Tichys Einblick
Konstituierende Sitzung des neuen Bundestags

Der Kampf gegen die Opposition ist Staatsziel Nummer eins

Der 21. Bundestag ist zum ersten Mal zusammengetreten. Gregor Gysi hielt die Eröffnungsrede, Julia Klöckner wird neue Bundestagspräsidentin. Beide Personalien zeigen, welches Staatsziel sich das neue Parlament unter Führung von CDU/CSU gesetzt hat.

Alterspräsident Gregor Gysi (Die Linke) eröffnet die konstituierende Sitzung des neuen Bundestags, 25. März 2025

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Gregor Gysi hat ein Faible für Verlorenes: Als er im Herbst 1989 den Vorsitz der DDR-Einheitspartei SED übernahm, gehörte es zu seinen ersten Aufgaben, um Vertrauen für Egon Krenz zu werben. Dem Generalsekretär der Partei, die zweieinhalb Jahrzehnte auf jeden schießen ließ, der aus dem linken Paradies floh. Egon Krenz stand dabei treu an der Seite von Erich Honecker. Dem linken Diktator, der bis zuletzt Wahlen im Sinne seiner Herrschaft manipulieren ließ. Gregor Gysi eröffnet nun im 78. Lebensjahr als Alterspräsident den 21. Bundestag.

Gysi eröffnet den 21. Bundestag im Sinne des „Parteienkartells“, wie es der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann formuliert. Nach alten Regeln wäre der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland als ältester Abgeordneter der Alterspräsident gewesen und hätte den 21. Bundestag eröffnet. Um AfD-Kandidaten zu verhindern, hat das „Parteienkartell“ vor vier Jahren die Regeln geändert: Nicht mehr der älteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete eröffnet das Parlament. Ein „abgekartetes Spiel“, eine „erbärmliche, perfide Aktion“ nennt das Baumann.

Die Personalie Gysi-Gauland zeigt gleich zu Beginn, um welches Staatsziel es im 21. Bundestag zentral geht und gehen wird: die einzig verbliebene Opposition im Parlament klein zu halten. Dass die AfD genau das ist, hat sich bei der Abstimmung über das Aufweichen der Schuldenbremse im Bundesrat gezeigt. Dort stimmten die anderen Vertreter des „Parteienkartells“ des Bundestags der Änderung der Verfassung zu. Also CDU, CSU, SPD, Grüne und Linke. Letztere schloss sich ohne Not der Änderung an. Zur Belohnung erhielt der Fan von Egon Krenz nun die Aufgabe, das Parlament zu konstituieren.

Ein Symbol. Doch dieses Symbol ist mit Inhalten hinterlegt. Die Union habe mit Gauland einen Alterspräsidenten verhindert, der einst ihrer Partei angehört habe, erinnert Baumann die Christdemokraten. Stattdessen hätten sie mit Gysi einen ehemaligen Funktionär der SED installiert. Deutlicher ließe sich der Wandel der CDU/CSU nicht machen. Apropos Kapitulation der Union vor Links. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer Thorsten Frei sagt über Gysi: „Wenn bei uns das Parlament eröffnet wird, macht das einer von uns.“ Es sei richtig, dass dies mit dem Krenz-Fan jemand sei, der „Erfahrung und Souveränität mitbringt“. Es entstehe etwas Neues, sagt Frei – und hat damit recht. Auf seine Weise. Die CDU ist nicht mehr die Partei von Konrad Adenauer und Helmut Kohl, sondern von Angela Merkel und Friedrich Merz.

Ganz am Ende seiner Rede lässt Frei noch eine Alibi-Distanzierung folgen. Gysi sei nicht ausschließlich der perfekte Kandidat für die Aufgabe des Alterspräsidenten. Das muss der Christdemokrat tun. Diese Relativierung. Denn es gibt in der deutschen Gesellschaft keine linke Mehrheit. Aber es gibt im deutschen Parlament eine linke Mehrheit. Dank CDU und CSU. Sie blinken im Wahlkampf nach rechts, um nach der Wahl scharf nach links abzubiegen. Um das Wahlversprechen zu brechen, die Schuldenbremse nicht anzutasten. Die Union bringt die Wähler, die sie noch wegen Kohl und Adenauer wählen, in ein linkes „Parteienkartell“ ein. Deswegen muss Frei so tun, als ob er Gysi kritisiert. Doch eigentlich sieht er ihn als „einer von uns“, einer mit „Erfahrung und Souveränität“.

