Ohne die „Ehe für alle“ keine Koalition mit der Union gab Christian Lindner für seine FDP in einem WAZ-Interview bekannt. Dieselbe Forderung für Koalitionen hatten die Grünen im Medienschatten der Todesnachrichten von Helmut Kohl am ehemaligen Tag der deutschen Einheit, dem 17. Juni beschlossen. Gestern zog die SPD nach. Ohne die „Ehe für alle“ geht die SPD in keine Koalition, sagte Heiko Maas gestern in die TV-Mikrofone. Den Nachrichten-Redakteuren scheint nicht aufgefallen zu sein: Damit schrumpfte der Saarländer die SPD auf die Größe Koalitionspartei und kassierte den Anspruch von Martin Schulz auf Kanzlerschaft der SPD.
Für Stimmen aus dem Bereich von Grünen und SPD, die schon nicht mehr wählen wollten, mag der FDP-Köder von Lindner durchaus taugen. Auch wenn ich keine große Menge Wahlberechtigter ausmachen kann, die sich dadurch über ihre Vorurteile gegen die FDP hinwegheben ließe. Allerdings hätte ich mir früher auch nie vorgestellt, dass eines Tages FDP und SPD eine Koalition mit der Union von derselben Forderung abhängig machen könnten. Den Gedanken, dass diese quasi einzige Forderung die nach der „Ehe für alle“ sein könnte, hatte ich ebenfalls nicht auf dem Radar. Ich weiß, dass es heute in „der Politik“ nicht um Inhalte geht (siehe: Unterschied zwischen politics und policy). Hier geht es nur um Koalitionshandwerk. Raffiniert an der Lindner-Forderung ist, damit auch gleich einen für die Funktionäre der Grünen wichtigen „Knackpunkt“ ausräumbar zu machen, falls es mathematisch für Schwarz-Gelb nicht reicht, sondern nur für Schwarz-Gelb-Grün. Da steckt sogar ansatzweise Strategisches drin: Schwarz-Gelb kann in dieser Konstellation die vergessene Adenauermethode wiederbeleben: Grün totkoalieren. Aber Vorsicht: Merkel und SPD zusammen können das mit FDP und Grünen in einem Abwasch erledigen. Wie gesagt, um „Ehe für alle“, um Politik in der Sache geht es nicht.
Die Zivilehe ist ein abstruses Resultat der nicht gelungenen Säkularisierung. Statt die katholische (und evangelische) Ehe in den Händen der Kirche zu lassen, wo sie hingehört, betätigt der Staat sich seit der misslungenen, weil halbherzigen Trennung von Kirche und Staat als eine Art Staatskirche in seinen Standesämtern, wo Standesbeamte sich redlich mühen, kirchenähnlich zu zelebrieren. Wer sich gegenseitig versprechen will, einander immer zu lieben, die Treue zu halten und für einander da zu sein bis ans Ende aller Tage, soll das bitte nach seiner Religion tun oder in anderer feierlicher Form. Den Staat geht das nichts an.
Ich schrieb hier vor ein paar Jahren, dass mich die staatliche Zivilehe an die Wehrpflicht erinnert. Am Ende gab es für die Wehrpflicht nur noch eine politische Mehrheit, weil Zivildiener kostengünstig im Bereich Gesundheit und Pflege weiter arbeiten sollten – nicht nur die Sozialdemokraten in allen Parteien hätten das eigentlich Ausbeutung nennen müssen. Die Zivilehe halten viele für unersetzlich (und ihre Ausdehnung auf Alle), weil an ihr wichtige organisationsstrukturelle (!) Teile des Steuer-, Gesundheits- und Sozialsystems hängen. Dafür und auch für alles Sonstige schlage ich erneut ein öffentliches Register vor, in dem sich eintragen und austragen kann, wer seinen Partnerschaftsvertrag befristet oder unbefristet für den Verwaltungsweg maßgebend machen will.
Die misslungene Säkularisierung schlägt sich noch in einer ganzen Reihe anderer Kirchenprivilegien nieder, in deren Genuss auch Verbände und Organisationen des Islam (und anderer Religionsgemeinschaften) kommen wollen, weil Macht und Geld winken. Diese Debatte können wir uns sparen, indem wir die Gleicheit vor dem Gesetz nicht durch Ausdehnung von Privilegien aus vordemokratischer Zeit auf alle, sondern durch Streichung aller Privilegien herstellen. Eine politische Kraft, die das zur Leitlinie ihrer Vorstellungen von liberaler Herrschaft des Rechts macht, wird noch gesucht.