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Landkreise protestieren: Einbürgerungsrecht legt Ämter lahm

Das neue Einbürgerungsrecht der Ampel erweist sich als fast unpraktizierbar: In Ländern und Kommunen sorgt es für einen Ansturm auf die Ämter und folglich lange Wartezeiten. Und das, während die Zuwanderung munter weitergeht und viele andere staatliche Dienstleistungen lahmen.

IMAGO / Christian Ohde

Wieder einmal geht es um ein Ampelprojekt, das von hinten bis vorne nicht stimmig war. Nicht nur wurde es von vielen als grundsätzlich falsch angesehen, es kam auch nach dem Urteil anderer zur völlig falschen Zeit. Gesagt hat das der Landkreistags-Präsident Achim Brötel (CDU) gegenüber der Bild. Es geht um das neue Einbürgerungsrecht der Ampel, das diese just auf dem Höhenkamm einer neuen Asyl-Zuwanderungswelle nach Deutschland beschloss. In Kraft trat das neue Gesetz genau zur Mitte des laufenden Jahres, zwischen Juni und Juli – mit dem Ziel, Einbürgerungen zu erleichtern und zu beschleunigen. Für Brötel ist diese Gesetzesänderung „definitiv zur Unzeit erfolgt“. Denn die von ihm vertretenen Behörden in den knapp 300 deutschen Landkreisen müssten neben den Einbürgerungen auch die aktuelle Dynamik bei der Migration stemmen.

Die Landkreise fühlen sich bei der Umsetzung bundesgesetzlicher Vorgaben allein gelassen. Brötels Problem ist: „Berlin beschließt, und wir sollen die Zeche zahlen. Das muss sich künftig dringend wieder ändern.“ Das sind anspruchsvolle Forderungen an eine Bundesregierung, die zuletzt immer nur gut darin war, Forderungen an andere zu stellen, nicht aber, selber welche zu erfüllen. Das neue Einbürgerungsrecht hält Brötel für ein „Paradebeispiel für den derzeitigen Verschiebebahnhof“ zwischen dem Bund und den nachgeordneten Gebietskörperschaften, was daneben sicher auch Länder und Kommunen betrifft.

Nun also neue Höchststände bei den Einbürgerungen, von denen wiederum die Bild berichtet, wobei die Auswirkungen je nach Bundesland und Stadt verschieden zu sein scheinen. Einmal wird von Planerfüllung berichtet, dann wieder von jahrelangen Wartefristen – wobei man nie sicher sein kann, dass nicht beides Propaganda und Schutzbehauptungen sind.

Berlin: Vervierfachung angestrebt – Hessen: zwei Jahre Wartefrist

Allen voran scheint hier das Land Berlin zu gehen: Angeblich hat man die „Prozesse“ rund um die Einbürgerung „digitalisiert und verschlankt“. Wo es ums Einbürgern geht, scheint das auf einmal zu gehen, wo man sonst monatelang auf einen Termin beim Bürgeramt wartet. Die Einbürgerungen haben sich daher verdoppelt und sollen sich nächstes Jahr vielleicht „vervierfachen“, behauptet der rbb. In Berlin hat man übrigens aktuell einen Antrag von 2005 bearbeitet. So viel zum hauptstädtischen Effizienzmythos.

In München hat sich die „Bearbeitungszeit auf 18 Monate verlängert“, wie eine Sprecherin der Stadt mitteilt. In ganz Bayern wurden bis Ende November 82.724 Anträge auf Einbürgerung gestellt. Bis kurz vor Inkrafttreten des neuen Einbürgerungsrechts am 27. Juni gab es in Bayern knapp 6.000 Anträge pro Monat. Aber im Juli verdoppelte sich diese Zahl fast auf 11.410 Anträge in einem Monat. Auch seitdem gibt es rund 9.000 Anträge pro Monat nur in Bayern.

Dauerhaft verdoppelt haben sich auch die Anträge in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart (von einst durchschnittlich 332 auf nun 625 Anträge im Monat). Insgesamt gab es nur in Stuttgart bis Ende Oktober 4.488 Anträge (2023: 3.234). In Hessen stieg die Zahl der Anträge um 23,5 Prozent – von 31.900 im Jahr 2023 auf 39.400 im laufenden Jahr, bis Mitte Dezember. Angeblich gibt es hier aber auch Rekord-Bearbeitungszeiten von bis zu zwei Jahren, wie die Hessenschau berichtet! In Frankfurt gab es 8.838 Anträge (plus 42,2 Prozent).

In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf wurden bis Ende November 6.395 Anträge registriert (plus 34,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr). In Köln wurden in diesem Jahr 4.600 Einbürgerungsverfahren eingeleitet, daneben liegen 13.000 weitere Anträge vor. In Braunschweig nahmen die Anträge um 27 Prozent zu, in der Region Hannover um 6,1 Prozent. In Halle und Magdeburg (beide Sachsen-Anhalt) blieben die Zahlen der Anträge dagegen weitgehend konstant – noch, denn die starken Jahrgänge könnten hier noch kommen.

Schon letztes Jahr über 200.000 Einbürgerungen

Und jetzt überschneidet sich dieses Behördenproblem mit einer Diskussion etwa über die mehr als eine Million Syrer in Deutschland. FDP-Chef und Ex-Finanzminister Christian Lindner meint dazu bekanntlich: „Bei den Menschen, die aus Syrien wegen des Bürgerkriegs zu uns kamen, muss die Rückkehr in die Heimat die Regel sein.“ Abgesehen davon, dass Lindner einstweilen wenig zu sagen hat, steht das auch mit seiner eigenen Politik in der Bundesregierung im Widerspruch. Es folgen denn auch Sätze wie: „Zentral ist, ob der Lebensunterhalt durch Arbeit bestritten wird, ob Straftaten vorliegen und ob es eine klare Identifikation mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gibt.“ Es geht Lindner also nur um das Aussortieren einzelner Fälle. Oder, was allerdings auch schon revolutionär wäre: „Wer das Aufenthaltsrecht in Deutschland verloren hat, der muss ausreisen.“

Sicher ist aber: Ist der Syrer erst eingebürgert, wird er noch weniger in seine alte Heimat zurückreisen wollen als ohnehin schon. Wie immer klaffen die politische Rhetorik und politische Praxis weit auseinander, was sich auch an der brandenburgischen Innenministerin Katrin Lange (SPD) zeigt, die ebenfalls plötzlich Abschiebungen nach Syrien fordert. Die Merkel-Merz-CDU war hierin bekanntlich vorangegangen. Und so sinnvoll Rückführungen nach Syrien wären, sie bleiben doch eher unrealistisch angesichts der täglichen Krisenberichte aus dem nahöstlichen Land. Die Einbürgerungen kommen dann noch dazu und verhindern ebenfalls Rückreisen von Syrern in ihre Heimat.

Übrigens hatte es schon 2023 über 200.000 Einbürgerungen bundesweit gegeben. Besonders deutlich hatten damals schon die Einbürgerungen von Syrern zugenommen: von wenigen tausend im Jahr 2020 auf über 75.000 drei Jahre später – eine glatte Verzehnfachung. Die Syrer, von denen die Hälfte weiterhin erwerbslos sind, sorgten so für 38 Prozent der Einbürgerungen. Laut Statistischem Bundesamt leben aktuell 1,3 Millionen „Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte“ in Deutschland. Davon besitzen inzwischen 214.000 die deutsche Staatsbürgerschaft – teils durch Einbürgerung, teils durch Geburt im Lande. Auch diese Zahl kann also nur zunehmen.

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