Tichys Einblick
Gegen zweites Treffen mit Faeser

Landräte fordern Asylgipfel mit Scholz: Kompetenz in allen Fragen erforderlich

Immer mehr Landkreise am Limit – das ist das neue Deutschland in diesem neuen 2016. Die deutschen Landräte fordern ein Gipfeltreffen mit Kanzler Scholz, um Fragen der Finanzierung und Unterbringung zu lösen. Doch Scholz schweigt – auch zu den Ursachen dieser Krise, die er gelegentlich sogar zu begrüßen scheint.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Die deutschen Landräte werden so langsam stur. Irgendein Gipfel ist ihnen nicht mehr genug. Sie fordern ein Treffen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) statt des geplanten zweiten Flüchtlingsgipfels mit der Innenministerin. Das hatten sie eigentlich schon im letzten Herbst verlangt, aber das Treffen der Landräte mit dem Kanzler wurde in eine Bund-Länder-Konferenz verwandelt. Einige Milliarden an Bundesgeldern ließen sich auch so verschieben und liegen nun in Landesvater- und -mutterhänden.

Dass die Landkreise und Gemeinden damit zufrieden wären, lässt sich nicht sagen. Nicht nur scheint das Geld vorne und hinten nicht zu reichen. Auch der Platz und die Kapazitäten für diese Migrationswelle gehen ihnen aus. Konkret gesprochen: Es gibt nur ein Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, das derzeit durch seinen Protest in den Nachrichten ist. Aber bundesweit gibt es sicher dutzende „Upahls“, in denen die Balance zwischen Ursprungsbevölkerung und Neuankömmlingen zu kippen droht, wo Wald-und Wiesen-Siedlungen gebaut werden, um noch irgendwie Asylbewerber außerhalb von Turn- und Festhallen unterzubringen.

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In der Tat: In Bach an der Donau ziehen Migranten auf das Kreuzfahrtschiff „MS Rossini“. Im mecklenburgischen Loitz soll ein mittelalterliches Stadttor wieder geschlossen werden, um Ruhe und Ordnung im Ort zu bewahren. So widersprüchlich und doch gleichsinnig sind die Nachrichten, um von den Containerdörfern und „seriellen Bauvorhaben“ zu schweigen. Hallen aller Art werden ohnehin überall im Land wieder belegt. Das neue 2016 ist angebrochen. Auch die Zahlen geben das her. In Upahl bestärkten sich Leitmedien wie NDR und Zeit gegenseitig in der angeblichen Beobachtung „rechtsextremer“ Elemente im Bürgerprotest des 500-Seelen-Dorfs. Bei neuen Medien hört und sieht das dann ganz anders aus.

Am Montag wiederholte Reinhard Sager (CDU), der Präsident des Landkreistags, seine schon bekannten Mahnungen an die große Politik: „Es fehlt an Wohnungen, an Kitaplätzen, an Lehrern für Schulen und Sprachkurse. Auch deshalb vergrößern sich die gesellschaftlichen Spannungen.“ Die Kapazitäten seien „vielerorts erschöpft“. Man kann das mit einem Krankenhaus vergleichen, für das sich ja auch Betten ohne Ende einkaufen lassen. Aber ohne die Pfleger und Ärzte (beides Fachkräfte) lässt sich der Laden nicht schmeißen.

Der Main-Taunus-Kreis bräuchte das Siebenfache vom Bund

Laut Sager ist nun das Kanzleramt gefragt. Nur Scholz habe die „übergreifende Kompetenz in allen uns berührenden Fragen“. Im ZDF-Morgenmagazin sekundierte die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz, nur der Bundeskanzler habe die nötigen Kompetenzen, um entscheidende finanzielle Fragen und solche zur Unterbringung von Asylbewerbern zu klären. Daneben fordert die Union einen Bund-Länder-Gipfel, auf dem auch die „Begrenzung der Asylmigration“ – wiederum neben Verteilung, Versorgung, Unterbringung – eine Rolle spielen soll. Kann also der Kanzler diese Migrationskrise „heilen“?

