Bis zur Landtagswahl in Bayern vergehen noch vier Wochen. Durch den (gescheiterten) Versuch von Medien und politischen Konkurrenten, Hubert Aiwanger und seine Freien Wähler aus dem politischen Geschäft zu drängen, erhält der bisher nicht sonderlich spannende Wahlkampf plötzlich Dynamik. In welche Richtung? Bisher zeichnete sich in den Umfragen schon ein deutlicher Trend ab: Die CSU liegt in Prognosen von Forsa (2. August) und GMS (9. August) jeweils bei 39 Prozent – also leicht besser verglichen mit 2018, als sie mit 37,2 Prozent ihr schlechtestes Resultat seit 1950 holte. Die Grünen schafften es in beiden Umfragen je auf 14 Prozent – sie stehen also deutlich schlechter da als vor fünf Jahren, als sie 17,6 Prozent holten. Die AfD sahen die Demoskopen Anfang August bei je 14 und 13 Prozent, die SPD bei 9 und die Freidemokraten jeweils bei 4 Prozent. Das Institut Wahlkreisprognose sah am 4. September die CSU sogar bei 42, die AfD als zweitstärkste Kraft bei 15, die Grünen nur bei 12,5 und die Freien Wähler bei 11,5 Prozent. Die FW würden nach diesem für sie bislang schlechtesten Ergebnis ihr Resultat von 2018 (11,6 Prozent) immerhin knapp halten. Nach einer neuesten Umfrage von Insa für BILD stehen die Freien Wähler derzeit sogar bei 15 Prozent.
Alles in allem bedeuten die Zahlen: Die CSU dürfte gestärkt aus der Wahl hervorgehen, die Freien Wähler gleich oder besser. Die Grünen stehen vor heftigen Verlusten, die Sozialdemokraten kommen vermutlich genauso schlecht weg wie beim letzten Wahlgang.
Das beeinflusst den Wahlkampf der beiden Parteien sichtlich: Sie suchen händeringend nach Mitteln, um am Abend des 8. Oktober doch noch etwas besser davonzukommen. Vor allem für die Grünen mit ihrer Frontfrau Katharina Schulze wäre der Absturz bitter. Sie bieten sich fast schon verzweifelt der CSU als Partnerin an. Das strategische Ziel der Grünen besteht darin, die letzte Landesregierung ohne Beteiligung einer linken Partei durch Schwarz-Grün zu ersetzen. Für diesen Plan sieht es allerdings schlecht aus.
In dieser Situation greifen die Bayern-Grünen zu einem Kampagnenmittel, das sie in anderen Wahlen nicht oder kaum verwenden: Sie verzichten demonstrativ auf woke, kulturkämpferische Elemente und sprechen stattdessen ganz gezielt ihr betucht-urbanes Publikum an, in dem sich Aperol Spritz, das 4000-Euro-Lastenrad und der abstrakte Wille zur Weltrettung problemlos kombinieren lassen. Social-Media-Kacheln und offenbar auch eine Plakatserie zielen ganz auf Gefühle und Kinder – und zwar Kinder genau dieser Stammwähler. Adrette Jungen und Mädchen, die Finn Lukas und Ann-Sophie heißen könnten, bitten Papa, Mama und Oma: „Bitte wähl für mich!“
Dabei fällt auf, dass die sonst bei den Grünen immer herausgehobene Diversität keine Rolle spielt: kein Mädchen mit Kopftuch, kein dunkelhäutiger Junger. Alle Models sind hellhäutig – also genau so wie das grüne Zielpublikum in Maxvorstadt und Schwabing.
Im Netz machten sich viele Nutzer über die Kinderschokoladen-Motive lustig. Nicht nur über die fehlende Buntheit, sondern auch über den Gebrauch der im progressiven Milieu nicht unbedingt üblichen Begriffe Papa, Mama und Oma. Heißt es dort, fragen sich Spötter, sonst nicht eher Elter 1 und 2 beziehungsweise alte Umweltsau?
Andere amüsierten sich über die betont biederen Kinderschokolade-Motive, indem sie das Gesicht von Heintje („Mama“) in eine der Wahlwerbungen montierten.
Mit inhaltlichen Angeboten konnten die Grünen in Bayern bisher offenbar nur wenig überzeugen. Ein Plakat etwa zeigt ein Windrad und verspricht „billige Energie“ – was selbst den Grünen grundsätzlich zugeneigte Wähler angesichts der Strompreise als Hohn betrachten dürften.
