Nach dem Krisentreffen mit den beiden AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla erklärte der AfD-Kandidat Nummer eins für die Europawahl, was zu erwarten war: „Wenn Sie jetzt aber glauben, das sei das Ende meiner Spitzenkandidatur, dann muss ich Sie enttäuschen. Ich bin und bleibe Spitzenkandidat.“ Vorausgegangen war die Verhaftung eines Mitarbeiters von Krah in dessen Brüsseler Abgeordnetenbüro, Jian G., den die Ermittler verdächtigen, für den chinesischen Nachrichtendienst Interna aus dem EU-Parlament geliefert und oppositionelle Chinesen in Deutschland ausgekundschaftet zu haben. Krah sagte, er habe von etwaigen geheimdienstlichen Aktivitäten seines Mitarbeiters nichts gewusst. Er habe ihm die Kündigung ausgesprochen. Bis jetzt besteht nur ein Verdacht gegen Jian G. Für irgendeine Verwicklung Krahs existiert kein Beleg.
Krah gehört außerdem zu den Initiatoren eines Anti-EU-Papiers, das er auf dem AfD-Parteitag in Riesa 2022 durchboxte – gegen den Widerstand von Alice Weidel und Tino Chrupalla, die den Vorstoß als zu extrem ablehnten. Durch dieses Papier verschlechterte sich das Verhältnis der AfD zu Marine Le Pens Rassemblement National und zu Georgia Melonis Fratelli d’Italia erheblich. Auch das sehen etliche in der AfD-Parteispitze als politische Last. Sie hatten erwartet, dass Krah mit der Übernahme seiner Funktion als Spitzenkandidat zur EU-Wahl hilft, die Brüche zu anderen rechtskonservativen Parteien in Europa wieder zu kitten. Diese Hoffnung erfüllte er aus ihrer Sicht nicht.
Wegen eines bloßen Verdachts gegen einen Mitarbeiter würden Chrupalla und Weidel ihren Parteifreund allerdings nicht zum Rückzug drängen. Und selbst dann, wenn sich eine Verbindung zu Krah selbst herausstellen sollte, wäre das unwahrscheinlich. Der Politiker verdankt die Nummer eins auf der Kandidatenliste einer Parteitagsmehrheit. Und die stünde auch weiter hinter ihm. Außerdem gibt es auch keine Möglichkeit, jemand anderes nachzunominieren, falls Krah tatsächlich auf die Kandidatur verzichten würde.
Dafür, dass die Parteibasis und vermutlich auch die meisten potentiellen AfD-Wähler sich an den Vorwürfen gegen Krahs Mitarbeiter nicht stören, gibt es einen einfachen Grund. Und der lautet: Das, was Politik, Verfassungsschutz und ein Teil der Medien seit Anfang des Jahres als konzertierte Aktion gegen die Partei betreiben, leidet unter grotesker Überinszenierung. Das Schauspiel begann am 10. Januar mit dem Artikel der auch mit Staatsgeldern finanzierten Plattform „Correctiv“ unter der Überschrift „Geheimplan gegen Deutschland“, der sich mit einem privaten Treffen von 25 Personen in einem Potsdamer Hotel befasste – das allerdings schon am 25. November 2023 stattfand. Was dort passierte, war äußert unspektakulär: ein Vortrag des rechten Österreichers Martin Sellners zu seinem längst bekannten Buch „Regime Change von rechts“ und zu seinem Dauerthema „Remigration“.
Innenministerin Nancy Faeser und andere nahmen bereitwillig den geschichtsvergessenen Vergleich der Zusammenkunft von Potsdam mit der Wannseekonferenz nationalsozialistischer Funktionäre 1942 auf. Und auf den wie am Schnürchen organisierten Kundgebungen quer durchs Land, von hingerissenen Kommentatoren mancher Medien zur spontanen Erhebung aus der „Mitte der Gesellschaft“ verklärt, flatterten Fahnen der Grünen, der Grünen Jugend, der Jusos und Palästina-Flaggen. In München beschimpfte der Sänger einer linksextremen Band von der Bühne herab bei der ‚gegen Rechts‘-Kundgebung nicht nur die AfD, sondern konsequenterweise auch CSU, CDU, Freie Wähler und FDP.
