Die kurdischstämmiogen Deutschen sind angesicht der Regierungspolitik und der Liebedienerei führender Sozialdemokraten gegenüber dem türkischen Prädidialdiktator verzweifelt. Sie wenden sich in einem Offenen Brief an den Bundespräsidenten, den TE ungekürzt dokumentiert:
An den Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland
Herrn Dr. Frank-Walter Steinmeier
Bundespräsidialamt
Spreeweg 1
10557 Berlin
Offener Brief
Gießen/Berlin, 22.08.2018
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
bereits in Ihrer ersten Rede nach Ihrer Wahl zum Bundespräsidenten haben Sie vor der Bundesversammlung zu mehr Mut aufgerufen. „Wir brauchen den Mut zu sagen, was ist und was nicht ist“. Als deutscher Staatsbürger möchte ich Sie beim Wort nehmen und Ihnen mit dem von Ihnen geforderten Mut meine Gedanken mitteilen.
Als Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland sowie als Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände (BAGIV) – in dieser Funktion bin ich auch Mitglied des Deutschen Menschenrechtsinstituts – verfolge ich selbstverständlich die außenpolitischen Entwicklungen in den Herkunftsländern der Kurdinnen und Kurden mit besonderem Interesse. Vor allem die Entwicklung in der Türkei und Nord-Syrien erfüllt uns derzeit mit großer Sorge, ja sogar mit Verzweiflung. Der Überfall auf das syrisch-kurdische Afrin, welches bis zu diesem Zeitpunkt nicht nur Heimstatt dort ansässiger Kurden gewesen ist, sondern als eine der wenigen friedlichen Inseln im Bürgerkriegsland auch zahlreichen Flüchtlingen Zuflucht geboten hatte, stellt mit der Zerstörung der Infrastruktur, der Plünderungen durch islamistische Hilfstruppen der Türkei und der Vertreibung der ortsansässigen Bevölkerung einen traurigen Höhepunkt dar.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der für diese Entwicklungen die Verantwortung trägt, wird nun in Deutschland zum Staatsbesuch empfangen. Er ist – und ich denke, ich spreche nicht nur im Namen der Kurdischen Gemeinde Deutschlands, sondern sehr vieler deutscher Staatsbürger – der Ehren nicht würdig, die dieser Besuch mit sich bringt. Staatspräsident Erdogan und seine Regierung sind dafür verantwortlich, dass sich die Lage der Demokratie in der Türkei nach der Wahl weiter dramatisch verschlechtert hat und der Rechtsstaat de facto nicht mehr existiert – der Ausnahmezustand ist in Gesetzesform zum Dauerzustand geworden. Darunter hat in besonderem Maße auch die kurdische Bevölkerung des Landes zu leiden.
Zu den Repressalien gehören die Unterdrückung der Opposition, die Abschaffung eines unabhängigen Rechtssystems, Massenentlassungen und Festnahmen fälschlich beschuldigter Menschen ohne Aussicht auf einen rechtsstaatlichen Prozess, die Zerstörung von kurdischen Wohnorten und Eigentum durch das türkische Militär, die Gleichschaltung der Presse sowie die Aufhebung durch UN-Konventionen zugesicherter, kultureller Rechte. Der türkische Angriffskrieg in Nordsyrien und Irak, der mittlerweile die militärische Besetzung der Region Idlib ebenso umfast wie militärische Manöver in der bereits vom „Islamischen Staat“ verheerend zerstörten jesidischen Wohngebiete im irakischen Sindshar wird zur weiteren Massenflucht, zu noch mehr Zerstörung und Vertreibung und zu massiven Menschenrechtsverletzungen, die von zahlreichen internationalen Organisationen dokumentiert und öffentlich gemacht worden sind und gemacht werden führen.
Die Geschehnisse in der Türkei haben massive Auswirkungen auf unser Leben in Deutschland: Seit den Ereignissen des 15./16. Juli 2016 ist es zu einer erneuten Auswanderungswelle aus der Türkei gekommen. Menschen, die europäisch-freiheitlich denken und fühlen, verlassen ihre Heimat, um der staatlichen Repression zu entfliehen. Die Spannungen zwischen Erdogan-Befürwortern und Kritikern haben auch hierzulande massiv zugenommen. Deutsche Staatsbürger mit oder ohne Bindungen in die Türkei können nicht mehr ruhigen Herzens in die Türkei reisen: Erst vor wenigen Tagen berichtete die Kurdische Gemeinde über vermehrt ausgesprochene Einreiseverbote durch türkische Stellen vor allem für Deutsche mit kurdischen Wurzeln und wies einmal mehr auf das Schicksal von mehr als fünfzig in der Türkei mit fadenscheinigen Begründungen Inhaftierten, deutschen Staatsbürgern hin.
