Die Hessen machen es spannend: 1987 dauerte die Auszählung bis in den Morgen; mit nur gut 2.500 Stimmen war Walter Wallmann (CDU) dann Sieger. Vor fünf Jahren war der Einzug der FDP in den Landtag lange ungewiss. An diesem Wahlabend wird es ähnlich spannend: Im neuen 6-Parteien-Parlament sind unterschiedlichste Koalitionen möglich. Trotz 10 Prozentpunkten Verlust könnte Volker Bouffier weiter Ministerpräsident bleiben, mit den Grünen, mit der SPD plus/minus FDP. Das reicht für Merkel – Hessenpatex.
Kein klares Ergebnis
Damit verlängert sich die Berliner Hängepartie: Eine Handlungsunfähige GroKo, deren einzige Gemeinsamkeit darin besteht, dass man Geschenke an die Wähler verschenkt: Das „Gute-Kita-Gesetz“ wird nicht die Qualität der Betreuung verbessern, sondern lediglich die Gebühren auf Null fahren. Das spart Eltern Geld, schön für sie. Die Rentenreform beglückt bedürftige Mütter und mehr noch solche, die nie damit gerechnet haben und die Mittel auch nicht brauchen. Arbeitgeber zahlen wieder höhere Sozialbeiträge; es sind Lohnbestandteile, so oder so. Die Koalition setzt auf die Unkenntnis der Wähler und verkauft sie für dumm.
Zwar verlieren die GroKo-Parteien 22 Prozent ihrer Wähler in Hessen; ein rekordverdächtiges Minus. Aber der Druck reicht nicht aus, um Neuwahlen bundesweit zu erzwingen: Ängstlich werden sich in Berlin die Verlierer aneinanderklammern. Das sichert Posten und Pöstchen, die bei einer Neuwahl weg wären. Die Angst vor dem Untergang wird zur Bestimmungsgröße der Politik – zumindest vorerst. Nur wenn Volker Bouffier von der CDU sein Amt verliert, wird die Bundes-CDU gegen Merkel meutern. Nur wenn die SPD unter 20 absinkt, wird es eng für die Parteivorsitzende Nahles. Die Wahl hat die SPD gefühlt gewonnen, weil sie besser ist als die schlechteste Prognose. Wenn sich sogar beide Verlierer aneinanderklammern, reicht es noch zur Mehrheit der Ertrinkenden. Am Montag will Andrea Nahles mit einem Vorschlag zur GroKo rüberkommen. Ausstieg wird es nicht sein.
Die Grünen gewinnen und hofften lange auf einen zweiten Ministerpräsidenten nach dem, der Baden-Württemberg lähmt. Dazu wird es wohl nicht reichen. Die AfD, so viel ist sicher, wird zweistellig. Sie ist in Rekordzeit in alle Landtage und in den Bundestag eingezogen. Aber sie bleibt ohne Gestaltungseinfluss gegen die gemeinsame Front aller anderen Parteien. Ein kleiner Gewinn für die FDP reicht, um ihren unklaren Kurs beizubehalten. Und die Linke ist nur noch mit sich selbst beschäftigt, ohne Plan, Perspektive und Idee. In Hessen bleibt ihr bei allem Nichts sogar die Hoffnung auf ein Regierungsamt in einer grün-rot-roten Koalition, notfalls mit den Liberalen in allen möglichen Variationen: Alles bleibt möglich.
In der Zwischenzeit hängt das Land in einem Vakuum des fortgesetzten Selbstbetrugs.
Beispiel gefällig?
Lächerlichkeit tötet
Beim „Dresdner Kraftwerktechnischen Kolloquium“ treffen sich seit 50 Jahren diejenigen, die das Land buchstäblich am laufen halten: Spezialisten für Turbinen und Wasserkraftwerke, Ingenieure, Techniker, Wissenschaftler, die Strom erzeugen, verteilen, regeln. In diesem Jahr war das Motto nicht technisch, sondern literarisch und stützte sich auf eine bissige Bemerkung von Mark Twain:
„Als die Reisenden feststellten, dass sie vom Weg abgekommen waren, verdoppelten sie die Geschwindigkeit.“
Jeder der fast 1.000 Teilnehmer hat es verstanden: Angela Merkels Energiewende ist gescheitert; aber statt das Scheitern einzugestehen und zu kontrollieren, werden die Mühen des Scheiterns verdoppelt: mehr Kraftwerke abschalten, bestehende Infrastrukturen schneller zerstören, mehr Sonnenpaneele und Windkraftwerke bauen, die Nachts oder bei Windstille kein Watt mehr Strom erzeugen. Wenn es stimmt, dass Lächerlichkeit tötet, dann starb Merkels Regierung im Dresdner Kongresszentrum.
Allerdings: Die Revolution findet nur im Saal statt und beim Kaffee an den Stehtischen. Die neue deutsche Innerlichkeit verpackt Kritik an der Regierung hinter Floskeln wie „Fuel Change“ und „Modellierungen“, die vorgaukeln, wie man es schaffen könnte. Unter idealen Bedingungen und bestenfalls, nicht realistischerweise. Niemand glaubt dran, aber macht weiter, mit doppelter Geschwindigkeit. Die Kraft zur Umkehr fehlt.
Der Eisberg liegt falsch
Aber Energiepolitik ist nur eines dieser Politikfelder, in denen eine Regierung gegen Protest und bar jeder Sinnhaftigkeit einfach weitermacht: Fahrverbote im Rhein-Main-Gebiet, einer der Herzkammern der deutschen Wirtschaft? CDU und SPD blocken mit Rücksicht auf die Grünen eine Überprüfung der offenkundig fehlerhaft aufgestellten Messstationen ab. Hunderttausende Autofahrer sind betroffen, Milliardenwerte vernichtet, die Luft wird dadurch auch nicht besser – aber Politik hält sich an Erich Honecker: „Den Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf“. Im Klartext: Es wird weitergemacht. Partei und Medien halten zusammen gegen Bevölkerung und Wirklichkeit. Deutschland bewegt sich in einer Scheinwelt: In Köln versucht ein Syrer, im Hauptbahnhof mit Gasflaschen und Stahlkugeln ein Blutbad anzurichten, nimmt eine Geisel, ein junges Mädchen erleidet schwerste Brandverletzungen: Kein Aufschrei. In Freiburg vergewaltigen ein Dutzend „Flüchtlinge” stundenlang eine junge Frau – nur ein Einzelfall, der nicht „missbraucht“ werden dürfe und es wird gegen „Rechts“ demonstriert, um das Entsetzen nicht wahrnehmen zu müssen. Nicht mehr die Tat erregt Entsetzen, sondern der Schrecken über solche Taten gilt schon als verdächtig.
Für die Politik ist das eine klare Bestätigung.
Der Kurs ist richtig. Nur der Eisberg liegt irgendwie falsch im Weg.