Zwischen den ersten Hallenser Strafverfahren gegen Björn Höcke wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a Strafgesetzbuch) und dem jetzigen Verbotsverfahren gegen die Compact GmbH u.a. ergibt sich eine interessante Parallele. Im Vorfeld des Höcke-Verfahrens war es ja so gewesen, dass Dutzende von Journalisten, vor allem aber auch Professoren aller möglichen Fachrichtungen in Fernsehinterviews ihrer Überzeugung Ausdruck verliehen hatten, Björn Höcke müsse den in der Öffentlichkeit ja gänzlich unbekannt gebliebenen Umstand, dass es sich bei der Wortfolge „Alles für Deutschland“ um „die“ oder eine wichtige „Losung der SA“ handele, auf jeden Fall gekannt haben – schließlich sei er Geschichtslehrer gewesen!
Interessant blieb, dass sich unter all diesen Beteuerern jedoch kein einziger Professor fand, der sagte: „Also, ich wusste das immer schon – daher gehe ich davon aus, dass Höcke es auch wusste.“ Spätestens auf Nachfrage mussten auch bekannte Historiker jeweils zugeben, selbst keine Ahnung von der Björn Höcke angeblich so gut vertrauten Geschichtstatsache gehabt zu haben. Unter der Hand wurde Björn Höcke somit ungewollt im Fernsehen zu einem Geschichtsdenker promoviert, dessen reines Faktenwissen offenbar jeden Universitätsprofessor spielend in den Schatten stellt. (Im Verfahren kam dann bekanntlich heraus, dass eine besondere oder gar ausschließliche Verbindung zwischen der Formel und der SA größten Zweifeln unterliegt, so dass es vermutlich insofern gar nichts zu „wissen“ gab).
Auch ein Redakteur der ZEIT hatte am Morgen des 16. Juli 2024 offenbar ein nicht abzuweisendes Störgefühl. Im ZEIT-Magazin hatte es ja, die Älteren erinnern sich vielleicht, jahrzehntelang die Reihe „Um die Ecke gedacht“ gegeben. Das tat dann auch der Redakteur, offenbar mit erschreckenden Ergebnissen. Ihm sei bislang gar nicht klargewesen, schrieb er dann sinngemäß auf „Twitter“ (X), dass in ein paar Jahren ein dann vielleicht amtierender AfD-Innenminister ohne weiteres offenbar auch die ZEIT verbieten könnte, ganz ohne Gerichtsurteil, nur weil ihm die ganze Richtung nicht passt. Das machte ihm irgendwie Angst. Der Tweet wurde später gelöscht.
Dass ein Verein, der entweder der organisierten Kriminalität nachgeht oder aber die freiheitlich-demokratische Grundordnung aktivistisch bekämpft, notfalls und als letztes Mittel durch den Innenminister verboten werden kann (ob Bundesinnenminister oder Landesinnenminister, kommt auf den faktischen Wirkungskreis des Vereins an), gehört zum juristischen Grundwissen. Dies steht bereits in Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes, der lautet: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ Dabei ist der Wortlaut nach allgemeiner Ansicht verunglückt, denn solche Vereine „sind“ natürlich nicht verboten, sondern sie können unter Umständen, wenn alle milderen Maßnahmen keine Abhilfe versprechen, verboten werden. § 3 des Vereinsgesetzes konkretisiert Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes und ordnet überdies u.a. an, dass das gesamte Vereinsvermögen dann beschlagnahmt wird.
Parallel dazu könnte man auch den Eindruck haben, dass es Politik und Staatsanwaltschaften nicht übermäßig interessiert, ob der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren das Urteil gegen Höcke wieder aufhebt (wofür einiges spricht) – wenn dies nur vor den nächsten Landtagswahlen in Thüringen im September nicht geschieht (was ausgeschlossen werden kann). Und auch danach wäre eine entsprechende Entscheidung des Bundesgerichtshofs wohl kaum ein „Waterloo“ für die Regierenden, zumal nach den Erfahrungen in der „Correctiv“-Affaire während des letzten halben Jahres wohl zu erwarten ist, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen über noch so große Erfolge Höckes im Revisionsverfahren unter Umständen.gar nicht oder kaum berichten würde.
Im Schatten der „Nachrichtensperre“ würden dann Politiker und Medien noch auf Jahre hinaus von der seinerzeitigen „Verurteilung“ Höckes schwadronieren. Man könnte sagen: Der politisch-mediale Komplex verwandelt sich mehr und mehr in einen medial-politischen Komplex, und zwar im Zeichen des Umstandes, dass es auch scheinbar aktiven Politikern auf äußere Tatsachen, auf die „Verwandlung der Welt“ unter ihrer Ägide gar nicht mehr ankommt, sondern eben nur noch auf die „Andere Welt“ der medialen Berichterstattung als „Tatsache höherer Ordnung“, die in Deutschland eben nach wie vor stark durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen geprägt wird.