Ich selbst bin, wie andere aus den Reihen der Kurdischen Gemeinde, ständig Opfer persönlicher und medialer Drohungen, welche sogar über in Deutschland verbreitete, türkisch-sprachige Medien erfolgen und mich als angeblicher Verräter an der Türkei gleichsam für vogelfrei erklären. Das Heimatland meiner Eltern kann ich seit langem nicht mehr besuchen, die Pflege des Grabes meines Vaters ist mir unmöglich.
Deutsche mit kurdischen Wurzeln ebenso wie Türken, die sich in sozialen Netzwerken kritisch zur Politik Erdogans geäußert haben, werden durch Landsleute denunziert und können noch von Glück reden, wenn sie nur an der Einreise in die Türkei gehindert werden. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes, Musa Ataman, musste sich beim erfolglosen Einreiseversuch verhöhnen lassen mit den Worten, er habe die Türkei verraten, weil er deutscher Staatsbürger geworden sei – aber er solle sich nicht täuschen: Deutschland würde niemals seine Sicherheit garantieren können, wenn die Türkei sich für den Verrat rächen werde.
Auch sind Fälle bekannt, in denen deutsche Staatsbürger von türkischen Stellen auf internationale „Terroristenlisten“ gesetzt werden mit der Folge, dass Einreisen beispielsweise in die USA unmöglich werden. Ihr einziges Vergehen: Kritik an der Politik Erdogans und die Forderung nach einer demokratischen Türkei.
Doch auf all dieses reagiert die Bundesregierung erschreckend wenig bis gar nicht. Politische, ökonomische Konsequenzen für den EU-Beitrittskandidat Türkei bleiben aus. Vielmehr werden nun sogar absurde Forderungen erhoben, das durch die falsche Wirtschaftspolitik Erdogans am Abgrund stehende Land mit deutschen Steuermitteln zu finanzieren. Deutschland als Unterstützer eines Despoten, der die Demokratie zu Grabe trägt und völkerrechtswidrige Angriffskriege führt?
Und nun soll ein Staatspräsident, der für diesen massiven Demokratieabbau, die immense Verschlechterung der Menschenrechtslage in der Region und für den wirtschaftlichen Niedergang – kurz: Der für das Leid so vieler Menschen verantwortlich ist – in Deutschland mit allen Ehren empfangen werden?
Ein solcher Empfang hinterlässt bei Menschen, die in der Türkei weiterhin für Demokratie und Freiheit kämpfen und sich nichts dringlicher wünschen, als eine internationale Wahrnehmung und Unterstützung ihres Kampfes, eine tiefe Ernüchterung und Enttäuschung. Wäre es nicht die Aufgabe eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates, an der Seite jener zu stehen, die sich das Modell eines freien Europas als Vorbild genommen hatten und der Türkei aus ihrer Verkrustung helfen wollten? Wäre es nicht die Aufgabe unseres Landes, für die Menschenrechte jener einzustehen, die an das Versprechen eben solcher universellen Rechte geglaubt haben? Müssten wir als Deutsche jetzt nicht an der Seite dieser Menschen stehen, die unsere Wertvorstellungen und unser Ziel eines freien, demokratischen Gemeinwesens teilen, und sie nach unseren Möglichkeiten unterstützen, statt jenen zu hofieren, der seit Jahren gezielt darauf hinarbeitet, all die Rechte und Hoffnungen zu vernichten?
Selbstverständlich ist auch uns bewusst, dass der Staatspräsident der Türkei auch künftig ein politischer Gesprächspartner bleiben muss. Doch wir können und dürfen auch nicht darüber hinwegsehen, dass nach der Gleichschaltung der Medien, der Unterdrückung der demokratischen Opposition sowie von der OSZE bestätigter Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen der Wahlsieger nicht unter demokratischen Bedingungen gewählt worden ist.
Werden Sie, verehrter Herr Bundespräsident, ein Zeichen setzen können und auch Oppositionspolitiker oder deutsche NGOs wie uns empfangen und mit uns das Gespräch suchen, um unser Bild von der „Neuen Türkei“ zu erfahren? Teilen Sie, verehrter Herr Bundespräsident, unsere Auffassung, dass es eindeutig zu weit geht, wenn ein Politiker an der Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft einen Kranz niederlegen soll, der selbst völkerrechtswidrige Angriffskriege führt, seine eigene Bevölkerung bombardiert und Städte im Osten seines Landes in Schutt und Asche legt? Ist dieses nicht vielmehr eine unerträgliche Verhöhnung früherer und heutiger Opfer von Krieg und Gewalt?
