Am Sonntag berichtete das israelische Investigativmagazin Schomrim nach einer gemeinsamen Recherche mit dem österreichischen Nachrichtenmagazin Profil, dass die Bundesregierung seit März diesen Jahres keine einzige Genehmigung mehr für den Export von „Kriegswaffen“ Richtung Israel erteilt hat. Zugleich sind auch die Ausfuhrgenehmigungen für „sonstige Rüstungsgüter“ stark rückläufig.
Zum Hintergrund: „Kriegswaffen“, deren Export im Kriegswaffenkontrollgesetz geregelt ist, unterliegen bei der Ausfuhr einer gesteigerten Hürde. Welche Güter dazu gehören, ist in der „Kriegswaffenliste“ aufgeführt, zum Beispiel Kampfpanzer, aber auch bestimmte Munition. Davon zu unterscheiden sind „sonstige Rüstungsgüter“, die keiner Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz bedürfen, sondern nur nach dem Außenwirtschaftsgesetz. Darunter fällt alles mögliche, etwa bestimmte Schusswaffen, aber auch bestimmte Helme oder Fahrzeuge.
Letzte Genehmigung von Kriegswaffen im Februar
Laut „Schomrim“ ist der Wert der ausfuhrgenehmigten Kriegswaffen für Israel seit März bei rund 32.000 Euro für dieses Jahr verharrt. Das entspricht dem Wert, den die Bundesregierung schon im Juni auf eine Anfrage des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) mitgeteilt hatte. Demnach wurden im Januar Kriegswaffenausfuhren im Wert von 30.449 Euro genehmigt und im Februar im Wert von 2000 Euro. Danach folgte nichts mehr.
Im August hat das BSW eine neuerliche Anfrage zu den Exportgenehmigungen gestellt. Die Bundesregierung hat die Anfrage laut Bundestagsdatenbank bereits beantwortet; allerdings steht die Antwort noch nicht öffentlich zur Verfügung. Vermutlich stützt sich „Schomrim“ aber auf genau diese Auskunft. Die Zahlen sind also valide.
Aus ihnen geht demnach weiterhin hervor, dass zwischen Januar und August insgesamt Rüstungsgüter (also nicht nur Kriegswaffen) im Wert von etwa 14,5 Millionen Euro genehmigt wurden. Im Juni hatte die Bundesregierung gegenüber dem BSW einen Wert von insgesamt rund 10,1 Millionen Euro zum Stichtag 23. Mai 2024 angegeben. (Antwort BuReg im Juni, Antwort BuReg im April)
Massiver Rückgang nicht nur im Vergleich zum Vorjahr
Die Bedeutung dieser Zahlen wird erst richtig klar, wenn man sie mit den Vorjahren vergleicht. 2023 beliefen sich die Rüstungsexportgenehmigungen laut Bundesregierung noch auf insgesamt 326,5 Millionen Euro, darunter Kriegswaffen im Wert von 20,1 Millionen Euro. Das war eine massive Ausweitung der Genehmigungen, die unter dem unmittelbaren Eindruck des Hamas-Massakers vom 7. Oktober geschah. Dass die Exportentscheidungen in diesem Jahr dahinter zurückbleiben, ist nicht verwunderlich.
Allerdings sind sie auch im Vergleich mit den Jahren vor dem Krieg auffällig spärlich. So wurden im Jahr 2022 Exportgenehmigungen im Wert von 32,3 Millionen Euro verzeichnet, 2021 im Wert von 88 Millionen Euro, 2020 im Wert von 582,4 Millionen Euro und 2019 im Wert von 75,9 Millionen Euro. Der Ausschlag nach oben im Jahr 2020 ist mit der damaligen Exportgenehmigung für vier Korvetten vom Typ Sa’ar 6 zu erklären.
„Schomrim“ spricht mit Blick auf das aktuelle Jahr von einem „Tiefpunkt des Exportvolumens seit 2004“. Damals wurden im gesamten Jahr Genehmigungen im Wert von 14,8 Millionen Euro erteilt. 2006 waren es 19,6 Millionen Euro.
