„Project Veritas“ hat wieder einmal zugeschlagen – und hat den EU-Parlamentarier Maximilian Krah (AfD) als Stichwortgeber Katars entlarvt. Die investigative Plattform war in diesem Jahr mit verdeckten Aufnahmen von Gesprächen mit Twitter-Mitarbeitern aufgefallen, die im Zusammenhang der Musk-Übernahme den Abgrund woker Belegschaft und interner Zensurpolitik enthüllte. Deutsche Medien hatten das Portal deswegen als „rechtsradikal“ eingeordnet, der Wikipedia-Eintrag nennt die Webseite „far-right“. Der Deutschlandfunk nannte sie gar „Amerikas neue Hetzer“. Eine von Linken initiierte Schmutzkampagne, um den politischen Gegner zu beschädigen, ist es also nicht.
Was genau tat Krah? Er spielte die Zahl der Todesopfer herunter, die auf die Ausführung der WM im Golfstaat zurückzuführen ist. Nun ist es in der Tat schwierig einzuordnen, wie viele Tote es auf dem Bau gab – eigentlich wäre das die Aufgabe Katars. Die Zahlen reichen von den offiziellen drei Todesopfern, die die katarische Regierung vorgibt, bis hin zu Tausenden, wie sie etwa der Guardian sensationsheischend herausgab. Die Zahl der Toten von Katar ist damit zum politischen Bekenntnis geworden.
Krah spricht von 20 Toten, es seien „sogar weniger“. Das habe ihm der katarische Botschafter mitgeteilt. Damit gibt der Politiker ziemlich genau das Narrativ Katars wieder. Dort hat man nachvollziehbarerweise wenig Interesse an einer echten Aufarbeitung. Die Geldforderungen der Familien aus dem Ausland könnten horrend ausfallen, der Imageschaden für das Land wäre fatal.
Die Äußerung steht in einem Kontext. Krah ist schon in der Vergangenheit mit Apologien für zweifelhafte Regime aufgefallen – nicht nur bei Katar. Dass die Äußerungen im Zuge von „Qatargate“ Zündstoff sind, versteht sich von selbst. Es ist aber nicht das erste Mal. Als im EU-Parlament die Menschenrechtslage in Katar verhandelt wurde – es ging namentlich um den Tod südostasiatischer Gastarbeiter –, äußerte sich Krah ähnlich und drehte es in eine Ablehnung westlich-woker Agitation um.
Doch die Vorgeschichte ist länger. Es war die AfD im EU-Parlament selbst, die Krah deswegen auf die Finger geklopft hat. Wegen der „wiederholten Verletzung von Treue- und Loyalitätspflichten gegenüber der Fraktion“ war Krah von der Fraktion „Identität & Demokratie“, welcher die AfD angehört, am 5. April 2022 suspendiert worden. Nicolaus Fest, der Leiter der deutschen Delegation, erklärte, dass einige Mitglieder den Fraktionsausschluss gefordert hätten. Krahs Verhalten hätte gar den Verbleib der AfD in der Fraktion gefährdet.
„Qatargate“ hat bisher vor allem den Sozialdemokraten im EU-Parlament geschadet, die sich mit Bargeldbeträgen erwischen ließen, das sie am liebsten den übrigen Bürgern der EU-Staaten verbieten würden. Die Art und Weise, wie diese „Korruptionsaffäre“ medial behandelt wird, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nur ein Mosaikstein ist. Denn neben der aufgeflogenen Fünferbande, die in den Schlagzeilen steht, stehen mittlerweile weitere 60 Abgeordnete unter Verdacht. Zitat aus dem Focus: „Der Großteil soll aus der S&D-Fraktion, der EVP-Fraktion und aus ‚neueren rechten Parteien‘ stammen.“
Bisher bestehen keine Beweise dafür, dass Krah Geld aus Katar erhalten hat. Die Einlassung oben legt aber nahe, dass es keine „guten“ und „schlechten“ Fraktionen in diesem Spiel gibt, bei dem ausländische Machthaber versuchen, Einfluss auf das EU-Parlament zu nehmen. Es ist vielmehr ein Beleg für ein strategisches Vorgehen, Einfluss über neuralgische Schaltstellen in allen Parteien zu gewinnen. Und man sollte sich nicht darüber täuschen, dass die Emirate am Golf dabei noch die kleinsten Fische sind. Der große, rote Elefant im Raum heißt China.
Ein Journalist, der sich bei der Sichtung einer ganzen Reihe von Hinweisen verdient gemacht hat, ist der polnisch-amerikanische Investigativjournalist Matthew Tyrmand. Dieser hat minutiös die Verstrickungen von Krah mit der kommunistischen Partei Chinas aufgelistet. Huawei und Petroleum China finanzierten Krahs Reise in die Volksrepublik, deren Jahrestag er mit einem Video zelebrierte – wir sprechen immerhin vom Beginn der Herrschaft Maos. Ganz der chinesischen Sichtweise folgend, ordnete er die Tibet- und Xianjang-Politik als „Interne Angelegenheiten“ Chinas ein, ähnlich, wie den Umgang mit Taiwan. Dem Sprachrohr der kommunistischen Partei, der Global Times, gab er ein Interview. Darin war Krah bereit, das pro-taiwanesische Verhalten des EU-Mitglieds Litauen als „traurig“ zu bezeichnen, und den mangelnden Realitätssinn in Vilnius zu beklagen, während er auf Kuschelkurs mit dem geostrategischen Gegner in Peking ging.
