Die Veröffentlichung und erste Sichtung der RKI-Protokolle hat genug Staub aufgewirbelt, um auch die üblichen Verdächtigen aufzuscheuchen. Es konnte nicht lange dauern, bis die Hauptunterstützer von Pandemie und darauf aufbauender Politik sich meldeten. Die Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) und Janosch Dahmen (Grüne) blasen zum vereinten Halali auf Multipolar und versuchen, den Rest der Presse von dem kritischen Magazin zu trennen. Dabei nutzen sie einen schlichten Topos der heutigen Kritik der Regierenden an den Regierten. Kurz gesagt ginge es um Russenpropaganda, die angeblich mit den RKI-Protokollen getrieben werde. Absurder wird es auch nicht mehr.
Nun hauen Lauterbach und Dahmen in dieselbe Kerbe – sollen als nächstes deutsche Online-Magazine zugesperrt werden? Dafür gibt es auch durch das EU-Digitalgesetz keine Handhabe. Aber es klingt ja immer gut, wenn etwas mehr auf dem Spiel steht als nur die eigene Politik. In einem Tweet auf der gefährlichen Plattform X – für die er aber wohl noch kein Spezialhandy angeschafft hat wie für TikTok – spricht Lauterbach zuerst anerkennend von „Aufklärung“, die gut sei. Erstaunlich, Lauterbach will sich und seinem Vorgänger also in die Karten schauen lassen. Das scheint nobel.
Sensationsfund: Multipolar denkt multipolar
Doch gleich darauf folgt ein heftiger Vorwurf: „Durch Einmischung fremder Regierungen“ seien Verschwörungstheorien in sozialen Medien entstanden, und das dürfe man nicht zulassen. Da ist er wieder, der Ampel-Patriotismus, der immer nur dann auf Abruf bereitsteht, wenn es den Ministern selbst ans Leder geht. Nun haben sich Verschwörungstheorien in letzter Zeit immer wieder als wahr erwiesen. Die „Einmischung aus dem Ausland“ ist aber schlichtweg aus der Luft gegriffen und eigentlich diffamierend. Vielleicht Grund für eine neue Klage von Multipolar, nun gegen Lauterbach?
Die einzige Erklärung für Lauterbachs abstruse Verknüpfung mit „fremden Regierungen“ (also ja wohl Russland) ist, dass die Herausgeber von Multipolar sich für eine multipolare Ordnung interessieren und dabei auch russische Perspektiven nicht ausschließen. Was diese intellektuell redliche, in Büchern und Artikeln erklärte Position mit der Kritik an der deutschen Corona-Politik und den RKI-Protokollen zu tun haben soll, bleibt unklar. Und auch die Tätigkeit „fremder Regierungen“, also das direkte Engagement des Kremls bei Multipolar bleibt eine unbewiesene, vielleicht justiziable Unterstellung.
Janosch Dahmen geht hier weiter ins Detail. Für Dahmen ist die Geschichte vom externen Akteur, der die „Hochskalierung“ des Virusgeschehens in Deutschland im März 2020 veranlasst hat, ein „wahrheitswidriges Gerücht“, das sich heute einer „virulenten Verbreitung“ erfreue. Und das ist ja, was EU und Ampel möglichst schnell beenden wollen: die rasche Verbreitung unbequemer Inhalte online.
Grüner jammert über noch mehr „Desinformation“
Tatsächlich handelt es sich aber um eine legitime Vermutung, dass hinter der geschwärzten Stelle ein hoher Entscheidungsträger, vielleicht ein Minister steht. Wenn das nicht so ist, kann man ja Ross und Reiter nennen. Dann gibt es auch keine Gerüchte mehr. Das tut aber weder Dahmen noch Lauterbach.
Bei Dahmen sind es nun schon „ausländische Nachrichtendienste“, die hinter den RKI-Enthüllungen stecken, alles mit dem Ziel, „unsere Gesellschaft vor dem Hintergrund von Russlands Krieg gegen die Ukraine weiter zu spalten und Politik handlungsunfähig zu machen“. Das sind geradezu phantastische Assoziationen. Als ob die Offenlegung des Pandemie-Kommunikationssalats und eines Bündels verfehlter, schlecht begründeter Maßnahmen Deutschland heute handlungsunfähiger machen könnten, als die Ampel ohnehin ist – zumal in Sachen Ukraine mit einer Blockade zwischen Kanzler- und Auswärtigem Amt, die zum internationalen Ereignis wurde.
Beachtlich ist dabei: Der Grüne spricht von „weiterer Desinformation“ – denn für die Partei wird es langsam zu viel mit dieser „Desinformation“, die sich oft in recht guter Übereinstimmung mit der Realität befindet. Oder meint Dahmen eigentlich jenen neuen US-Modebegriff „malinformation“, also die zutreffende, aber „schlechte“ oder schädliche Information, die sich die Regierenden ja auch oft genug wegwünschen?