Dann hält Gysi seine Rede. Er nutzt das Privileg, um zu fordern, dass es in Deutschland wenigstens eine Universität geben müsse, die nach Karl Marx benannt ist. Zu fordern, dass sich der neue Bundeskanzler entschuldigen müsse, weil die Bundesrepublik die guten Seiten der DDR nicht übernommen habe. Zu fordern, dass die Parteien nicht nachfragen, welches Geld der Staat an welche nicht-staatliche Organisation gibt. Gysi spricht sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus, für höhere Steuern und für einen Staat der Palästinenser. Die Forderung der Kindermörder, Vergewaltiger und Leichenschänder der Hamas. Nach Gysis Wunsch sollen die Parteien sich zudem in „Gremien“ treffen, die geheim große Beschlüsse erarbeiten und dann erst dem Bürger vorstellen. Also eine Art Politbüro. „Heute beginnt etwas Neues“, sagt der Christdemokrat Frei. Stimmt. Er bringt die Stimmen von Wählern ins „Parteienkartell“ ein, die wegen Adenauer und Kohl die CDU gewählt haben und nun den Krenz-Fan erhalten.

Nachdem Gysi fertig ist, wählt der Bundestag die tatsächliche Präsidentin des Parlaments. Es wird Julia Klöckner. Sie hat in Kohls Heimat Rheinland-Pfalz drei schwere Wahlniederlagen zu verantworten. Zwei davon als Spitzenkandidatin. Zur Belohnung beförderte die CDU sie erst zur Bundesministerin, nun zur Bundestagspräsidentin. Dem zweithöchsten Amt des Landes. Das „Parteienkartell“ muss sich auch deshalb so stark gegen die AfD wehren, weil Wahlergebnisse zu nichts führen dürfen. Das zeigen sie damit, dass ihr führendes Personal aus Wahlverlierern besteht: Mit Frank-Walter Steinmeier und Klöckner besetzen zwei Politiker die höchsten Ämter, die noch nie eine Wahl gewonnen haben – aber dafür schon derbe Niederlagen eingefahren haben.

Die Personalie Klöckner symbolisiert genau wie die Personalie Gysi die Kapitulation der CDU/CSU vor Links. Die designierte Bundestagspräsidentin wollte etwas Selbstverständliches machen: mit allen Fraktionen des Bundestags reden. Mit der AfD dürfe sie das nicht, schrieben ihr die Grünen vor. Klöckner ist so eingeknickt, wie das von der Partei Angela Merkels und Friedrich Merz’ zu erwarten ist. Nicht mal ehrlich und aufrichtig war Klöckner beim Einknicken. Statt ihre Kapitulation vor den Grünen zuzugeben, schob sie Terminprobleme als Ausrede für ihre Absage an die AfD vor. „Es beginnt heute etwas Neues“, sagt Frei. Stimmt. Für CDU und CSU. Nur ist etwas Neues ist halt nicht immer etwas Gutes.

Mit dem Aufweichen der Schuldenbremse hat die neue Regierung noch mit dem alten Parlament Fakten geschaffen: Obwohl der Staat mit einer Billion Euro seinen Bürgern so viel Geld abnimmt wie nie zuvor, kommt die Politik mit dieser Wahnsinnssumme nicht aus. Weil sie keine Probleme löst, sondern mit Geld zuwirft, nimmt sie künftig ungebremst Schulden auf. Inhaltlich hat sich das „Parteienkartell“ damit festgelegt. Nun steht der Kampf gegen die einzige Oppositionspartei im Mittelpunkt seines Tuns, als Staatsziel Nummer eins. Dass dies nichts bringt, sondern die AfD weiter zulegt, daran erinnert Baumann sie. Doch im neuen Parlament spricht er damit ins Leere.

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