Tichys Einblick
Große Transformation der Stahlindustrie

Klimaschutzverträge: Das Geld anderer Leute

Über „Klimaschutzverträge“ sollen Milliarden an Stahlkonzerne fließen, damit diese auf Wasserstoff umrüsten. Die Grünen freuen sich, die Großkonzerne freuen sich, die NGOs freuen sich. Zahlen müssen am Ende die Bürger für die „große Transformation“ der Mächtigen.

Die Thyssenkrupp AG mit Sitz in Essen, Deutschlands größter Stahlhersteller, möchte bei der Stahlproduktion grünen Wasserstoff nutzen, 08.06.2023

IMAGO / Rupert Oberhäuser

In „Jetzt“, dem Buch von Annalena Baerbock, erzählt die damalige Spitzenkandidatin der Grünen mit Leidenschaft von ihrer Idee, die deutsche Industrie klimaneutral umzubauen. Stahl soll mit „grünem Wasserstoff“ hergestellt werden. Sie schließt sich dem Motto der Energiewende an: Vorbild sein und damit in der Welt auffallen. Das Narrativ lautet, dass das Qualitätsprodukt Klimastahl Deutschland abheben würde. Doch ein Stahlpfeiler ist keine furlanische Schinkenspezialität, bei dem der Kunde auf die Herkunft schaut; hier gelten Effizienz und Qualität.

Für den San Daniele Schinken legt der Gourmont des Namens wegen gerne etwas mehr auf den Kassiertisch. Ob ein Entwicklungsland deutschen Stahl kauft, weil dieser das Prädikat „besonders klimawertvoll“ trägt, wenn er einen Stahl in derselben Qualität zum geringeren Preis erhält, ist fraglich. Dabei muss es nicht einmal traditionell hergestellter Stahl sein – denn bereits bei einem mit „rotem Wasserstoff“ hergestellten Stahl der französischen Konkurrenz müsste sich der deutsche Anbieter fragen, wo denn nun der besondere Klimawert liegt.

Im selben Jahr, als „Jetzt“ erschien, tobte der Wahlkampf in Deutschland. Neuerlich eine Szene mit Baerbock. Sie spielt sich im Stahlwerk von Arcelor-Mittal in Eisenhüttenstadt ab. Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Grünen, macht dort im Sommer eine Visite. Über den Besuch schreibt Business Insider. Arcelor visiert an, noch vor 2030 rund 3,5 Millionen Tonnen Stahl klimaneutral zu produzieren. „Wir wollen bereits ab 2026 bis zu 50 Prozent der CO2-Emissionen reduzieren und die klimaneutrale Produktion damit deutlich vor dem Ziel der Bundesrepublik erreichen, bis 2045 klimaneutral zu sein“, sagt Reiner Blaschek, damaliger Geschäftsführer von Arcelor-Mittal.

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Blaschek ist heute Deutschlandchef des Unternehmens. Aber nicht nur in seiner Berufslaufbahn hat sich seitdem etwas getan. 2021 kündigt sich die Energiekrise erst an. Inflation und Preissteigerungen sind noch nicht so spürbar wie ein halbes Jahr später. Russland hat die Ukraine noch nicht angegriffen. Diese Faktoren haben zu einer intensiven Kostensteigerung geführt. Und ob die „Brücke“ gelingt, statt Kokskohle zuerst Erdgas zu verwenden, solange Wasserstoff eingesetzt werden kann, ist heute fraglicher als damals geworden.

Doch das ist damals noch Zukunftsmusik. Denn obwohl Baerbock mit Blaschek in den wasserstoffreichen Zukunftsträumen geeint ist, gibt es in der Firma selbst viele Bedenken. „Das geht alles viel zu schnell“, sagt ein Schichtleiter. Denn der Stahl, der hergestellt würde, könnte weniger hochwertig sein. Im San Daniele Schinken ist also möglicherweise nicht einmal San Daniele drin. Aber der Kunde soll es dennoch kaufen. Weil: Klimaetikett. Und auch in der Firmenleitung selbst ist man nicht davon überzeugt, die gewaltigen Umbaumaßnahmen allein realisieren zu können. Zitat von damals, Juni 2021:

„Nach Aussage von Unternehmenssprecher Herbert Nicolaus würde die Umrüstung der vier Werke bis zu 1,5 Milliarden Euro kosten. Man hofft auf Förderung der Politik.“

Das schlägt angesichts der Klimaschutzverbundenheit aufs Gemüt. Baerbock weiß aber eine Lösung. Neuerlich Zitat, aus demselben Artikel:

„Mein Vorschlag ist ein Pakt zwischen Industrie und Politik, in dessen Zentrum Klimaschutzverträge stehen.“ Der Pakt solle Beschäftigten sowie betroffenen Regionen Sicherheit geben, sagt die Grünen-Chefin weiter: „Er garantiert Unternehmen, die sich der klimaneutralen Produktion verschreiben, die notwendige Planungssicherheit für den Umbau.“ […] „Es gibt 12 Milliarden Euro an Fördergeldern für Wasserstoffprojekte, verteilt über viele Ministerien, ich will das bündeln“, so Baerbock. Dafür sichern die Unternehmen Standortsicherheit und eine Beschäftigungsgarantie zu.