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Am Ende wird es wohl nicht am Geld scheitern. Oder doch? Zu den lautstarken Kritikern der aktuellen Zuwanderungspolitik gehört auch der Landrat des Main-Taunus-Kreises Michael Cyriax (CDU), zusammen mit sämtlichen Bürgermeistern, darunter auch SPD-Amtsträger. Die Kreisverwaltung hat in diesem Zuge auch die Kosten der aktuellen Aufnahmekrise berechnet. Die Gesamtmehrkosten liegen demnach für den Main-Taunus-Kreis allein bei mindestens 26,2 Millionen Euro.

Aufgeschlüsselt geht es um 14 Millionen Euro allein für Transferaufwendungen, also ausgezahlte Sozialleistungen für Asylbewerber und Flüchtlinge. Hinzu kommen neun Millionen Euro Mietkosten und 3,2 Millionen für erhöhte Personalkosten. Die vom Bund zugesagten vier Millionen Euro reichen offenbar nicht, decken nur die zusätzlichen Personalkosten. Die realen Kosten der Krise liegen fast um das Siebenfache höher. Ausgaben in Höhe von mehr als neun Millionen Euro seien noch vollkommen ungedeckt.

Bei dieser Rechnung kann man wohl verstehen, dass Landräte bundesweit in Aufruhr geraten. Denn die Finanzierungslöcher werden sie, wenn dieselben nicht noch gestopft werden, an anderer Stelle auffangen müssen. Das bedeutet Einsparungen an Leistungen für die Bürger, Infrastrukturprojekten usw. Der Reichtum und die Entwicklung ganzer Regionen stehen auf dem Spiel.

Wo bleibt das Kanzlerwort zur illegalen Migration?

Die Union scheint es darauf anzulegen, den Kanzler in die Migrationsdiskussion hineinzuziehen. Darauf deuten Äußerungen von Landräten und aus der Bundestagsfraktion hin. Tatsächlich duckt sich Scholz bis jetzt in dieser großen Frage weitgehend weg. Bis auf Lobeshymnen für die Innenministerin, die offenbar seinen Willen getreulich ausführt, gibt es da wenig. Für eine Begrenzung der illegalen Einreisen nach Deutschland steht auch Scholz nicht. In Polen hatte Scholz sich für den Grenzbarrierenbau ausgesprochen. Die von Lukaschenko eingeflogenen Migranten waren den EU-lern nicht recht. Aber warum sollten sie dann auf dem Mittelmeer oder an der Ägäis und letztlich an deutschen Grenzen recht sein? Zu all diesen (EU-Außen- wie Binnen-) Grenzen gibt es noch kein klares Wort von Kanzler Scholz.

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Sein Pendant in Österreich, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), hat bei einem Bulgarienbesuch vor zwei Wochen Forderungen gestellt, die sich nicht mehr ignorieren lassen. Es brauche eine „Zurückweisungsrichtlinie“ der EU für die schwierige Lage an den EU-Außengrenzen, etwa auch an der bulgarischen Landgrenze zur Türkei. Schon im Vorfeld hatte Nehammer die Bereitstellung von zwei Milliarden Euro aus EU-Mitteln für einen Grenzzaun an der bulgarischen Außengrenze gefordert, die nach Nehammer so gesichert werden sollte wie jetzt schon Teile der griechischen Grenze zur Türkei. Athen wird die Grenzbefestigung ausbauen, mittelfristig auf alle bloßliegenden Grenzabschnitte, und verzichtet hierbei vorerst auf EU-Mittel.

Innenkommissarin Ylva Johansson (S) sagte nun laut Kurier, man wolle den Streit um EU-Mittel für Grenzzäune „pragmatisch“ lösen. Wörtlich schloss Johansson „physische Infrastrukturen“ nicht mehr aus, auch wenn sie den „Bau von Mauern und Stacheldraht um die Europäische Union … aus vielen Gründen“ für „keine gute Lösung“ hält. Beginnt hier eine Schlacht um Worte?

Nur ein Weg zur Neuansiedlung ist heute schon „europäisiert“

Was fordert Scholz in Bezug auf die Mittelmeerländer, in denen noch immer die Haupteinfallsschneisen für illegale Migration aus Asien und Afrika liegen? In Worten gar nichts. So etwa beim jüngsten Besuch der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) in Berlin: „Ich bin überzeugt: Migration ist eine Herausforderung, die wir nur miteinander in Europa bewältigen können.“ Daneben meinte Scholz, wer ein Anrecht darauf habe, müsse auch in Europa bleiben können. Dagegen: „Wer kein Recht hat, bei uns zu bleiben, muss in sein Herkunftsland zurückkehren und auch zurückkehren können“ – können? Was könnte ihn wohl abhalten? Hier liegt eine Finte des Kanzlers begraben, die Mär von den Hinderungsgründen wie Krankheit usw.