Zwar wird sich ein Misserfolg der Innenministerin Faeser beim Compact-Verbot nicht vollkommen unter der Decke halten lassen (man ahnt jetzt schon die Formulierung der Kommentatoren, es habe – lediglich – irgendwelche juristischen „Formfehler“ gegeben). Aber zu dem von Wolfgang Kubicki für diesen Fall bereits geforderten Rücktritt der Bundesinnenministerin kommt es vermutlich dennoch nicht. Schnell wird sich der Mainstream darauf einigen,
(1) Nancy Faeser sei eine herausragend gute Innenministerin, weil sie sich beim „Kampf gegen Rechts“ von niemandem überbieten lasse, auch wenn nicht jede Aktion immer erfolgreich sein könne, und
(2) das Ergebnis beweise das vorbildliche Funktionieren „unseres Rechtsstaats“ entgegen allen „Verschwörungserzählungen“. Weswegen die Regierung also einmal moralisch gewonnen habe und das andere Mal auf der ganzen Linie.
Doch zurück zu den rechtlichen Fragen. Keineswegs zum juristischen Grundwissen gehörte der den meisten Juristen bis zum 16. Juli 2024 weithin unbekannte Umstand, dass § 17 des Vereinsgesetzes auch „Wirtschaftsvereinigungen“, darunter explizit auch eine GmbH, in das Vereinsgesetz und mithin in die Möglichkeit des „Vereinsverbots“ miteinbezieht. Dadurch wird § 2 Absatz 1 des Gesetzes konkretisiert, der lautet: „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat“. Gibt es also in der Tat die Möglichkeit zu einem ministeriellen Presseverbot über das Vereinsrecht?
Erstens: Das Vereinsgesetz dient eindeutig weder der Regulierung des Medienmarktes im Allgemeinen noch der Einschränkung der grundgesetzlichen Pressefreiheit (Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz) im Besonderen. Schon von daher scheidet seine Herabziehung zu Presse- und Medienverboten (man wusste bisher eigentlich nicht, dass es so etwas in der Bundesrepublik überhaupt gibt!) von vornherein aus. Und dies ist nicht nur das Ergebnis teleologischer (= nach dem Sinn und Zweck einer Vorschrift fragender) Auslegung, sondern folgt auch aus dem Vereinsgesetz selbst (§ 32). Denn gemäß Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes muss ein Gesetz, das ein Grundrecht einschränkt, dieses Grundrecht unter Angabe des einschlägigen Grundgesetz-Artikels nennen (Zitiergebot). Die entsprechende Vorschrift des Vereinsgesetzes lautet aber: „Die Grundrechte des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt“. Von der Pressefreiheit ist hier nicht die Rede!
Zweitens: Das Vereinsgesetz könnte auch gar nicht – egal, was drinsteht! – ein Presse- oder Medienverbot rechtfertigen. Dies nämlich deswegen, weil der Bundesgesetzgeber, der es erlassen hat, weil er für die Regelung des Vereinsrechts zuständig ist (Artikel 74 Absatz 1 Nr. 3 Grundgesetz), nicht für das Presse- und Medienrecht zuständig wäre; die Zuständigkeit hierfür bleibt beim Landesgesetzgeber, und daher gibt es in jedem Bundesland entsprechende Landespresse- und Mediengesetze. Diese verweisen im Allgemeinen (wie das Brandenburgische Landespressegesetz, § 14 Absatz 1) auf die Strafbarkeit nach allgemeinen Strafgesetzen; gelegentlich (aber nicht in Brandenburg) wird als äußerste, genuin presserechtliche Sanktion die Beschlagnahmung der Gesamtauflage des fraglichen Druckwerks vorgesehen. Das eine wie das andere wäre aber die Reaktion auf konkrete Straftaten, die – soweit erkennbar – der Compact GmbH überhaupt nicht zur Last gelegt werden. Ein „Medienverbot“ gibt es nach den einschlägigen und in Gemäßheit der Gesetzgebungskompetenz der Länder erlassenen Presse- und Mediengesetze von Anfang an nicht!