Kann man den starken Rückgang womöglich damit erklären, dass es jetzt zunächst an der Zeit ist, die vielen Genehmigungen des Jahres 2023 auch tatsächlich in Exporte umzusetzen? Das ist schwer zu beantworten. Daten dazu, wieviele der genehmigten Kriegswaffen des Jahres 2023 tatsächlich ausgeführt wurden, hat die Bundesregierung als Verschlusssache eingestuft. Für 2024 allerdings gab sie im Juni an, dass es bis dato keine tatsächlichen Ausfuhren von Kriegswaffen nach Israel gegeben habe.
Zu berücksichtigen ist, dass sich Israel in einem Vielfrontenkrieg befindet, der auf absehbare Zeit – womöglich auf Jahre hinaus – nicht enden wird und zudem erstmals mit einer direkten Konfrontation mit dem Iran verbunden ist. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Israel in dieser Lage grundsätzlich keine Rüstung aus Deutschland mehr importieren muss oder will.
Lieferung von Panzermunition wird seit Monaten verzögert
Auf einen konkreten Fall eines verweigerten Kriegswaffenexports verwies am Sonntag die Bild-Zeitung. Demnach hat der für die Ausfuhrgenehmigung zuständige Bundessicherheitsrat bis heute keine Entscheidung darüber getroffen, ob bestimmte Panzermunition an Israel verkauft werden darf. Dass der jüdische Staat schon 2023 um einen solchen Export gebeten hat, ist öffentlich bekannt. Gegenüber der israelischen Wirtschaftszeitung „Globes“ realvierten israelische Quellen diesen Vorgang: Es handle sich um einen komplizierten Prozess, der Genehmigungen und Budgetierungen von verschiedenen Stellen erfordere.
„Schomrim“ spricht hingegen mit Blick auf seine Recherchen von einem insgesamt „dramatischen“ Verhalten, das einen „fundamentalen Wandel in den Grundannahmen“ der Bundesrepublik darstelle. Es zitiert einen in Verbindung mit dem Bundessicherheitsrat stehenden Beamten mit den Worten: „Auch wenn niemand es öffentlich sagen will, ist unsere Sorge vor Menschenrechtsverletzungen der Grund für den Rückgang der Genehmigungen.“
„Profil“ wiederum schreibt unter Berufung auf Vertreter der Waffenindustrie, die Bücher für Bestellungen seien voll, aber oft gebe es keine Genehmigungen mehr oder man warte ewig darauf: „Scholz hütet sich zwar davor zu sagen, dass Deutschland die Entscheidung getroffen habe, an Israel keine Kriegswaffen mehr zu liefern, de facto ist es aber so“, meint das Magazin.
Angst vor juristischen Konsequenzen
Tatsächlich sind diese Thesen alles andere als aus der Luft gegriffen, sondern lassen sich weiter erhärten. Die Bundesregierung selbst betont immer wieder allgemein, dass sie bei der Prüfung von Rüstungsexporten unter anderem „die Einhaltung des humanitären Völkerrechts“ berücksichtigte, was „auch für Rüstungsexporte nach Israel“ gelte. Zugleich hat das Außenministerium wenig Zweifel daran gelassen, dass es Israels Einsatz im Gazastreifen schon lange für übertrieben hält.
Eine zentrale Rolle für die deutschen Haltung spielt vermutlich vor allem der zunehmende politische wie juristische Druck, der seit Monaten auf Israel und mittelbar wie unmittelbar auch auf dessen Verbündete aufgebaut wird. Denn vor dem Internationalen Gerichtshof hat nicht nur Südafrika Israel wegen eines angeblichen Völkermords angeklagt, sondern auch Nicaragua Deutschland.
Der Vorwurf der Südamerikaner: Die Bundesrepublik trage zum angeblichen Genozid in Gaza bei – und zwar unter anderem, indem sie Waffen an Israel liefere. Die Rede, die der deutsche Rechtsbeistand Christian Tams im April in diesem Kontext vor dem Gericht hielt, macht sehr deutlich, wie sehr sich Berlin durch diese Anklage in die Enge treiben ließ und lässt, gerade auch im Bezug auf Rüstungsexporte.
