Tichys Einblick
“Vorbildliche Rechtsprechung”

Keine Masken, Schnelltests und Abstände: Juristenverein lobt das Urteil von Weimar

Ein Weimarer Richter kippt die Maskenpflicht, Abstandsregeln und Schnelltests an zwei Schulen. Der Verordnungsgeber sei in eine Tatsachenferne geraten, “die historisch anmutende Ausmaße angenommen hat”, schreibt er. Das Urteil sei bahnbrechend und vorbildlich, sagt nun ein Verein von Richtern und Staatsanwälten.

Amtsgericht Weimar

imago images / Steve Bauerschmidt

Das Amtsgericht Weimar sorgt erneut mit einer Anti-Lockdown-Entscheidung für Wirbel. Am Donnerstag entschied ein Richter, dass die Maskenpflicht, Abstandsregeln und Schnelltestauflagen nicht mehr an zwei Schulen in Weimar gelten. Das geht aus einem Beschlusspapier mit dem Aktenzeichen 9 F 148/21 hervor, das TE vorliegt. Schulleitern und Lehrern sei es verboten, diese gegenüber den Schülern durchzusetzen. Außerdem muss weiterhin Präsenzunterricht stattfinden. Weil der Beschluss eine einstweilige Anordnung ist, folgt noch ein Hauptverfahren. Er ist aber sofort wirksam.

Dem Vernehmen nach dürfte der Beschluss mindestens einige Monate Bestand haben, selbst wenn das Gericht schlussendlich seine Entscheidung revidiert. In dem Papier heißt es allerdings, nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand erscheine es “sehr wahrscheinlich”, dass das Urteil im Hauptverfahren bestätigt werde.

Das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte lobt den Beschluss als “bahnbrechend”. Erstmalig sei – soweit ersichtlich – ein deutsches Gericht seiner Aufgabe der Tatsachenaufklärung in der gebotenen Weise und in Anbetracht der Bedeutung des Falles nachgekommen, sagt Pieter Schleiter, der Vorstand der Maßnahmen-kritischen Vereinigung. Er fügt hinzu: “Es hat bezüglich der entscheidenden Tatsachen, die unter den Beteiligten zudem umstritten waren, Sachverständige beauftragt und Gutachten eingeholt, die in ihrer Breite und Tiefe beispielhaft sind. Sodann hat es sich mit den sachverständigen Ausführungen und Ergebnissen intensiv auseinandergesetzt.” Das sei “vorbildliche Rechtsprechung”, die bislang unter deutschen Gerichten leider eine Ausnahme bilde.

Weiter erklärt Schleiter: “Wenn sich Gerichte nicht auf eine summarische Prüfung und bloße Folgenabwägung bei Eilentscheidungen zurückgezogen haben, haben sie zumeist recht pauschal die Verlautbarungen des RKI zugrunde gelegt. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass dies eine Regierungsbehörde ist, deren Votum maßgeblich dazu beigetragen hat, dass derartige Regelungen überhaupt erlassen wurden. Will man diese Regelungen wahrhaft überprüfen, und dies ist die ureigenste Aufgabe der Rechtsprechung als dritte Gewalt, muss man andere Sachverständige zu Rate ziehen.” Niemand dürfe Sachverständiger in eigener Sache sein, fügt Schleiter hinzu, der auch eine 190-seitige Verfassungsbeschwerde gegen die Corona-Maßnahmen beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat.

Die Anwältin der im Verfahren betroffenen Kinder, Ivonne Peupelmann, war überrascht vom Beschluss. “Nach den Erfahrungen des letzten Jahres war man Kummer gewohnt, gehofft habe ich aber trotzdem auf eine positive Entscheidung”, sagt die Juristin aus der Nähe von Jena. Welche Auswirkungen das Urteil haben werde, sei derzeit noch nicht abzusehen. “Eltern können Schulleiter auf das Urteil aufmerksam machen und gegebenenfalls auch eigene gerichtliche Schritte wählen nach entsprechender Beratung”, sagt Peupelmann zu TE.

Die Begründung am Schluss des 178-seitigen Papiers liest sich wie eine Generalabrechnung mit der Lockdown-Politik. Etwa heißt es dort über die Maskenpflicht, diese “schädigt die Kinder physisch, psychisch, pädagogisch und in ihrer psychosozialen Entwicklung, ohne dass dem mehr als ein allenfalls marginaler Nutzen für die Kinder selbst oder Dritte gegenübersteht. Schulen spielen keine wesentliche Rolle im „Pandemie“-Geschehen.”

Auch die PCR-Tests und Schnelltests seien nicht geeignet, eine Ansteckung mit SARS-CoV-2 nachzuweisen. Der Richter bemerkt dazu: “Laut RKI-Berechnungen (…) beträgt bei Massentestungen mit Schnelltests unabhängig von Symptomen die Wahrscheinlichkeit, beim Erhalt eines positiven Ergebnisses tatsächlich infiziert zu sein, bei einer Inzidenz von 50 (Testspezifität 80%, Testsensitivität 98%) nur zwei Prozent. Das würde heißen: Auf zwei echt-positive Schnelltest-Ergebnisse kämen 98 falsch-positive Schnelltest-Ergebnisse, welche man dann alle mit einem PCR-Test nachtesten müsste.”

Symptomlose dürften nicht zum Test gezwungen werden, heißt es weiter. Das sei unverhältnismäßig und setze die Kinder unter psychischen Druck, weil sie ihre Schulfähigkeit ständig erneut beweisen müssten. Zudem habe einer der Gutachter anhand von Erhebungen aus dem Land Österreich, das in Grundschulen dreimal pro Woche schnellteste aber keine Maskenpflicht erlassen habe, nachgewiesen: “100.000 Grundschüler müssten eine Woche lang sämtliche Nebenwirkungen des Maskentragens in Kauf nehmen, um nur eine einzige Ansteckung pro Woche zu verhindern.”

Das Gericht kommentiert die Einschätzung zu Österreich mit drastischen Worten: “Dieses Ergebnis nur als unverhältnismäßig zu bezeichnen, wäre eine völlig unzureichende Beschreibung. Vielmehr zeigt sich, dass der diesen Bereich regulierende Landesverordnungsgeber in eine Tatsachenferne geraten ist, die historisch anmutende Ausmaße angenommen hat.”

Maßnahmen wie die Maskenpflicht gefährdeten das Kindeswohl der im Verfahren betroffenen Schüler. Lehrkräfte dürften sie nicht anordnen und könnten sich auch nicht auf die Thüringer Landesverordnung berufen, “da diese schon wegen ihrer Ungeeignetheit, die angestrebten Ziele zu erreichen, in jedem Fall aber wegen ihrer Unverhältnismäßigkeit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen und damit verfassungswidrig und nichtig sind”.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Amtsgericht Weimar mit einem Anti-Lockdown-Urteil für Furore sorgt. Im Januar hatte ein Richter das Kontaktsperreverbot als verfassungsfeindlich und Verstoß gegen die Menschenwürde eingestuft. In seinem Urteil beschrieb er detailliert das aus seiner Sicht längerfristige Versagen der Regierung, die zweifelhafte medizinische Begründung und die verheerenden Folgen für die Wirtschaft und Bevölkerung (TE berichtete). Im Anschluss folgte eine Medienkampagne gegen den Richter – etwa stellte die Bild die Titelfrage, ob ein Querdenker in Weimar auf dem Richterstuhl sitze. Dem Vernehmen nach stammt das aktuelle Urteil aber von einem anderen Richter, als das Urteil vom Januar.

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