Drittens: der Rechtsauffassung, dass auf das Vereinsgesetz auch das Verbot einer GmbH, die ein Medium herausgibt, gestützt werden könne (und die eben schon aus kompetenzrechtlichen wie grundrechtsdogmatischen Gründen nicht richtig sein kann!), wäre weiter der Auslegungsgrundsatz „lex specialis derogat legi generali“ (das speziellere Gesetz verdrängt das allgemeine) entgegenzuhalten. Denn es gibt ja nicht nur ein Vereinsgesetz, sondern auch ein GmbH-Gesetz. In diesem, wohl spezielleren Gesetz ist jedoch vom möglichen Verbot einer vermeintlich verfassungsfeindlichen GmbH gar nicht die Rede. Und dies ist nicht nur ein rein formelles Argument, sondern auch ein verfassungsrechtlich-materielles, jedenfalls, wenn es durch die in der Grundrechtsdogmatik zentral wichtige „Wesentlichkeitstheorie“ des Bundesverfassungsgerichts verstärkt wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen alle für die Ausübung und Einschränkung von Grundrechten wesentlichen Entscheidungen vom zuständigen parlamentarischen Gesetzgeber selber getroffen werden und dürfen nicht der freihändigen Auslegung beispielweise der Bundesinnenministerin überlassen bleiben. Es kann unter Verfassungsrechtlern nicht ernsthaft streitig sein, dass Voraussetzung des Verbots von Presse- und Medienorganen ein vom zuständigen Landesgesetzgeber ausgearbeitetes, explizites „Zeitungs- und Medienverbotsgesetz“ mit klaren Tatbestandsvoraussetzungen wäre (das dann aber aus Kompetenzgründen immer nur in einem Bundesland gelten würde). Und es kann eigentlich ebensowenig ernsthaft streitig sein, dass ein solches – hypothetisches – „Zeitungsverbotsgesetz“ es niemals den Landesregierungen selbst, die ja von der Presse bestimmungsgemäß gerade kritisiert, in die Enge getrieben und notfalls aus der Regierung geschrieben werden sollen, wenn es hierzu Anlass gibt, überlassen könnte, bestimmte Medien einfach zu verbieten; dies müsste, wenn überhaupt, immer eine völlig unabhängige Stelle beschließen, deren Entscheidung mit Rechtsmitteln überprüft werden kann.
1969 hatte es schon einmal den Versuch eines Bundesinnenministers gegeben, ein Medium verbieten zu lassen, und zwar die „Nationalzeitung“. Dieser setzte jedoch ganz anders an als der heutige Versuch des Missbrauchs des Vereinsgesetzes, nämlich über die Vorschrift aus Artikel 18 des Grundgesetzes. Nach dieser merkwürdigen, wohl obsoleten Rechtsnorm können bestimmte, nämlich die genuin politischen Grundrechte des Grundgesetzes, wie unter anderem Presse- oder Versammlungsfreiheit, „verwirkt“ werden, wenn sie „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht“ werden. Entscheiden kann hierüber nur das Bundesverfassungsgericht. Noch nie wurde diese Vorschrift bisher erfolgreich zur Anwendung gebracht; der Versuch eines Verbots der Nationalzeitung scheiterte 1974 vor dem Bundesverfassungsgericht.
Könnte es sein, dass sich zwischen den Fällen „Compact GmbH“ und „Höcke“ noch eine weitere, sehr beunruhigende Parallele ergibt? Nämlich die, dass staatliche Organe hier nicht handeln, weil sie subjektiv – allerdings zu Unrecht! – vermuten, das geltende Recht auf ihrer Seite zu haben, sondern dass hier der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden soll, dass der Transformations- und Einwanderungsstaat jedenfalls fundamentale Opposition nicht mehr duldet und der Bürger sich insofern auf formelle Rechtsregeln und den Rechtsstaat besser nicht verlassen sollte? Das Beamtenrecht wurde jedenfalls kürzlich auf Betreiben Nancy Faesers dahingehend geändert, dass der Bund Beamte einfach entlassen kann und diese dann – ohne Bezüge! – vor den Verwaltungsgerichten durch mehrere Instanzen dagegen klagen können, wobei ihnen vermutlich bald das Geld ausgehen wird.
Bei einer Zeitung, die als vermeintlicher Verein verboten wird, stellt sich eine ähnliche Problematik, da ihr Vermögen ja beschlagnahmt wird; sogar Schreibtische und Drehstühle wurden bekanntlich fortgeschleppt, um eine Weiterführung von „Compact“ zu verhindern. Die hinter den heutigen Vorgängen stehende Frage ist daher allgemein, wann der effektive Rechtsstaat, den es in westlichen Verfassungsstaaten geben sollte (und vor dem Beginn der „großen Transformation“ mit ihren zahlreichen, niemals demokratisch beschlossenen „Wenden“ bis hin zur „Zeitenwende“ auch gab!) in einen „nur noch der äußeren Form scheinbar bestehenden“ Rechtsstaat übergeht. Letzteren gibt es auch in Putins Russland.