Tichys Einblick
Die Kosten der Corona-Politik

Mediziner warnen vor einer Mental-Health-Pandemie

Die DAK-Gesundheit fordert eine "Präventions-Offensive". Der Grund: Die Corona-Politik hat eine Welle von Angststörungen bei jungen Menschen ausgelöst - Mediziner sprechen von einer drohenden psychologischen Pandemie.

@ Getty Images

Begegnung in Mainz-Neustadt. Ein Mann geht mit seinem Hund spazieren, kurz hinter beiden folgt eine junge Frau, zwischen 16 und 20 Jahre alt. Sie trägt zwei Masken, eine Kapuze und einen Schal. Ein paar Meter vor dem Supermarkt bleibt der Hund stehen, um an einem Busch zu schnüffeln. Die Frau bleibt ebenfalls stehen. Sie tanzt von einem zum anderen Bein, ist sichtlich nervös. Dann weicht sie auf die Straße aus, läuft an Mann und Hund vorbei und flüchtet in den Supermarkt. Es ist Mai 2020.

Eigentlich hat es keine Statistik gebraucht, um zu erkennen, dass es mental nicht gesund war, wie wir mit der Pandemie umgegangen sind. Nun trudeln die Statistiken allmählich ein. Und ihre Zahlen sind verheerend: Im vergangenen Jahr wurden ein Drittel mehr 15 und 17 Jahre junge Frauen mit einer Angststörung in Kliniken versorgt als noch 2019. Auch gab es deutlich mehr Behandlungen bei Essstörungen und Depressionen. Das zeigt eine Sonderanalyse der Krankenkasse DAK-Gesundheit. Mediziner warnen demnach vor einer „Mental-Health-Pandemie“, einer psychologischen Pandemie also.

„Die massive Zunahme von schweren Ängsten und Depressionen bei Mädchen ist ein stiller Hilfeschrei, der uns wachrütteln muss“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. Die anhaltenden Krisen hinterließen tiefe Spuren in den Seelen vieler junger Menschen, wobei die aktuellen Krankenhausdaten nur die Spitze des Eisbergs seien: „Wir müssen offen über die Entwicklung sprechen und den Betroffenen und ihren Familien Unterstützung und Hilfe anbieten.“ Er hält eine „breite Präventionsoffensive in Schulen, Vereinen und Verbänden“ für notwendig, „um die psychische Gesundheit von Mädchen und Jungen zu stärken.“

Die Zahlen stationär behandelter Angststörungen seien 2021 und 2022 „deutlich und kontinuierlich“ angestiegen. Im vergangenen Jahr wurde ein Rekord erreicht, berichtet die DAK: Hochgerechnet auf alle Jugendlichen in der Altersgruppe 15 bis 17 kamen 2022 bundesweit rund 6.900 Mädchen mit einer Angststörung ins Krankenhaus. Das entspricht einem Anstieg von 35 Prozent im Vergleich zu 2019, dem Jahr vor Corona. Auch bei Essstörungen und Depressionen nahmen die Krankenhausbehandlungen jugendlicher Mädchen zu: So stieg die Zahl der Klinikaufenthalte im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2019 bei Essstörungen um über die Hälfte an, bei Depressionen nahmen die Behandlungszahlen um gut ein Viertel zu.

„Wir befinden uns mitten in einer Mental-Health-Pandemie, deren Auswirkungen erst nach und nach sichtbar werden. Das zeigt sich bereits jetzt besonders im Bereich der Angststörungen und der Essstörungen“, sagt Professor Christoph U. Correll, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Berliner Charité. „Die Pandemiesituation hat nachhaltig negative Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit junger Menschen, die sich in Zukunftsangst manifestiert“, so Dr. Thomas Fischbach, der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. Neben der Pandemie sieht er den Krieg in der Ukraine und die Angst um die wirtschaftliche Zukunft als weitere Auslöser für psychische Erkrankungen.

Die Fallzahlen sind bei Mädchen deutlich höher als bei Jungen: „Mädchen neigen eher zu internalisierenden psychischen Störungen als Jungen. Sie ziehen sich beispielsweise mit Depressionen und Ängsten eher in sich zurück“, sagt BVKJ-Präsident Fischbach: „Depressionen, Angst- und Essstörungen sind häufig in stationärer Behandlung, während gerade die Verhaltens- und emotionalen Störungen im ambulanten Bereich versorgt werden.“

Die Zahl der Behandlungen psychischer Erkrankungen insgesamt ist in Kliniken indes in der Pandemie zurückgegangen. Doch das ist laut den von der DAK befragten Experten keine gute Nachricht. Wir hatten in deutschen Kliniken schlicht weniger Kapazitäten zur Verfügung“, sagt Correll. Während durch die Pandemie-Politik Angststörungen, Essstörungen und Depressionen zunahmen, konnten sie stationär nicht behandelt werden, weil die Betten für Corona-Patienten frei gehalten wurden. „Vor diesem Hintergrund ist der Anstieg von Angststörungen, Essstörungen und Depressionen als noch dramatischer zu bewerten“, sagt Correll.


Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.

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