Die heutige Presseschau verrät viel über den Zustand der Medien und der in ihnen Schreibenden. Die Identität des Autors bestimmt das Ergebnis. Valerie Höhne beschreibt auf SPON begeistert den Auftritt von Annalena Baerbock auf dem Parteitag der Grünen:
»Baerbock hat zuvor eine außerordentlich gute Rede gehalten. Über Verantwortung, den Wirtschaftsstandort Deutschland, sie spricht sich für eine Europäische Armee aus. Aber sie redet auch darüber, wie es ist, als Frau in der Politik eine Führungsrolle zu übernehmen: „Wenn Mann die Argumente ausgehen, wird Frau reduziert aufs Geschlecht“, sagt sie.
Plötzlich werde die Schnelligkeit des Sprechens (sie spricht an dieser Stelle schneller) oder die Höhe der Stimme (ihre Stimme wird höher) oder, sie macht eine Pause, die Zickigkeit zum Gradmesser für Kompetenz erklärt. Sie sei dankbar für ihre Partei – für die Statuten und die Satzung. Für die Vorgängerinnen, die vielen starken Frauen. Es ist der Höhepunkt ihrer Rede. Der Saal tobt, fast 800 Delegierte jubeln ihrer Vorsitzenden zu.«
Zu Robert Habeck folgt bei Höhne:
„Ihr Co-Parteichef Robert Habeck spricht nach ihr. Er versucht erst gar nicht, ihre Rede zu toppen. In den ersten anderthalb Minuten erwähnt er Baerbock vier Mal.”
Die Reihenfolge hat sich also geändert. Aus dem Prinzen wurde der Prinzgemahl. Aus dem, er einmal was werden soll einer, der nichts zu sagen hat. Echte Damenwahl. Denn ähnlich bewundernd berichtet Cordula Eubel für den Tagesspiegel:
»Als Annalena Baerbock am Samstagmittag auf die Bühne des Grünen-Parteitags tritt, weiß sie, dass der Moment von vor zwei Jahren sich nur schwer wiederholen lässt. Damals ahnte niemand, welche Wucht ihre Kandidatur für den Grünen-Vorsitz entfalten würde. Baerbock war eine anerkannte Fachpolitikerin, die Bundestagsabgeordnete galt als versiert in der Klima- und Europapolitik. Doch ob sie das Zeug hätte, einen Saal mitzureißen?
„Wir wählen hier heute nicht nur die Frau an Roberts Seite, sondern die neue Bundesvorsitzende der Grünen“, rief Baerbock selbstbewusst. Am Ende begeisterte sie die Delegierten mit ihrer Rede mehr als Robert Habeck, der wenig später zu ihrem Co-Parteichef gewählt wurde.«
Fakt ist: Als Fachpolitikerin war sie nicht bekannt, eher als Hinterbänklerin. Die Medien haben sie aber für Höheres bestimmt und schreiben sie da hin. Kritische Distanz? Fehlanzeige. So was ist von früher. Und so wälzt Höhne auf SPON lange und ausführlich die Frage, wer von den beiden der bessere Kanzlerkandidat wäre. Daraus ein paar Splitter:
- Baerbock gilt als sehr kompetent, stets gut vorbereitet und als integrierend.
- Habeck gilt als machtbewusst und charismatisch, als einer, der eine andere Sprache pflegt.
- Die fehlende Regierungserfahrung ist Baerbocks größtes Manko.
- Habeck hat zwar Regierungserfahrung, aber er ist weniger berechenbar als sie.
- Habecks Markenzeichen ist seine Art, mit anderen über Politik zu sprechen, als sei er selbst einer von ihnen, als sei er kein Berufspolitiker. Manchmal führt das zu Schnitzern – wie bei der Pendlerpauschale.
Die „Schnitzer” Baerbocks, die regelmäßig im Internet kursieren, vom Strom, der im Netz gespeichert wird, angefangen, kommen bei Höhne nicht vor. Auch nicht die Kobolde, die in Baerbocks Batterie für den Strom radeln. Wer für Höheres hochgeschrieben wird, darf nicht kleinlich auf Tatsachen und Sachkenntnis geprüft werden. Dabei ist es nicht lohnend, den Unterschied zwischen Baerbock und Habeck in der Sachkenntnis von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu suchen. Baerbock ist unübersehbar Frau. Das zeichnet sie aus und rechtfertigt Alles. Man könnte vermuten: Quote schlägt Qualifikation. Aber das wäre in diesem konkreten Fall ungerecht.
Hilfreich ist dieser Absatz auf SPON:
»Ein Mitglied der Grünen Jugend, der Habeck bei einer Veranstaltung über alternative Wirtschaftsformen erlebt hatte, beschrieb seinen Eindruck einmal so: „Ich habe ihn dort als sehr inkompetent erlebt. Er hatte wenig Ahnung, aber wollte trotzdem immer etwas sagen.“«
Ausnahmsweise ist die Quote nicht verantwortlich für die Wahl der größeren Inkompetenz? Andersrum wäre es auch nicht klüger. Aber das muss man ja nicht in den Zeitungen schreiben, denken sich die Kollegen, die sich an ihrem Traumpaar berauschen?
Ich fragte meinen Nachbarn, der nicht nur den Parteitag verfolgte, sondern sich regelmäßig mit dem Parteienstaat und seinem Produkt Grüne befasst. Der sagte: „Es ist ganz einfach: Er weiß nix und sie versteht nix.«
Ich lass‘ das mal so steh’n. Die Kanzlerin hat ja gesagt, sie „ermuntere jeden, seine oder ihre Meinung zu sagen, Nachfragen muss man dann aber auch aushalten. Und gegebenenfalls sogar einen sogenannten Shitstorm.“
Na dann nix wie los, Leute.