Im ostukrainischen Gebiet Luhansk haben russische und prorussische Kämpfer eigenen Angaben zufolge die Siedlungen Hirske und Solote erobert. Die Luhansker Separatisten zeigten am Freitag das Hissen einer sowjetischen Flagge auf dem Gebäude der Stadtverwaltung von Solote, das südlich der umkämpften Großstadt Lyssytschansk liegt – der letzten ostukrainischen Großstadt im Donbass, die durch Kiew kontrolliert wird.
Die Ukraine hat derweil den Rückzug aus der umkämpften Stadt Sjewjerodonezk angetreten. Serhij Hajdaj, Gouverneur der Region Luhansk, sagte, der Rückzug der Armee sei angeordnet worden. Dabei geraten die Ukrainer weiter unter massiven russischen Beschuss. Sjewjerodonezk, das bereits seit Tagen größtenteils unter russischer Kontrolle stand, liege praktisch „in Trümmern“ wegen der Dauerbombardierungen durch die russischen Truppen, erklärte Hajdaj. „Es ist einfach sinnlos, auf Positionen zu bleiben, die seit Monaten unablässig beschossen werden.“ Die gesamte strategische Infrastruktur der Industriestadt sei zerstört. Die russischen Streitkräfte versuchen nach ukrainischen Angaben auch, die benachbarte Stadt Lyssytschansk einzukesseln, in der sich wohl noch tausende ukrainische Soldaten aufhalten. Einer fünfstelligen Zahl an Truppen drohe die Einschließung im Kessel, hieß es in den vergangenen Tagen immer wieder.
Dieser Tage macht sich die erdrückende Überlegenheit der russischen Artillerie wieder bemerkbar. Zwar erhält die Ukraine immer mehr Artillerie- und Raketensysteme aus dem Westen: Aber der Mangel an Gerät ist akut. So braucht die Ukraine allein für den Transport ihrer Artillerie 700 Fahrzeuge – bekommen hat sie 100. Mit 30% sind die Verluste an ukrainischem Gerät auch hoch. Selbst, wenn der Westen wollte, könnte er aktuell gar nicht im benötigten Umfang liefern. Zum Beispiel benötigt die Ukraine 300 Raketenwerfersysteme – so viele, wie nichtmal in ganz EU-Europa vorrätig sind, analysiert Oberst Markus Reisner von der Militärakademie des österreichischen Bundesheeres. Um die Waffenwünsche Kiews zu erfüllen, müsste der Westen de facto auf Kriegswirtschaft umstellen.
Die kriegsgebeutelte Ukraine bietet Deutschland derweil den Export von Strom an – was wie ein schlechter Witz klingt, ist tatsächlich ein Vorschlag des ukrainischen Energieministers Herman Haluschtschenko, der wohl um die prekäre Lage der deutschen Energieversorgung zwischen Energiewende und Russen-Druck weiß. „Im Bereich der Dekarbonisierung bewegt sich die Ukraine in einer anderen Logik als Deutschland“, schreibt Haluschtschenko in einem Gastbeitrag für die „WirtschaftsWoche“. Daher würden über 50 Prozent der ukrainischen Elektroenergie in Atomkraftwerken erzeugt. Seit dem 16. März ist das Energienetz der Ukraine mit dem Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber synchronisiert. So könnte die Ukraine zum Outsourcer von Strom für Deutschland werden, erklärt Haluschtschenko.