Und das Gebäudeenergie-Gesetz, das die Ampel in dieser Woche beschließen will, trifft vor allem im ländlichen Bayern viele Hausbesitzer, die zu den Normalverdienern zählen und zu Recht gewaltige Belastungen fürchten. Dazu kommt:
Spitzenkandidatin Katharina Schulze, die während der Corona-Zeit forderte, „der Handel muss endlich für die Ungeimpften geschlossen werden“, gilt nicht gerade als Sympathieträgerin, um es vorsichtig auszudrücken. Wegen ihres Dauerlachens und ihrer Tanzeinlagen auf Instagram verbreitet sie außerdem eher den Eindruck, hier bewerbe sich jemand für den Posten einer Schülersprecherin. Im August erlebten Schulze und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bei einem Bierzelt-Auftritt in Chieming, dass sie gnadenlos ausgepfiffen wurden – auf einer Veranstaltung der Grünen wohlgemerkt, zu der offenbar nur wenige Anhänger und viele den Grünen nicht freundlich gesonnene Bürger gekommen waren. Daraus lernten die Freistaats-Grünen, wenn auch nur in veranstaltungstechnischer Hinsicht: Bei ihrer Polit-Veranstaltung auf Gillamoos verbot die Partei vorsichtshalber Trillerpfeifen und ähnliche Instrumente – aus „gesundheitlichen Gründen“.
Anders als die Grünen mit ihrer gefälligen Konzentration auf das Bio-Bürgertum versuchen die Sozialdemokraten offenbar, ihren Wahlkampf zu einer Abstimmung über Geschichtspolitik zu machen: hier die anständige SPD, dort – also bei CSU und Freien Wählern – mindestens der Präfaschismus. Dabei ist ihnen kein historisches Bild zu schief. „Sophie Scholl hatte Flugblätter gegen die Nazis verteilt und wurde dafür hingerichtet. Und Hubert Aiwanger hatte in seiner Tasche Flugblätter in denen tapfere Frauen wie Sophie Scholl verhöhnt wurden. Ist das eine Jugendsünde? Nein, das ist eine Sauerei!“, rief SPD-Spitzenkandidat Florian von Brunn auf Gillamoos ins Mikrofon.
Vor allem ist es schlichter Unsinn: Das Flugblatt, das Hubert Aiwanger mit 16 in seiner Schultasche trug, erwähnt weder Sophie Scholl noch überhaupt konkrete Personen. Unklar bleibt auch, wie nach von Brunn die Schlussfolgerung aus seiner historischen Herleitung lautet. Dass Aiwanger, Jahrgang 1971, irgendwie die „Weiße Rose“ ein bisschen mitverfolgte? Geschichtspolitik, das könnte er noch merken, eignet sich denkbar schlecht als Thema für eine Landtagswahl. Vor allem in Zeiten von Rezession, Inflation und ungesteuerter Migration.
Und auch die Bayern-SPD leidet unter einem Kandidatenproblem: Nur wenigen sagt der Name Florian von Brunn etwas. Der sitzt zwar seit 10 Jahren im bayerischen Landtag, tat dort aber wenig, um aufzufallen. Eine gewisse Bekanntheit errang er bisher nur, als er versuchte, Aiwanger noch weit vor der Flugblatt-Affäre einen Skandal anzuhängen. Der Wirtschaftsminister hatte am politischen Aschermittwoch im Bierzelt gerufen: „Wenn das Auto klimakorrekt angetrieben ist, dann interessiert es mich mittlerweile einen Scheißdreck, was die Grünen gegen das Auto sagen. Die sollen zu Hause bleiben und früher hat man gesagt: Und fotz dei Goaß.“ Von Brunn, offenbar im Dialektsprechen völlig unbewandert, behauptete auf Twitter, „fotz dei Goaß!“ bedeute: „verdrisch Deine Frau“.
In Wirklichkeit heißt es, wörtlich übersetzt: Schau deine Geiß (Ziege) an, und sinngemäß: ‚das kannst du vergessen‘. „Fotz“ ist sprachlich mit dem englischen Verb „to face“ verwandt, übersetzt: ansehen oder sich etwas zuwenden. Zumal im ländlichen Bayern jemand, der sich mit falschem Dialektverständnis blamiert, eher Wähler vergrämen kann als mit einem konkreten politischen Projekt. Wobei auch das bei der bayerischen SPD bislang fehlt.
Sollte sie es am 8. Oktober nicht zumindest über 10 Prozent schaffen, dann muss sie bei der übernächsten Wahl möglicherweise darum zittern, überhaupt noch ins Maximilianeum zu kommen. Für die SPD im Freistaat würde dann der Aiwanger-Spruch von der Geiß passen.
Die TE-Wahlwette Bayern:
Ihre Wetten nehmen wir ab sofort entgegen. Unsere Buchmacher öffnen ihre Schalter. Wer über alle genannten Parteien hinweg am nächsten an den Ergebnissen landet, gewinnt.
Annahmeschluss ist der Wahlsonntag (08.10.2023) um 17:35 Uhr. Das Wettergebnis wird bis einschließlich Montag, den 09.10.2023, veröffentlicht. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Auf die Gewinner wartet:
1. Platz: eine Flasche Champagner von Roland Tichys Tante Mizzi aus Verzy
2. Platz: zwei Bücher aus dem Shop nach Wahl
3. Platz: ein Buch aus dem Shop nach Wahl