Die Personalie Zahradil war kein unbekannter Name in Brüssel. Er war Vize-Vorsteher des Handelskomitees während der Verhandlungen über das EU-Investitionsabkommen mit China. Es wurde im Dezember 2020 abgeschlossen – nur einen Monat vor der Suspendierung der Gruppe. Zum Mitschreiben: Ein EU-Vertreter, der an einem wichtigen China-Deal beteiligt ist, stand im Verdacht, ein Handlanger Pekings zu sein, nachdem einer der umstrittensten außenpolitischen Deals der europäischen Außenpolitik durchgewunken wurde.
Das Magazin Politico, das den Fall Zahradil am detailliertesten begleitete, berichtete schon drei Monate zuvor – im November 2020 – von den Einladungen der „Freundschaftsgruppe“ und deren Funktion als chinesischer Interessenvertretung. Politico schrieb damals:
„In seiner Einladung deutete Zahradil auf den Vorteil hin, den seine Position potenziellen Mitgliedern verschafft. Er versprach, sein ‚stärkeres politisches Profil‘ zu nutzen, um die Beziehungen zwischen der EU und China zu stärken, insbesondere in den Bereichen ‚Handels- und Umweltpolitik‘ – letzterer ein sehr umstrittener Bereich zu Beginn der Handelsgespräche. […] Parlamentsbeamte, die aus Sorge, sie könnten politische Vergeltung erleiden, nicht genannt werden wollten, sagten, die Freundschaftsgruppe bedrohe die Interessen der EU, weil ihre Positionen die Agenda Pekings und die Position ihres Vorsitzenden im Handelsausschuss widerspiegelten.“
Ähnlich wie Krah in der Global Times war Zahradil in chinesischen Medien aufgetreten und habe damit die Arbeit des Parlaments unterminiert, so eine Äußerung von Reinhard Bütikofer (Grüne), dem Oberhaupt der offiziellen China-Delegation des Parlaments. Bütikofer gilt als entschiedener Gegner chinesischen Einflusses in der EU.
Im April 2021 nahm das Parlament eine Untersuchung vor. Zahradil wurde vorgeworfen, die finanzielle Unterstützung der Freundschaftsgruppe durch China nicht transparent genug gestaltet zu haben. Der Verdacht erhärtete sich, im Juli 2021 folgte eine Rüge wegen Fehlverhaltens. Zahradil verteidigt sich: Die Freundschaftsgruppe sei kein Werkzeug für chinesische Propaganda gewesen.
Zahradil selbst gehört der konservativen ODS an, die wiederum der EKR-Fraktion (Europäische Konservative und Reformer) angehört; daneben waren Mitglieder aus allen Fraktionen und Ländern vertreten. Eine bestimmte Partei oder eine bestimmte Nation kann daher nicht verantwortlich gemacht werden. Längst zeichnet sich im EU-Parlament ab, dass es nicht nur offizielle politische Netzwerke gibt, die sich über Parteien und Fraktionen konstituieren – sondern auch über außereuropäische Vertreter, die ihren Einfluss in Brüssel geltend machen wollen.
Zu spät bemerkte man, dass einige der Koalitionsfreunde offenbar sehr eigene Interessen bei dieser „Öffnung nach Osten“ hatten. Der M5S gilt heute in Italien nicht nur als pekingaffin; es gibt deutliche Hinweise auf ausgeprägte Connections und „Gefallen“. Spätestens im Zuge der Corona-Krise – die Lega hatte mittlerweile die Regierungsbeteiligung aufgelöst – zeigte sich der chinesische Einfluss auf die italienische Politik bei der Übernahme chinesischer Lockdown-Maßnahmen. Seitdem hat es nicht nur bei der Lega, sondern insgesamt in Italien ein Umdenken gegeben. In der neuen konservativen Regierung unter Giorgia Meloni setzt sich die Lega dafür ein, dass die Chinesen aus Triest herausgehalten werden sollen.
Hintergrund war dabei nicht zuletzt das Gerangel um den Hamburger Hafen, das hierzulande immer noch von zu vielen als Streit um ein Terminal abgetan wird. Dass alte und neue ausländische Kräfte versuchen, politischen wie wirtschaftlichen Einfluss auf den Kontinent zu erringen, und Europa längst nicht mehr dominierender Faktor, sondern aufzuteilende Beute geworden ist, könnte vielleicht zu viele Seelen verstören, die immer noch daran glauben, dass die Großmächte lediglich Handel mit ihnen treiben und gute Beziehungen unterhalten wollen.
Aktualisierung von 13:00:
In einer früheren Version hieß es: „Huawei finanzierte Krahs Reisen in die Volksrepublik“. Richtig muss es heißen: Huawei und Petroleum China finanzierten Krahs Reise in die Volksrepublik.