenhäuser mit Geburtshilfe gegeben. 2018 waren es nur noch 655.
Das entspricht einem Rückgang von über 40 Prozent. Obwohl die Geburtenzahlen mittlerweile wieder stiegen. Angesichts dieser Situation warnt Franco: „Viele Frauen sind bereits verzweifelt, weil ihre Kreißsäle und Wochenbettstationen überfüllt sind. Schwangere werden im Voraus bei Kliniken wegen Überlastung abgelehnt. Schwangere haben bereits Probleme beim Finden einer Hebamme für die Wochenbettbetreuung zuhause. Umso wichtiger ist doch eine qualitativ hochwertige Betreuung nach der Geburt im Krankenhaus.“
Lauterbach spürt den Gegenwind. Zumindest in Sachen Klinikfinanzierung gibt er ein Stück weit nach und kündigt weiteres Geld an. Laut dem von der SPD stets gut informierten RND sollen die Kliniken über zwei Jahre verteilt zusätzliche 240 Millionen Euro vom Bund erhalten.