Tichys Einblick
Kindergrundsicherung

Das Menetekel des Christian Lindner

Christian Lindner hat angesichts der Kindergrundsicherung eine Voraussage gemacht. Sie ist zweideutig. Im einen Fall könnte sie verheerend für die Deutschen sein – im anderen Fall wäre sie noch viel schlimmer.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in der Bundespressekonferenz in Berlin am 28. August 2023

IMAGO / epd

Wenn Politiker auf Pressekonferenzen reden, ist es anstrengend, ihnen zuzuhören. Mitunter lohnt es sich aber. Vor allem in den Sätzen, die scheinbar keinen Sinn ergeben. Erwähnen sie etwa, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu bauen, ohne das explizit nach einer Mauer gefragt worden ist, lässt sich das interpretieren. Schlauere Menschen packen dann ihre Sachen und verlassen das sozialistische Paradies, so lange es noch geht.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat auf der Pressekonferenz zur Kindergrundsicherung auch viel geredet. Ihm ging es darum, zu betonen, dass die Ampel keine (weiteren) Anreize schaffe, nicht zu arbeiten und sich auf den Sozialstaat zu verlassen. Und dass er sich weitgehend gegen die Familienministerin Paus (Grüne) durchgesetzt habe, die er Lisa nennt.

Doch ein Satz Lindners war bemerkenswert und lohnt einer näheren Betrachtung. Nachdem er die finanziellen Auswirkungen der Kindergrundsicherung kleingeredet hat, zieht er ein Fazit. Nämlich, dass es sich bei dem Projekt „um die letzte größere Sozialreform handelt, die noch in den Haushaltsrahmen des Bundes passt“. Diese Prognose lässt sich auf zweifache Weise deuten. Beide Deutungen kommen einem Menetekel gleich.

Die erste mögliche Deutung ist die gängige: Der Finanzminister hat darauf hingewiesen, dass für weitere soziale Wohltaten kein Geld mehr da sei. Das zu begründen, fällt nicht schwer. Mit über 170 Milliarden Euro ist der Etat des Sozialministers der mit Abstand größte Posten im Haushalt des Bundes. Das ist mehr als dreimal so viel Geld, wie im zweitgrößten Topf vorhanden ist. Dem des Verteidigungsministers mit rund 50 Milliarden Euro. Insgesamt ist der Staat mit 2400 Milliarden Euro verschuldet.

Die Ausgaben fürs Soziale, den Zinsdienst und das Personal machen zusammen zwei Drittel der Ausgaben des Bundes aus. Für Investitionen gibt der Bund nur ein Achtel seines Geldes aus. Wer schwach in Bruchrechnung ist, dem sei das umgerechnet: 16/24 gibt der Bund für Konsum aus, 3/24 für Investitionen. Es ist also hoch vernünftig, wenn der Finanzminister darauf hinweist, dass der Bund kein Geld mehr hat, um all die Versprechen der Ampel umzusetzen.

Nur: Wie vernunftbegabt ist die Ampel? In Deutschland gilt die Schuldenbremse. Die begrenzt die Aufnahme von neuen Schulden auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das wären aktuell etwa 15 Milliarden Euro im Jahr. Doch aus den Reihen der Ampel mehren sich die Stimmen, die über diese Summe hinaus Schulden aufnehmen wollen. Zum Beispiel die Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang. Sie will die Schuldenbremse umgehen – über scheinbare Privatgesellschaften. Dann könnte die Politik von sich behaupten, sie wirtschafte solide und trotzdem so viele Schulden machen, wie sie wolle.

Das klingt nach Rosstäuscherei. Das klingt nach Schulden, die das Land nachhaltig ruinieren könnten – verantwortet von Menschen, die sich offen dazu bekennen, dass Gebote des Grundgesetzes für sie nur ein PR-Gag sind, die man beliebig umgehen kann. Ein Sozialstaat, der sich das Soziale nicht mehr leisten kann, wäre verheerend. Ein Sozialstaat, der sich das Soziale nicht mehr leisten kann, es aber trotzdem tut, sowie ein Rechtsstaat, dessen Vertreter sich offen dazu bekennen, das Grundgesetz austricksen zu wollen – das wäre noch viel verheerender.

Es lohnt sich daher, sich nochmal Lindners Worte anzuhören. Worte, die er ohne Druck der Journalisten vorgetragen hat. Die er vor der Pressekonferenz genau so vorbereitet hat: Möglich, dass es sich bei der Kindergrundsicherung „um die letzte größere Sozialreform handelt, die noch in den Haushaltsrahmen des Bundes passt“. Das lässt auch den Schluss zu, dass die Ampel die nächsten Sozialreformen außerhalb des Haushaltsrahmen des Bundes finanziert. Wie jetzt schon die Aufrüstung oder den Transformationsfonds – also die Investitionen und Gaben für die Klimaschutz-Industrie.

Die Zuwanderung kostet Geld. Auch wenn die zuständige Innenministerin Nancy Faeser (SPD) das Gegenteil behauptet. „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) will der Industrie die Stromrechnung bezahlen und den Menschen den Zwangsaustausch der Heizung. Zusammen rechnet er dafür mit Kosten von rund 50 Milliarden Euro. Doch die Republik durfte dem Kinderbuchautoren schon öfter beim Verrechnen zuschauen als ein Lehrer seinen Schülern der zweiten Klasse. Um darzustellen, wie marode Renten-, Pflege- und Krankenkasse sind, bräuchte es (mindestens) einen eigenen Text.

Ein Land, das die Sozialausgaben immer weiter erhöht, obwohl die Wirtschaftskraft immer weiter zurückgeht. Ist gut 30 Jahre her, dass es das in Deutschland zuletzt gab. Am Ende laufen die einen diesem Land weg und die anderen stehen Schlange für Obst oder handeln mit geklauten Ersatzteilen. Da hilft es dann auch nicht, dass niemand die Absicht hatte, eine Mauer zu bauen.

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