Tichys Einblick
Glosse

Konsequenzen: Das Wort fehlt im Wortschatz der Bundesregierung

Das Mautdebakel um Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer mündete in einen Untersuchungsausschuss ohne weitere Konsequenzen. Aber wer muss in Berlin je Verantwortung für sein Handeln tragen?

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„Scheuer hat im Parlament auf meine Frage gelogen, Rücktritt ist unausweichlich.“. So beschreibt der FDP-Politiker Oliver Luksic das Ergebnis der Befragung des Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer in der Maut-Affäre.

Andreas Scheuer hatte mit den Unternehmen CTS Eventim und Kapsch TrafficCom Verträge darüber abgeschlossen, die geplanten Mautstellen zu unterhalten. Als jedoch der Gerichtshof der EU die Maut als nicht mit EU-Recht kompatibel erklärte, wurden Entschädigungszahlungen in Höhe von 560 Millionen Euro an diese Unternehmen fällig.

Entschädigungen von 560 Millionen Euro waren vermeidbar

Diese Entschädigungszahlungen hätten vermieden werden können, wenn die Mautbetreiber und das Verkehrsministerium mit dem Unterschreiben der Verträge gewartet hätten, bis der EuGH über den Fall der Maut entschieden hatte. Dies boten die Unternehmen beziehungsweise ihre Geschäftsführer wohl an – doch Scheuer schlug das Angebot aus und forderte sofortige Vertragsunterzeichnung. Der Rest ist bekannt: Der sogenannte EuGH erklärte die geplante PKW-Maut als nicht mit EU-Recht kompatibel und Entschädigungen für die Unternehmen wurden fällig. Scheuer behauptet nun, es habe die oben beschriebenen Angebote zum Warten auf den EuGH nie gegeben, die Geschäftsführer behaupten im Untersuchungsausschuss das Gegenteil. FDP und CSU bezichtigen sich gegenseitig der Lüge.

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Doch es geht weiter. Gegen die Maut hatte die österreichische Regierung Klage beim EuGH eingereicht. Scheuer soll versucht haben, diese Klage mit dem Hinweis zu verhindern, dass ein Teil der Mautaufträge doch an die österreichische Firma Kapsch TrafficCom vergeben wurde. Der Geschäftsführer von Kapsch TraficCom, Georg Kapsch, stellte zu diesem Thema auf Betreiben Scheuers den Kontakt zum österreichischen Kanzler Sebastian Kurz her.

Zu den oben beschriebenen anfälligen Entschädigungen kommen noch die Kosten, die die Maut bisher schon gekostet hat: 76,9 Millionen Euro waren es laut Verkehrsministerium alleine bis Juni dieses Jahres. Das Geld wurde für Berater, Gutachten und Personal ausgegeben. Bis heute dürften diese Kosten weiter gestiegen sein. Insgesamt wird das Mautdebakel wohl mindestens 637 Millionen Euro gekostet haben. Die Konsequenz für Verkehrsminister Scheuer: bisher null.

Konsequenzen: Das Wort, dass in Berlin keiner kennt

Aber Konsequenzen, das ist ein Wort, das in Berlin niemandem mehr geläufig ist. Eine Familienministerin Giffey schreibt ihre Doktorarbeit ab: Kein Rücktritt, keine Aberkennung des Doktortitels, aber dafür eine eigens für sie erfundene Rüge ihrer Arbeit (man denke dabei nur an die Guttenbergaffäre, als der Verteidigungsminister gehen musste und aus der Politik bis heute verbannt ist). Jetzt wurde ein bisher geheimgehaltenes Dokument der Freien Universität Berlin bekannt. Dieses wurde vom Allgemeinen Studierendenauschuss (AStA) veröffentlicht. Darin wird Giffey vorgeworfen, an 119 Stellen falsch oder nicht zitiert zu haben. Die Analyse kommt zu dem Schluss, dass an mehreren Stellen von einer „objektiven Täuschung“ auszugehen ist, für die die Prüfer auch einen „bedingten Vorsatz“ sehen. Doch all dies scheint der FU Berlin nicht gewichtig genug, um Giffey den Doktortitel abzuerkennen – denn wer verscherzt es sich schon gerne mit einer Politikerin, die im nächsten Jahr Oberbürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin werden könnte? Denn das Amt des Wissenschaftssenators wurde 2006 in die Senatskanzlei eingegliedert.

