Jede Eheschließung dauert länger, als die auf den letzten Drücker im deutschen Bundestag durchgepeitschte Debatte über die eheliche Gleichstellung plus Adoptionsrecht für Lesben und Schwule. Eine Las Vegas-Hochzeit also. Schnell in der Limo vorfahren, schnell „Ja“ sagen und schnell zurück ins Casino an die Spieltische. Die möglicherweise nun folgenden Verfassungsklagen werden deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Die fraktionslose Erika Steinbach hielt ihre letzte Rede als Bundestagsabgeordnete und erinnerte noch einmal an die Verfassung, an die Kernaufgabe der Familie – sie ging ohne Applaus zurück auf ihren Stuhl, irgendwo ganz hinten unterhalb der Zuschauertribünen, wohin man sie verbannt hatte. Kollegin Gerda Hasselfeldt von der Union sagte im Prinzip nichts anderes, durfte aber den Applaus von weit über 200 Kollegen mitnehmen, die später als Minderheit nebst Kanzlerin gegen den Gesetzesentwurf stimmen sollten.
Bundestagspräsident Lammert ließ es sich nicht nehmen, von seinem hohem Pult herunter die letzte Rede der Abgeordneten kritisch zu kommentieren als er ihr quasi hinterherruft: Nein, so eine von Steinbach benannte Kanzlerinnen-Demokratie gäbe es nicht. Jeder Abgeordnete sei doch nur seinem Gewissen verantwortlich. Dass er damit damit den Brigitte-Spruch der Kanzlerin selbst konterkariert, die ja die Ausnahme einer Gewissensentscheidung selbst konstruierte, entgeht Lammert – oder ist sie sein vergiftetes Abschiedsgeschenk an Merkel?
Als das Abstimmungsergebnis bekannt gegeben wird, zünden Grüne um Claudia Roth und den aufgedrehten Volker Beck bunte Konfettikanonen. Es regnet Konfetti über den Abgeordneten. Nein, nicht in schwarz-rot-gold, auch nicht in den Regenbogenfarben, man hat genommen, was der Karnevalsartikelladen übrig oder Volker Beck noch im Keller hatte. Da allerdings hatte Heiko Maas schon seinen Redebeitrag zum nächsten Tagesordnungspunkt NetzDG gehalten, also geworben für Sanktionsmaßnahmen gegen Facebook, gegen die Meinungsfreiheit usw. Eine für ihn willkommene Unterbrechung.
Auch die Fernsehsender schalten sich nun aus der Debatte, als es um das NetzDG geht. Phoenix zeigte zwar noch die Rede von Heiko Maas, eventuelle Gegenreden können jetzt aber nur noch Internet- oder Handy-User via Parlamentsfernsehen schauen.
NetzDG, wir haben vielfältig berichtet. Kritisch begleitet, was Heiko Maas, was sich die Bundesregierung da übles ausgedacht hat. Auch darüber, dass Hate-Speech zumindest auf unserer Facebook-Seite nicht stattfindet. Schon deshalb, weil es kinderleicht ist, ein, zweimal am Tag einen nicht akzeptablen Kommentar eigenhändig zu löschen und noch einmal an die Netiquette zu erinnern.
Das kann jeder „Betreiber“ einer Facebook-Seite, dafür bedarf es keines Gesetzes oder verschärfter Betreibereingriffe. Es mag sein, dass Heiko Maas öfter löschen muss als andere. Aber er kann, wie alle anderen auch, eigenständig Besucher und Freunde entfreunden und von seiner Seite verbannen, ohne dass Facebook selbst oder gar ein deutsches Bundesgesetz dafür von Nöten wäre oder gar intervenieren müsste.
Ja, auch wenn Heiko Maas Kritik an seiner Politik auf seiner Seite löscht, dann ist das möglicherweise nicht souverän, aber auch noch nicht strafbar. Es funktioniert einfach. Beim NetzDG geht es offensichtlich darum, bestimmte Facebook-Gruppen und Facebooker ganz zu verbannen aus dem Netz und Seiten, die sowieso bisher nur besucht, wer sie besuchen will. Wer schauen will, was strafbar ist, wird Strafbares finden. Aber es kommt nicht automatisch zu ihm, dafür gibt es die eigenverantwortliche Lösch- und Sperrfunktion, in die Facebook oder irgendein Gesetz überhaupt nicht eingreifen.
Löschen würde man nun am liebsten auch diese Karnevalsveranstaltung, die nach dem Willen der Jecken als deutsche Sternstunde im Parlament in die Geschichtsbücher eingehen soll. Aber das Gedächtnis ist nicht so einfach zu überlisten.
Unter dem aufgeregten Regenbogenbanner wird dann noch rasch vor dem zweiten Frühstück von der verbliebenen knappen Hälfe der Abgeordneten mit den Stimmen von Union und SPD das Gesetz gegen „Hasskriminalität“ im Internet beschlossen, das den offiziellen und irreführenden Namen „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ trägt.