Tichys Einblick
Energiekosten 

Kündigungen: Kein Strom mehr für zahlreiche mittelständische Unternehmen 

Immer mehr kleinen und mittleren Betrieben wird der Stromvertrag von den Stadtwerken gekündigt. Selbst Großanbieter wie E.On wollen ihre mittelständischen Kunden loswerden. Oft gibt es keine Anschlussverträge mehr – oder nur zu exorbitanten Preisen. 

Leuchtreklame der Stadtwerke Osnabrück

IMAGO / osnapix

Schon seit Anfang dieses Jahres – der Krieg gegen die Ukraine lag noch fern – warfen Stromanbieter ihre Kunden aus Altverträgen. Die Stromlieferanten könnten die betroffenen Verbraucher nicht mehr mit Strom beliefern, weil die Preise am Handelsmarkt explodieren, hieß es. Die hohen Strompreise trafen den Mittelstand schon seit Juli 2021 „wie ein Schlag“. Und sogar schon im März 2021 stellte der Bundesrechnungshof der Bundesregierung ein verheerendes energiepolitisches Zeugnis aus. „Die Bundesregierung steuert den Transformationsprozess weiterhin unzureichend“, so das Urteil. Das gefährde eine sichere und bezahlbare Stromversorgung. Die Großhandelsbörse EEX in Leipzig verzeichnete Mitte vergangenen Jahres die höchsten Strompreise seit zwölf Jahren. Notierungen hatten sich seit März 2020 mehr als verdoppelt – und lagen (also im Juli 2021) bei über 70 Euro pro Megawattstunde. Über die Hälfte der Stromrechnung sei durch Steuern und Umlagen staatlich verursacht. Daran änderten auch die weitreichenden Befreiungen energieintensiver Großbetriebe von der EEG-Umlage nichts, so damals die Wirtschaftswoche. Das alles mehrere Monate vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine.

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Nun trifft es den Mittelstand erneut „wie ein Schlag“. Reihenweise wird mittelständischen Betrieben der Stromvertrag gekündigt. Die Begründung: Aktuell schwankten die Strompreise so stark, dass die Stadtwerke nicht in der Lage seien, Verträge anzubieten, meldet die Wirtschaftswoche. „Allein in Osnabrück sind über 1000 Geschäftskunden betroffen, deren Verträge zum Jahresende auslaufen und die aktuell keine neuen Angebote vom Grundversorger bekommen. ‚Da kann einem Angst und Bange werden‘, sagt der Geschäftsführer eines Betonwerks in Lintel, Kreis Gütersloh. Teilweise bekommen die Mittelständler von Versorgern gar keine neuen Angebote mehr für ihre Strommengen. Oder die Preise sind so hoch, dass die Unternehmen sie wirtschaftlich nicht stemmen können. Oft liegt der Arbeitspreis beim Zehnfachen des letzten Vertrags.“

Auch bei der Mittelständlerin Möllenkamp, die in Osnabrück fünf Edeka-Filialen betreibt, waren die Preissteigerungen extrem. „Würde sie in die Grundversorgung rutschen, die die Stadtwerke Osnabrück Geschäftskunden für drei Monate bieten, würde sich der Preis auf 50 bis 80 Cent erhöhen. Für ihre fünf Edeka-Märkte würde das im schlimmsten Fall über eine Million Euro an Mehrkosten bedeuten“, schreibt die Wirtschaftswoche. 

„Die Kalkulierbarkeit von Preisen bei stichtagsbezogenen Verträgen ist de facto unmöglich geworden“, so ein Sprecher der Stadtwerke Osnabrück. Dass die Stadtwerke bereits im vergangenen Jahr 16,9 Millionen Euro Verlust gemacht haben, soll damit nichts zu tun haben. 

Selbst der Energieriese E.On kündigt wegen Beschaffungskosten den Stromkunden. Aktuell sind alle Anbieter mit einer historisch einzigartigen Situation auf den Energiemärkten konfrontiert.“ Deshalb werde der aktuelle Stromvertrag gekündigt. Der Stromanbieter bietet eine „Alternative“, die selbstverständlich deutlich teurer ist. Auch der Stuttgarter Stromanbieter E.Vita, der unter anderen auch gewerbliche Kunden beliefert, will von der vertraglich gesicherten Preisgarantie nichts mehr wissen. 

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„Im ganzen Land murren Mittelständler und machen sich Sorgen, ob sie im kommenden Jahr überhaupt noch Strom beziehen können. Ob produzierendes Gewerbe, Einzelhandel oder Autohaus, die Nöte sind dieselben“, berichtet die Wirtschaftswoche. „In einem Edeka-Markt in Stadthagen muss der Betreiber künftig statt 74.000 Euro fast eine halbe Million Euro für den Strom zahlen. Und der Osnabrücker Zoo rechnet bei den angestiegenen Preisen mit 200.000 Euro Mehrkosten im Jahr.“

Indessen fordern die Unternehmen Lösungen von der Politik: Die EU und der Bund müssten handeln, damit die Strompreise wieder ein normales Niveau erreichen. Die Umlagen auf den Strompreis sollten zeitweise abgeschafft werden. Laut Daten des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) machten Steuern, Abgaben und Umlagen bei Haushalten zuletzt gut 30 Prozent des Strompreises aus. Bei den Preisen für die Industrie liegt der Anteil seit Wegfall der EEG-Umlage allerdings nur bei drei Prozent.

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