„Kleine Gruppen versuchen, Politik gegen den Staat zu machen“
In seinem Video-Statement bei der Nachrichtenagentur Reuters stellt Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) fest, das RKI habe „unabhängig von politischer Weisung das Richtige getan“. Das RKI habe „wissenschaftlich unabhängig viel geleistet“, wiederholt Lauterbach in seinem Tweet. Aber die Formulierungen sind interpretationsfähig: Vieles, was das RKI leistete, war „wissenschaftlich unabhängig“ – manches vielleicht nicht. Und wer bestimmt eigentlich, was „das Richtige“ ist? Ob die Worte des zentralen Pandemiepolitikers in Deutschland – mit intensivem Eigeninteresse – hier viel Gewicht haben, ist eher fraglich.
Immerhin: Sogar Lauterbach gibt zu, dass die Schäden durch Lockdowns in afrikanischen Ländern gravierend gewesen wären. Für Deutschland mag er das Gleiche nicht zugeben. Hier soll der Lockdown immer noch als alternativlos und schadlos gelten, obwohl andere in der Altersstruktur vergleichbare Gesellschaften wie Schweden oder Texas praktisch ohne ihn auskamen.
Und dann wiederholt Lauterbach noch seinen eigenen Long-Covid-Mythos, obgleich internationale Forscher davon ausgehen, dass weder die Symptome dieser Erkrankung klar sind noch das Syndrom überhaupt irgendwie beachtlich wäre im Vergleich mit anderen Virusinfektionen wie der Grippe.
Aber es kommt noch schöner. In typischer Selbstüberhebung erkennt Karl Lauterbach laut Zeit schon wieder, wie „kleine Gruppen versuchen, das Thema zu nutzen und damit Politik gegen den Staat zu machen“. Das könne die Gesellschaft nicht voranbringen.
Gegen den Staat – also dieses seltsame Wesen, das laut Freund Habeck keine Fehler macht. Lauterbach scheint dasselbe zu glauben. Zudem identifiziert er aber den Staat mit der Regierung und also mit sich selbst, dem Gesundheitsminister, der voller Verve den Stab von Jens Spahn übernommen hat, nachdem er seine Version von Pandemiepolitik lange genug via Markus Lanz in die Wohnzimmer der Deutschen gesendet hatte. Eine Vision, die so nah an Null-Covid grenzte, wie der Vitalstoff Salz bekanntlich des Teufels ist. Oder vertrat Lauterbach die abstruse These von einer keimfreien Gesellschaft sogar selbst? Viel fehlte nicht. Und diesem allmächtigen Staat stehen natürlich nur „kleine Gruppen“ gegenüber, die praktisch schon isoliert und zur Strecke gebracht scheinen von den staatlichen Meinungsauskämmern.
AfD und BSW fordern sofortigen Untersuchungsausschuss
Laut dem RKI selbst spiegeln die Diskussionen „den offenen wissenschaftlichen Diskurs wider, in dem verschiedene Perspektiven angesprochen und abgewogen werden“. Einzelne Äußerungen spiegeln dabei nicht zwangsläufig die abgestimmte Position des RKI wider, lauten die doch vorsichtigen Hinweise. Der Eindruck lässt sich aber nicht ganz zerschlagen, dass die RKI-Runde an vielen Stellen mehr wusste, als die Politik in ihren Nachdenkprozess einbeziehen wollte. Und das betraf gerade brisante Themen wie Maskenpflicht, Lockdown, Schulschließungen, Nutzen der „Impfung“, Angemessenheit von „Impfzertifikaten“ usw. usf.
Janosch Dahmen ist natürlich gegen eine Enquete-Kommission oder einen U-Ausschuss. Er wittert Instrumentalisierung angesichts „anstehender Wahlkämpfe“. Dabei nimmt aber auch er das Wort „Aufarbeitung der Pandemie“ in den Mund – eine Aufarbeitung, die er zu keinem Zeitpunkt wollen wird. Denn irgendwo ist immer Wahlkampf. Wolfgang Kubicki (FDP) spricht vom RKI als „wissenschaftlicher Fassade“ für die Gesundheitspolitik von Minister Spahn (CDU).
Doch selbst wenn es sich bei dem geschwärzten Signalgeber für die „Hochskalierung“ der Pandemiestufe um einen „RKI-Mitarbeiter“ gehandelt hat, wie Lauterbach nun dekretiert – vielleicht war es ja Lothar Wieler persönlich –, bleibt es dabei, dass die Pandemie im März 2020 herbeigetestet wurde, indem die Testzahl in kurzer Zeit stark erhöht wurde, ohne dass sich die Positivquote wesentlich erhöht hätte. Das bedeutet, die Dynamik bei den „Fällen“ verdankte sich ganz allein der letztlich politischen Anweisung zu mehr Tests.
Die damals nachgewiesenen „Corona-Infektionen“ lagen in der Tat niedriger als die Grippe-Infektionen, wie das Gesundheitsministerium mitteilte. Auslöser der Risikoeinstufung als „hoch“ und damit letztlich aller folgenden Corona-Maßnahmen war damit die Panik vor einem neuen Erreger, nicht ernsthafte Sorge wegen besorgniserregender Geschehnisse in Deutschland.