Genau diesen Part schnippelten eifrige Haltungsjournalisten des Bayerischen Rundfunks in ihrer Berichterstattung von der Demonstration heraus – und machten erstens erst recht darauf aufmerksam, dass sich die Kampagne gegen das gesamte Lager von Mitte bis rechts richtete, und zweitens, wie sehr sich der ARD-Sender hier wie anderswo ganz selbstverständlich als propagandistischer Helfer der Linken betätigt. Der Versuch schließlich, die Correctiv-Story auch noch zu verfilmen, wirkte eher so, als hätte die AfD selbst Regie geführt, so dümmlich und grobschlächtig wirkte das Agitprop-Stück.
Als nächstes folgten Anklage und das Gerichtsverfahren gegen den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, weil der die Wendung „alles für Deutschland“ gebraucht hatte – allerdings schon 2021.
Fast zeitgleich verbreiteten mehrere Medien eine Tonaufnahme des tschechischen Geheimdienstes BSI, die angeblich dokumentieren soll, wie der AfD-Politiker und Europawahl-Kandidat Petr Bystron von dem ukrainischen Geschäftsmann Artem Martschewskyj bei einer gemeinsamen Autofahrt 20.000 Euro angenommen habe. Bystron bestreitet die Vorwürfe. Bis jetzt ist unklar, ob es überhaupt ein authentisches Tondokument gibt – und wie es, falls es existiert, die Übergabe einer bestimmten Summe belegen soll.
Bei AfD-Anhängern dürfte sich eher der Eindruck festsetzen, Regierungspolitiker, Geheimdienstler und ein Teil der Medien setzten alles in Bewegung, um der Partei kurz vor vier wichtigen Wahlen zu schaden. Dazu trug auch Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang bei, der in einem Fernsehinterview meinte, sein Amt, der Inlandsgeheimdienst, könne ja nicht „allein“ die Wahlergebnisse der AfD nach unten drücken. Neben der Überinszenierung und solchen herausgerutschten Bemerkungen behindert noch ein dritter Punkt den Versuch, die AfD durch Skandalisierung aus der Arena zu drängen: mit Nancy Faeser, Lisa Paus und Thomas Haldenwang bilden drei öffentliche Figuren die Phalanx der ‚gegen Rechts‘-Bewegung, die auch bei Wählern aus der Mitte denkbar unsympathisch wirken.
In den Umfragen schadeten die Vorwürfe und Verdächtigungen der AfD bislang nicht sonderlich. Ihr Stimmanteil ging leicht zurück – was eher daran liegen dürfte, dass Sahra Wagenknechts BSW ihr einige Prozentpunkte abnimmt. In Sachsen und Thüringen blieb die Partei Weidels und Chrupallas bis jetzt demoskopisch relativ stabil. Das Motto ihrer Anhänger lautet dort offenbar: jetzt erst recht. Vor allem nützte die massive Mobilisierungswelle gegen die AfD den Ampel-Parteien nicht das Geringste. Die SPD kommt in aktuellen Umfragen gerade auf 16 Prozent, die Grünen fielen kürzlich mit 12 Prozent auf den tiefsten Stand seit 2018. Und die Freidemokraten bewegen sich mit 5 Prozent noch immer in der Todeszone.
Zum Eindruck der Inszenierung nach Drehbuch trug auch der Grünen-Politiker Konstantin von Notz bei, der nach der Verhaftung des Krah-Mitarbeiters erklärte: „Die Vorfälle sind gravierend, weitere werden absehbar folgen.“ Von Notz ist Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag, das die Arbeit der Geheimdienste beaufsichtigt.