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Scholz meint zudem, es müsse auch legale Wege geben, um in die EU einzuwandern. Also kein Modell Japan mit diesem Kanzler, man ahnte es schon. Im Kanzleramtston heißt das dann so: „‚Wir brauchen ohnehin Zuwanderung nach Europa. Darauf sollten wir uns auch verständigen‘, appellierte Scholz.“  Gemeint sind offenbar Fach- oder Arbeitskräfte.

Aber warum eigentlich „Zuwanderung nach Europa“? Liegt es denn im Belieben der Staats- oder Regierungschefs, so etwas für die EU als Ganzes zu beschließen? Wo liegt die Notwendigkeit für solch ein Bekenntnis auf EU-Ebene? Jedes europäische Land besitzt sein eigenes Zuwanderungs- und Ansiedlungsrecht. Nur eine Methode der Neuansiedlung ist heute schon auf ihre Art „europäisiert“. Es ist die illegale Migration, die Länder- und Kontinentalgrenzen nicht scheut und Erstankunftsstaaten wie Italien ebenso fordert und letztlich überfordert wie nun deutsche Landkreise. Auf diese Art von Migration, die er durch ein „humanes und krisenfestes Asylsystem“ ermöglichen will, hat es Scholz offenbar abgesehen. Sie will er nutzen, um den vorgeblichen ‚Menschenbedarf‘ der EU oder seines Landes zu decken. Darin besteht der Dissens mit Meloni.

Konservative Positionen vor dem EU-Gipfel

Meloni wies darauf hin, dass man „die Sekundärbewegungen nicht bekämpfen“ könne, wenn man nicht zuerst „die Primärbewegungen bekämpft“. Das heißt: Die Ankünfte übers Mittelmeer sind nicht Europas frei gewähltes Schicksal, die Bewegungsfreiheit innerhalb des Schengenraums dagegen schon. Den eigentlichen Konflikt mit Deutschland – um die Schlepperbeihilfe von Migrations-NGOs („Seenotrettung“) im zentralen Mittelmeer – sprach Meloni nicht direkt an, machte aber ihre Position immerhin indirekt deutlich.

Gibt es eine EVP-Position zur illegalen Migration, also eine gemeinsame Positionierung der Mitte-rechts-Parteien im EU-Parlament? Manfred Weber (CSU), der Vorsitzende der Fraktion, nannte nun drei Punkte:

1. Zäune an den Außengrenzen,
2. substantielle Änderungen bei den Asylverfahren inner- oder außerhalb der EU, schließlich
3. die Seenotrettung im Mittelmeer müsse wieder als hoheitliche Aufgabe des Staates verstanden werden.

„Zäune“ sind für Weber „das letzte Mittel“, aber „wir brauchen sie überall dort, wo Schlepperbanden erfolgreich versuchen, europäisches Recht zu umgehen“. Der Erfolg liegt derzeit bei den Schleppern – damit hat Weber wohl recht. Daneben kann er sich EU-Büros in Tunesien oder Ägypten vorstellen, in denen Migranten Asyl beantragen sollen. Diese Idee war schon immer zweischneidig und dürfte noch weitab von ihrer Verwirklichung sein. Was die staatliche Seenotrettung angeht, hat Weber einen Punkt. Wildwuchs wie von Kirchen und Grünen unterstützten NGO-Dschungel ist inakzeptabel.

Der hoheitliche Anspruch der Staaten könnte mit Abkommen über das Mittelmeer zusammengehen, wie sie auch Giorgia Meloni nun mit Libyen anstrebt. Nur auf diese Art und Weise kann das Problem insgesamt gelöst werden. Nehammer sah vor dem kommenden EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs „viele Gemeinsamkeiten“ zwischen sich und Meloni, „wenn auch mit anderen Voraussetzungen“: „Uns eint, dass wir gemeinsam und geschlossen gegen illegale Migration vorgehen wollen und eine europäische Lösung nun höchst an der Zeit ist.“

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