Oswald Metzger hielt es heute früh noch für möglich, dass es im sechsten Anlauf klappt, wenn er schrieb:
„Dass man mit Ausgrenzung politische Konkurrenz aber nicht dauerhaft verhindern kann, sollte sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Republik herumgesprochen haben. Politiker, die mit Dachlatten auf die Schmuddelkinder der Achtziger Jahre losgehen wollten, koalierten wenige Jahre später mit ihnen. Der Sozialdemokrat Holger Börner machte diese Erfahrung in Hessen mit den Grünen.”
Systemimmanent hat Metzger natürlich mit dem recht, was er ebenfalls heute zu den vergangenen Abstimmungen über Kandidaten der AfD zum Vizepräsidenten festhielt:
„Ein merkwürdiges Demokratieverständnis legten damit die etablierten Fraktionen des Parlaments an den Tag, weil sie zwar gemeinsam mit der AfD jeder Fraktion einen Stellvertreterposten im Bundestagspräsidium einräumten, diesen Anspruch dann aber personell per Wahlakt versenkten.”
Aber was ist, wenn das von Oswald Metzger genannte Demokratieverständnis in der politischen Realität von heute nicht mehr dem Selbstverständnis der allermeisten politischen Akteure entspricht?
Ein Leser auf TE, der regelmäßig kommentiert, tat das auch heute zur Nichtwahl der AfD-Kandidatin als Vizepräsident des Bundestages. Dabei ging er auf das Ereignis nicht so oberflächlich ein wie die meisten Texte in den üblichen Medien. Ich zitiere ihn in Auszügen:
»Aus meiner Sicht machen nicht die linksliberalen Parteien, sondern die AfD hier den Fehler. Ich halte es für naiv und romantisch, an einen „ordentlichen“ oder „rechtstreuen“ Parlamentarismus zu glauben. Dort wird gelogen, getrickst und das Recht gebogen wie überall sonst im Land und Leben …
Aus meiner Sicht kennzeichnet der Kampf um einen Posten des Vizepräsidenten weit mehr die interne Auseinandersetzung innerhalb der AfD, ob man klare Grundsatz- und damit Systemopposition sein will („der Flügel“) oder, am Ende, eine eher deutschnatinonale CDU, also „die Gemäßigten“. Dieser Kampf ist unentschieden …
Die AfD kann daher nur anders wirken, die Parlamente sind Nebenschauplatz und bestenfalls zur Parteienfinanzierung geeignet. Es sein denn – sie wird zur rechten CDU. Dann wird, so Gott will, eines Tages … die Union die AfD als Mehrheitsbeschaffer brauchen.«
Mir fehlen die Informationen über das Innenleben der AfD, um zu beurteilen, wie sehr dieses Leser-Bild deren Zustand entspricht. Womit der Leser zweifellos recht hat, ist, dass weder die AfD noch sonst eine Partei, die nach den Regeln des Parteienstaats spielt, an demselben etwas ändern kann.
Insofern wäre das Verhalten der Parteien, die es schon länger gibt, dumm. Denn der einfachste Weg, mit der AfD als Gefahr für sich umzugehen, wäre, sie so schnell wie möglich in den Betrieb des Parteienstaats einzugliedern. Der einzige rationale Grund, das nicht zu tun, ist purer Futterneid: bloß keine Posten verlieren. Dem hat sich inzwischen aber ein anderes Motiv hinzugesellt, das alles zu überlagern im Begriffe ist.
Die große Mehrheit der politischen Akteure hat sich selbst in ein Verständnis hineingesteigert, in dem die ursprüngliche Propaganda des „Kampfes gegen Rechts” sich zum politisch-ideologischen Glaubensbekenntnis verselbständigt hat. In den meisten Medien wird täglich von den Redaktionskanzeln herunter dieses Glaubensbekenntnis gepredigt. Was den Glaubensbekennnisdruck auf die Gläubigen permanent erhöht. Die Bekenntnisspirale dreht sich unaufhörlich.
In diesem Zustand sind die alten Parteien nicht mehr zu dem fähig, was sie mit den Grünen noch gemacht haben: korrumpieren durch eingliedern. Dass sich CDU, SPD und FDP da übernommen haben und inzwischen von den Grünen eingereiht wurden, ist für den Klarsichtigen kein Zweifel, auch wenn SchwarzRotGelb das nicht merken. Insofern handeln die Grünen konsequent, wenn sie keine anderen Parteien in das Kartell lassen wollen, in dem sie die Führung übernommen haben.
Mein Bild von der AfD und das des zitierten Lesers sind unterschiedlich. Er sagt – in meiner Interpretation – , systemimmanent kann die AfD nichts bewirken. Das ist zweifellos richtig. In meiner Lagebeurteilung kommen die überfälligen Anstöße zur grundlegenden Kursänderung des lahmen Dampfers Deutschland nicht von innen, sondern aus den Ländern rund um Deutschland. Bei der EU-Wahl sehen wir uns wieder. Aber da wird mir der Leser möglicherweise gar nicht widersprechen.