Tichys Einblick
Lage in der Ukraine

Russland bombardiert Einkaufszentrum, belorussische Eliten verlassen Grenzregion

Im Süden binden ukrainische Gegenoffensiven die Russen. Der Angrfiff auf ein Einkaufszentrum sorgt international für Empörung. Und die Sorge vor einer Kriegsbeteiligung Weißrusslands häufen sich. Die Lage in der Ukraine im Überblick.

Durch russische Raketen in Brand gesetztes Einkaufszentrum in Kremenchuk, 27.06.2022

IMAGO / ZUMA Wire

Die Bombardierung eines vollbesetzten Einkaufszentrum sorgt international für heftige Reaktionen. Im Einkaufszentrum in der Stadt Krementschuk hielten sich laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge mehr als 1.000 Menschen auf, als das Gebäude russischem Raketenbeschuss zum Opfer fiel. Nach dem Raketeneinschlag wurde das Gebäude von Flammen erfasst und brannte weitgehend aus. Bei der Attacke wurden nach Angaben von Rettungskräften mindestens 18 Menschen getötet. Rund 60 seien verletzt worden, davon die Hälfte schwer, teilte die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft mit. Sie berichtet auch von mehr als 40 Vermisstenmeldungen.

Die aktuell tagenden G7-Staaten verurteilten den Angriff in einer gemeinsamen Erklärung als Kriegsverbrechen. Heute um 21 Uhr mitteleuropäischer Zeit will der UN-Sicherheitsrat zusammentreten. Auch in anderen Städten sorgt der russische Raketen- und Artilleriebeschuss für zivile Opfer: In Lysychansk, der letzten gehaltenen Großstadt der Ukraine im Donbass, sind 8 Menschen getötet und 20 verletzt worden. Auch Charkiw wird von russischem Territorium aus beschossen. Experten gehen davon aus, dass solche russischen Attacken mit vielen zivilen Kollateralschaden in der kommenden Zeit eskalieren werden.

An der Front ist es in der vergangenen Nacht nicht zu nennenswerten Geländegewinnen für irgendeine Seite gekommen. Am Morgen kam es rund um die ostukrainische Großstadt Charkiw zu einer Reihe von Gefechten. Im Süden des Landes, bei der Stadt Mykolaiw, erfolgten Raketenangriffe. In der Region nördlich der Halbinsel Krim binden ukrainische Gegenoffensiven die russischen Aggressoren aktuell in defensiven Positionen. Entlang des südlichen Dnjepr kommt es zu signifikanten Gefechten. Wie Natalia Humeniuk, Leiterin des Koordinationszentrums der Verteidigungskräfte der Südukraine, berichtet, drängen die ukrainischen Streitkräfte die russischen Truppen weiter Richtung Süden zurück. Der Erfolg bringt für die Ukraine aber auch Schwierigkeiten mit sich: „Da es ihnen nicht gelingt, am Boden vorzudringen, versuchen sie, aus der Luft vorzudringen, wo wir verwundbarer sind“

Russland holt pensionierte Offiziere aus dem Ruhestand

Russland setzt aufgrund schwerer Verluste im Ukraine-Krieg offenbar immer stärker auf pensionierte Offiziere und Reservekräfte. Das US-amerikanische „Institute for the Study of War“ geht davon aus, dass die russischen Militärbehörden weiterhin nach Wegen suchen, ihre zunehmend erschöpfte Mannstärke wieder aufzufüllen, ohne eine Generalmobilmachung anzukündigen. Da die Verluste immer größer würden, müsse Russland wohl bald mit der Mobilisierung von Reservisten beginnen, um seine Ostoffensive aufrechterhalten zu können, meinen die Experten um den ehemaligen US-General Jack Keane.

Sorge vor belorussischem Kriegseintritt wächst

Immer wieder wird die Ukraine auch von belorussischem Gebiet beschossen. Offiziell jedoch ist die Diktatur unter ihrem Machthaber Alexander Lukaschenko neutral. Das, fürchten viele, könnte sich bald ändern. Nicht nur die russische Meldung, moderne Iskander-Raketen an das Regime in Minsk zu liefern, sorgt für Aufsehen: Die nuklearen Kapazitäten der Marschflugkörper haben die EU in Reaktion dazu veranlasst, der Ukraine Equipment zu Strahlenschutz und -bekämpfung zukommen zu lassen.

Auch Entwicklungen in Belarus selbst können als Alarmsignal gewertet werden. Aktuell sind laut ukrainischen Angaben sieben belorussische Bataillone an der Grenze stationiert – bis zu viertausend Mann. In der grenznahen Stadt Mozyr kommt es derweil zu stillen Abwanderungen: Vor allem die belorussische Elite aus der Region scheint zu fliehen, wie der ukrainische „Kanal 24“ berichtet. „Die eigentliche Evakuierung aus Mozyr begann nach dem 20. Juni. Wohlhabende Menschen begannen, die Evakuierung ihrer eigenen Familien im Ausland oder im Norden von Belarus zu organisieren. Gleichzeitig sorgten sie für die Entfernung ihrer eigenen Wertsachen und ihres Schmucks“, heißt es. Die Journalisten fanden außerdem heraus, dass es in Mozyr ungewöhnliche Aktivitäten gab, als eine große Anzahl Bewaffneter das Gebiet der lokalen Ölraffinerie betrat. Offenbar fürchtet Weißrussland einen Angriff auf die wichtige Ölraffinerie des Landes. Die Ukraine berichtet auch, dass belorussische Panzerattrappen immer wieder an der Grenze aufgestellt werden.

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