Um Deutschland gegen den Vorwurf der Genozid-Beihilfe zu verteidigen, führte der Jura-Professor nämlich unter anderem auch den zu diesem Zeitpunkt bereits ersichtlichen Rückgang der Ausfuhrgenehmigungen an. Tams ließ eine Folie an die Wand werfen, auf der zu sehen war, dass der überwiegende Teil der Genehmigungen im Oktober 2023 erteilt wurde (203 Millionen Euro) und die Lizenzen schon im November rapide auf einen Umfang von 23,6 Millionen Euro, bis zum März dann auf 1,1 Millionen Euro abstürzten.
Deutschland verteidigte sich mit Hinweis auf rückläufige Exportgenehmigungen
Darauf Bezug nehmend erklärte Tams ausgesprochen defensiv, dass Deutschlands Waffenlieferung also vor allem in den „unmittelbaren Kontext“ des Hamas-Massakers fielen. Damit griff er auf eine Formulierung des Gerichts selbst zurück. Das Argument: Je näher am 7. Oktober die Genehmigungen erteilt wurden, desto weniger muss sich Deutschland den Vorwurf der Beihilfe zum Genozid gefallen lassen.
Der deutsche Vertreter relativierte auch die tatsächlich erteilten Genehmigungen. So erwähnte Tams etwa, dass die zu diesem Zeitpunkt letzte Genehmigung einen Schleifring für ein Radarsystem umfasse: „Das ist kein Gegenstand, der womöglich für die Begehung von Kriegsverbrechen verwendet werden könnte.“ Mit Blick auf die erfolgten Genehmigungen für Kriegswaffen erklärte er zudem, dass drei von vier Genehmigungen in diesem Bereich Material beträfen, das gar nicht für Kampfeinsätze genutzt werden könne, sondern nur für Tests oder Übungen.
Interessant: Tams sprach auch die Panzermunition an, die nun im bereits erwähnten Bild-Bericht eine Rolle spielt, weil sie offenbar noch immer nicht für den Export freigegeben wurde. Er betonte seinerzeit: „Keine Genehmigung wurde erteilt.“ Aus Sicht der am Gerichtshof angeklagten Bundesrepublik war die nicht erteilte Genehmigung also offenbar ein hilfreiches Argument, um Nicaraguas Vorwürfe zurückzuweisen.
Angst vor der eigenen Courage
Das alles legt nahe, dass der starke Rückgang der Rüstungsexportgenehmigungen in der Tat kaum Zufall sein dürfte. Vielmehr dürfte er der Angst geschuldet sein, welche juristischen Konsequenzen eine klare Solidarität mit Israel für die Bundesrepublik haben könnte. Dieses Verhalten passt auch in einen internationalen Trend: So hatte etwa Anfang September die linke Regierung in London rund 30 Waffenexportgenehmigungen für Jerusalem auf Eis gelegt.
Bereits im Juni hatte der Bundestag auf Verlangen des BSW über ein Waffenembargo debattiert. Dabei erklärten Abgeordnete der Regierungsfraktionen zwar, dass diese Maßnahme „vollkommen unverhältnismäßig“ wäre, wie es der Sozialdemokrat Frank Schwabe ausdrückte. Deborah Düring von den Grünen verwies allerdings auch auf die bereits zurückgegangenen Ausfuhrgenehmigungen: „Das Umdenken in der Bundesregierung gibt es also durchaus.“
Wie dieses Verhalten mit dem noch und nöcher wiederholten Bekenntnis zur berühmten Staatsräson zusammengehen soll, muss die Bundesregierung beantworten. Im Zweifel zeigt sich auch an diesem Vorgang wieder das deutsche Maulheldentum: Große Worte für Israel schwingen, aber Angst vor der eigenen Courage bekommen, wenn es ernst wird.