Werden Sie, verehrter Herr Bundespräsident, den Moment an der Gedenkstätte nutzen, um an die Opfer der türkischen Innen- und Außenpolitik zu erinnern und dabei den Blick nicht nur auf den Genozid an den Armeniern, sondern auch auf den aktuellen Krieg gegen die kurdische Volksgruppe werfen?
Wir als Deutsche mit kurdischen Wurzeln verstehen uns vorbehaltlos als Teil der europäischen Wertegemeinschaft. Unsere Eltern, gleich ob Sunniten, Aleviten oder Jesiden, kamen nach Deutschland, weil es ihnen individuelle Freiheit und politische Selbstbestimmung ebenso versprach wie den Schutz vor der Verfolgung durch einen türkischen Nationalismus, der ihnen jedes Recht auf kulturelle Eigenständigkeit absprach. Dieses Deutschland, das uns zur Heimat geworden ist, kann und darf sich nicht jenen unterwerfen, die seine Werte mit jeder ihrer Handlungen missachten. Es ist unsere Pflicht – und jedes Repräsentanten unseres Landes sein, antidemokratische Entwicklungen auch jenseits unserer Landesgrenzen fest im Auge zu behalten, anzusprechen und im Rahmen unserer Möglichkeiten zu handeln.
Es befremdet uns, die wir unsere kulturellen Wurzeln in jenem Land haben, sehr, dass in den Beziehungen zur türkischen Regierung offenbar andere Bewertungskriterien angewendet werden, als sie sonst im Umgang befreundeter Nationen miteinander gelten. Wir wollen uns dem sich uns leider zunehmend aufdrängendem Eindruck nicht hinnehmen, dass Menschenrechts- und Verfassungsverletzungen in der Türkei aufgrund finanzieller und militärischer Überlegungen diskret übergangen werden. Wir wollen und können nicht glauben, dass grundlegendes Recht nicht gelten soll, weil angebliche, ökonomische oder strategische Zwänge höher zu bewerten sind.
Wenn wir als Deutschland jetzt zu einer Normalisierung der Beziehungen zur Türkei übergehen, dann bedeutet dieses, dass wir ein Unrechtssystem mittragen und in die Verantwortung zu nehmen sind für jeden Verstoß gegen geltendes Völker- und Menschenrecht.
Wir erwarten eine kritische Distanz zur türkischen Regierung. Eine Politik gegenüber der Türkei, die sich ausdrücklich an den Prinzipien von Menschen- und Völkerrecht wie Rechtsstaatlichkeit orientiert.
„Die Kurden haben keine Freunde außer den Bergen!“ An dieses uralte, kurdische Sprichwort erinnerte der diesjährige Träger der Fiedler-Münze, der kurdische Mathematiker Caucher Birkar, in seiner Dankesrede. Wir möchten der dringenden Hoffnung Ausdruck geben, dass dieses Wort nicht länger gilt.
Wir, die Kurdische Gemeinde Deutschland, bittet Sie eindringlich, den türkischen Staatspräsidenten Erdogan nicht als Staatsgast zu empfangen. Wir halten ihn der Ehren, die dieser Besuch mit sich bringt, für nicht würdig. Es entspricht nicht dem Selbstverständnis eines freiheitlich-demokratischen Landes, einem Despoten, der in seinem eigenen Land, aber auch über die Landesgrenzen hinweg, zahlreiche Verstöße gegen die Grundsätze der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen praktiziert, auf diese Weise willkommen zu heißen.
Eine der wichtigsten Gründe für die Bedrohung der liberalen Demokratien durch ihre Gegner ist, dass unsere Politiker ungern klare und unmissverständliche Positionen beziehen. Aber die Menschen erwarten solche klaren und unmissverständlichen Positionen, weil ihnen die Werte von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wichtig sind. Weil sie an das Versprechen einer Bundesrepublik Deutschland geglaubt haben und immer noch glauben, dass dieses Land nach der traurigen Zeit des Nationalsozialismus sich ohne Wenn und Aber zu eben diesen Werten bekennt. Enttäuschen Sie, verehrter Herr Bundespräsident, bitte nicht jene Deutschen, gleich ob mit oder ohne Wurzeln in anderen Ländern, für die Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat das absolute Maß deutscher Politik sind und sein müssen.
Hochachtungsvoll
Ali Ertan Toprak
Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland e.V.