Oder wie der AStA es ausdrückt: „Studierende fallen durch Prüfungen, weil sie zwei Zitatangaben vergessen haben. Selbst CDU-Politiker Frank Steffel wurde der Doktortitel durch die FU entzogen, obwohl er weit weniger abgeschrieben hatte. Wir sehen hier keinerlei Verhältnismäßigkeit, sondern politisches Kalkül der FU-Führung.“

Dann gibt es da noch einen Finanzminister Scholz, der mit Cum-Ex tief in einen Steuerskandal verwickelt ist und anscheinend Banken mit ihrem Millionen-Betrug einfach davon kommen lässt – und auch an anderer Stelle versagt, zum Beispiel im Wirecard-Komplex.

Berliner Politiker müssen nicht nur keine Konsequenzen tragen, sie werden für ihr unmögliches Verhalten auch noch belohnt. So zum Beispiel Ursula von der Leyen, die 31 Millionen Euro für Berater- und Unterstützungsdienstleistungen ausgab. Gelder, die im Großteil an McKinsey flossen, das Unternehmen, dass nicht nur der ehemalige Arbeitgeber der von der Leyen Vertrauten und Staatssekretärin Katrin Suder war, sondern auch einen der Söhne von der Leyens beschäftigt.

Braucht die Bundeswehr überhaupt das MK556?
Auf das neue Sturmgewehr wird die Bundeswehr lange warten
Dazu kommt die geplante Ausmusterung des Sturmgewehrs G36. Kostenpunkt: 250 Millionen Euro. Auftragnehmer: Eine thüringische Waffenschmiede mit weniger als zehn Mitarbeitern, die einer saudi-arabischen Holding gehört und im Jahr kaum sieben Millionen Euro Umsatz macht. Der Grund für die Ausmusterung: Feuert man mit dem G36, bis der Lauf sich erhitzt, dann sinkt die Genauigkeit. Das ist bei allen Waffen so, denn in der Hitze verziehen sich die Bauteile. Ein ähnliches Problem verursachten die heißen Temperaturen Afghanistans. Ein Problem, das sich durch die Einführung von Munition, die für Afghanistan optimiert ist, ausgleichen ließ. Aber was sind schon 250 Millionen für ein neues Gewehr, das nicht gebraucht wird, wenn die Bundeswehr nicht genug einsatzbereite Panzer, U-Boote oder Stiefel hat?

Wie bekannt, wurde von der Leyen zur Kommissionsvorsitzenden der Europäischen Union befördert, dahin kann man Scheuer also nicht wegbefördern. Familienministerin Griffey will 2021 Oberbürgermeisterin von Berlin werden (Bezirksbürgermeisterin von Neukölln war sie schon). Aber was tun mit Scheuer? Er könnte  versuchen, als Bürgermeisterkandidat in seinem Heimatwahlkreis Passau anzutreten, doch die Stadt ist schon seit 2008 in SPD-Hand. Ein solches Risiko geht ein Parlamentarier doch nicht ein. Scholz kandidiert als Kanzlerkandidat der SPD, doch den Posten als Kanzlerkandiaten der Union wird Scheuer auch nicht erringen. Zum einen ist er Mitglied der CSU, die von der CDU sowieso geschnitten wird und zum anderen ist sein Name nicht Söder, der mehr oder weniger offen mit dem Posten liebäugelt. Was bleibt Scheuer also? Nun, einem Mann, der der Geldverschwendung einer von der Leyen das Wasser reichen kann, muss schließlich ein ähnlich wichtiger Posten anvertraut werden.

Aber vielleicht ist der angerichtete Schaden noch nicht groß genug für die globale Bühne. Irgendeine Bundesbehörde wird sich schon finden. So wurde die auch als Sozialministerin wenig erfolgreiche Andrea Nahles (SPD) Präsidentin der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation. Diese Behörde ist nicht wahnsinnig wichtig, aber liegt in Bonn und damit in der Nähe von Nahles Pferdestall in der Eifel. Mal schauen, wohin die Work-Life-Balance Andreas Scheuer treibt.

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