Tichys Einblick
König Fußvolk

Mitarbeiter von Parteien und Abgeordneten verändern Politik zum Schlechten

Bei der Bundestagswahl ging es nicht nur um Abgeordnete, sondern auch um mehrere Tausend Mitarbeiter. Die sind zwar nominell nur Fußvolk, prägen aber immer mehr die politische Landschaft – und entfremden die Parteien von breiten Bevölkerungsschichten

Blick in das Jakob-Kaiser Haus, Arbeitsplatz Tausender Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten

IMAGO / Jochen Eckel

Das Wachsen des Bundestags auf 735 Abgeordnete durch Überhang- und Ausgleichsmandate bedeutet auch das Wachsen einer Branche, die ohnehin schon boomt – und die in der Politik einen immer größeren Einfluss erhält: die wissenschaftlichen Mitarbeiter. Wobei der Name irreführt. Einen akademischen Abschluss müssen diese Mitarbeiter nicht zwingend haben. Oft genug sind sie noch Studenten, meistens aus dem Bereich der Geisteswissenschaften.

Jeder Abgeordnete erhält vom Bundestag einen Etat von 22 795 Euro im Monat (Stand April). Davon werden die Löhne ihrer Mitarbeiter gezahlt. Den Arbeitgeber-Anteil an Krankenkasse und anderen Sozialversicherungen übernimmt der Bundestag zusätzlich. Wie der Abgeordnete das Geld verteilt, steht ihm frei. Er kann genauso gut fünf Mitarbeiter für je 4500 Euro einstellen oder 50 Mitarbeiter als 450-Euro-Kräfte. 

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Ein Teil der Mitarbeiter bleibt in den Wahlkreisen. Dort organisieren sie für den Abgeordneten Veranstaltungen, erledigen die Büro-Arbeit, halten Kontakt zu Ansprechpartnern und betreiben Marketing für den Abgeordneten. Ein anderer Teil geht mit dem Abgeordneten nach Berlin mit ähnlichen Beschäftigungen. Zudem bearbeiten sie das Fachgebiet des Abgeordneten – etwa in dem sie Studien auswerten.

So weit die Theorie. Die Mitarbeiter arbeiten offiziell für den Bundestag. Parteiarbeit – vor allem im Wahlkampf – ist ihnen eigentlich verboten. Zumindest in der Arbeitszeit. Doch kaum ein Verbot wird in Deutschland so systematisch missachtet wie dieses. Denn es gibt ein Schlupfloch: In ihrer Freizeit dürfen die Mitarbeiter Parteiarbeit leisten. 

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Und in dem Beruf des wissenschaftlichen Mitarbeiters sind die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben so fließend wie in nur wenigen anderen. An einem Arbeitstag um 14 Uhr auf eine Demo gehen? Für einen Schlosser oder eine Zahnarzthilfe undenkbar. Für einen politischen Mitarbeiter Normalität. Parteiarbeit auch tagsüber? Die meisten Bundestagsabgeordnete erwarten von ihren Mitarbeitern Parteiarbeit – auch tagsüber. Für manche wird sie der Grund, überhaupt eingestellt zu werden. Denn in ihrer Verwurzelung in der Partei liegt nicht nur ihre Qualität – sondern auch eine gewisse Macht über den Politiker: Kann ein Mitarbeiter auf Parteitagen Stimmen mobilisieren, entscheidet er letztlich über den Job seines Chefs.

Die Zahl der Wahlkreise bleibt gleich, aber die Zahl der Ausgleichsmandate ist gestiegen. Die Folge davon: Eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten ist nicht direkt vom Bürger gewählt worden – sondern über die Landes- oder Bezirkslisten ihrer Partei. Die werden von den Parteitagen gewählt und dort sitzen wiederum Leute, die sich Freizeit für politische Arbeit nehmen. Und wem fällt es leichter, dafür Zeit freizuschaufeln? Dem Arzt? Der alleinerziehenden Verkäuferin? Der Handwerksmeisterin? Oder vielleicht doch dem politischen Mitarbeiter?

Wobei die Mitarbeit für einen Abgeordneten im Bundestag oder einem Landtag meist nur ein Einstiegsjob ist. Manche arbeiten in gleicher Funktion für die Partei oder die Fraktion, andere werden in Ministerien eingestellt. Das ist attraktiver. Zum einen wird besser bezahlt und zum anderen winkt eine Verbeamtung. Das bringt dann auch der Partei einen Vorteil: Wenn sie aus der Regierung fliegt, bleiben die Mitarbeiter bis zur Pension in der Verwaltung, die sie dort reingebracht hat. 

So ist eine Klasse entstanden, die mittelbar oder unmittelbar von der Politik abhängt. Auf vielen Parteitagen stellen sie mittlerweile die Mehrheit. Dadurch bestimmen sie, wer Spitzenkandidat wird, wer Direktkandidat und wer auf einer Landesliste landet. Im ersten Schritt ist es für einen Politiker egal, ob die Bürger ihn kennen – geschweige denn mögen. Die erste und wichtigste Hürde, die er nehmen muss, ist der Parteitag. Dadurch hängt er von dem Wohlwollen der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Politbeamten ab.

Mit Folgen. Abgeordnete, die wiedergewählt werden wollen, müssen dieser Zielgruppe gefallen. Das heißt, sie richten ihre Politik an den Interessen dieser Gruppe aus. Für manche Parteien ist das kein Problem: Zum Beispiel für die Grünen. Akademiker, Menschen mit abgebrochenem Studium und Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst. Das sind die Zielgruppen, die die Partei ohnehin anspricht.

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CDU und SPD indes verlieren immer mehr ihren Status als „Volksparteien“. Dass sich ihr Personal erst einmal an der Klasse der Mitarbeiter ausrichten muss, ist ein wichtiger Grund dafür. Handwerker, Facharbeiter oder Freiberufler bilden in dieser Klasse eine verschwindend geringe Minderheit. Die Parteien entdecken sie als Zielgruppe oft erst vor der Wahl – nicht aber in der Entscheidungsfindung während der Wahlperiode. Die Satire-Website Postillion hat das einmal auf den Punkt gebracht und verkündet, die SPD rufe ihr traditionelles Soziales-Halbjahr vor der Wahl aus.

Karrieren wie die von Stefan Mappus sind so erklärbar. Der war so gut vernetzt in der CDU Baden-Württemberg, dass sie ihn auf ihren Erbhof setzte und zum Ministerpräsidenten machte. Doch beim Bürger fiel er derart durch, dass die CDU-Hochburg geschliffen wurde und heute unter grüner Flagge steht. Den Einfluss, sogar selbst den am wenigsten geeigneten Kandidaten zum Ministerpräsidenten machen zu können, nutzen viele Mitarbeiter aber aus, um ihre eigene Karriere darauf aufzubauen. So erklärt sich die Tendenz, dass immer weniger Lebensläufe von jungen Politikern nicht mehr aufweisen als Studium und Arbeit für: Abgeordneten, Fraktion, Partei oder Ministerium. Ebenso der Wunsch einiger Kandidatinnen, solch peinliche Lebensläufe dann aufzuhübschen. 

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