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Was im Jahr 2021 bei Arcelor Thema war, blieb auch im Frühjahr 2023 bei ThyssenKrupp aktuell. Mit Überschwang registrieren die Anhänger des grünen Stahls: Auch der Traditionskonzern, der einst Kanonen für die deutschen Einheitskriege baute, will in Zukunft den Weg des Klimaschutzes gehen und Stahl aus Wasserstoff herstellen. Einen Haken gibt es jedoch. Nicht so sehr für ThyssenKrupp, denn für den Steuerzahler. Denn das Land NRW fördert den Umbau: mit rund 700 Millionen Euro. Aus Berlin kommt noch einmal das Doppelte. Die Wasserstoffwende in den Großkonzernen bezahlt der einfache Bürger, damit sich die Zukunftsträume erfüllen. Hoffentlich.

Denn auch wenn es an Förderungen nicht zu mangeln scheint, so existiert ein ganz anderes Problem, dass der Schwerindustrie unter den Nägeln brennt. Die Regierung ist gut darin, Geld zu verteilen. Viel wichtiger wäre jedoch der Ausbau des Wasserstoffnetzwerks. Bereits 2021 war die Klage groß, dass kein Stahlwerk an eine Wasserstoffpipeline angebunden sei. Heißt: Die Hochöfen sollen umgebaut werden, aber die Leitungen existieren noch gar nicht. Das nächste Hindernis betrifft den Wasserstoff selbst. Dessen Herstellung gilt derzeit als teuer. Dazu kommt der deutsche Sonderweg, der nur den „grünen“ Wasserstoff gelten lassen will, also jener, der mit Wind- oder Solarenergie hergestellt wird. Über den Wasserstoffkrieg zwischen „grünem“ und rotem“ Wasserstoff, Letzterer mit Kernenergie hergestellt, war schon früher die Rede.

Die Klimaschutzverträge, die Baerbock im Namen ihrer Partei in Aussicht gestellt hat, werden bald Realität sein. Damit ist ein nächster Schritt getan auf dem Weg zur „großen Transformation“. Es ist jedoch nichts Neues in Form und Inhalt, denn eher in der Dimension. Bereits 2019 bewilligte die Bundesregierung das Förderprogramm „Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft“ mit rund 1,9 Milliarden Euro. Ab 2021 wurden im Förderprogramm „Dekarbonisierung in der Industrie“ bislang Anträge in Höhe von rund 1 Milliarde Euro gestellt und in Höhe von rund 50 Millionen Euro bewilligt.

Die Klimaschutzverträge haben deswegen Aktualität, weil das „Vorbereitende Verfahren“ des Förderprogramms am 6. Juni gestartet ist. Ab dem Winter 2023 plant die Bundesregierung die Gebotsverfahren, noch Ende des Jahres soll es den Zuschlag für einen Klimaschutzvertrag geben. Dieser soll 15 Jahre gelten – ein außerordentlich langer Förderzeitraum. Angesichts dieser Prämissen ist es auch nicht verwunderlich, dass die deutsche Industrie so handzahm mit der Ampel-Bundesregierung umgeht – wer würde nicht gerne für eine halbe Generation den milliardenschweren Umbau seiner Betriebe über Staatsgelder finanzieren lassen? Die Mittel sollen einem „Klima- und Transformationsfonds“ entnommen werden. Staatsschulden gibt es bekanntlich keine mehr.

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Das erinnert an ein Szenario, das der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im Jahr 2019 für die deutsche Wirtschaft skizzierte. Von einer neuen Industriestrategie war da die Rede, von stärkeren Eingriffen des Staates. Das Schaffen neuer nationaler und europäischer Champions sei notwendig. Das klang schon damals so, als wollte Deutschland in der wirtschaftlichen Auseinandersetzung mit China selbst etwas chinesischer werden. Die Klimaschutzverträge sind eben ein solches Instrument: Der Staat sucht sich seine direkten „Partner“ aus. Klimabetriebe statt Staatsbetriebe.

Interessant ist dabei nicht nur der Umstand, dass die Wirtschaft sich gegen Fördergelder in die Obhut des Staates begibt. Interessant ist auch, wer in den Gremien sitzt, die solche Klimaverträge ausgearbeitet haben. Aus einer Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag geht klar hervor, wer die „Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis“ sind, die mit der Bundesregierung zusammengearbeitet haben bei der Erstellung des „neuartigen Förderprogramms“. Zitat:

„Wesentlich beteiligt waren Expertinnen und Experten des Fraunhofer Instituts, des Instituts für Ressourceneffizienz und Energiestrategien, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, des Öko-Instituts, der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sowie von Takon, CMS Hasche Sigle und Deloitte. Hierfür hat die Bundesregierung seit 2021 rund 1,7 Mio. Euro gezahlt.“

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Öko-Institut. Deloitte. Die drei Namen kommen einem allzu bekannt vor. Klein ist sie, die Welt der Klimaexperten. Doch bald muss man gar nicht mehr von einer Öko-Lobby sprechen. Denn auch die Großindustrie flötet das grüne Lied, ist Gleiche unter Gleichen, teilt sich auf Augenhöhe den Kuchen als gemeinsame, große Familie. Bekanntlich gibt es nur eine Sache, das besser ist als Geld: das Geld anderer Leute.

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