Es war ruhig um die Wahlrechtsreform geworden. Dabei hatte es nicht nur am Tag zuvor, sondern schon Wochen vorher den Diskurs bestimmt. Auf den letzten Metern brachte die Ampel dazu eine Änderung ein, die insbesondere die CSU und die Linkspartei empörte. Nur vier Tage vor der Abstimmung hatte die Bundesregierung die Grundmandatsklausel aus dem Gesetzesentwurf gestrichen. Folge: Die CSU kann sämtliche Direktmandate in Bayern gewinnen, wenn sie bundesweit nicht über 5 Prozent kommt, dann zieht sie nicht in den Bundestag ein.
Zur Erinnerung: Deutschland ist das erste Land, das bei jedem EU-Mitglied auf der Türschwelle steht, wenn es dort angeblich nicht demokratisch zugeht. Medial torpedieren Rundfunk und Presse in gewohntem Turnus das US-Wahlsystem. Bei einem offenkundig problematischen Wahlrecht, das im schlimmsten Fall Millionen Wählerstimmen annulliert, folgte lediglich Achselzucken. Die Causa ist eingeschlafen. Obwohl eine amtierende Regierung de facto ein Gesetz gegen zwei Oppositionsparteien geschmiedet hat.
Der mögliche Wegfall der Linkspartei ist dabei nur ein kleines Opfer, um die CSU als einen möglichen Mehrheitsbeschaffer der Union auszuschalten und damit eine links zementierte Bundesrepublik abzusichern, in der auch regional-bayerische Einwürfe ausgebremst würden – was angesichts der im Bund verschobenen Summen des Länderfinanzausgleiches umso mehr die Frage aufwirft, ob die notorischen Schuldenmacher hier nicht naheliegende Ziele verfolgen.
Die Wahlrechtsreform ähnelt damit vielen der durchgepeitschten Nacht-und-Nebel-Gesetze der Ampel, die ein Nachspiel hatten. Beim Heizgesetz musste Robert Habeck sein Projekt auf die Zeit nach dem Sommer verschieben. Ein stattgegebener Eilantrag in Karlsruhe machte es möglich. Dass der Bundeswirtschaftsminister mit seinem „Wärmepumpen-für-alle“-Gesetz inklusive Gasnetzverschrottung entgegen allen Unkenrufen durchkam, hing nicht zuletzt daran, dass die Gegner des Gesetzes, allen voran die Union, das Moment verschliefen.
Beim widerrechtlich durchgepeitschten Haushalt rächte sich später der Hammer des Bundesverfassungsgerichtes und fügte der Ampel eine Blamage zu, wie sie seit der Gründung der Bundesrepublik einzigartig ist. Seitdem hat sich das Bonmot durchgesetzt, dass die Bundesregierung selbst zur Verabschiedung eines Haushalts zu inkompetent ist.
Morgen steht das Wahlgesetz auf dem Prüfstand. Nach bisherigem Verlauf müsste auch dieses Ampelgesetz keinen Bestand haben. Die Entschlüsse des Gerichts haben in den letzten Jahren Konklave-Charakter angenommen: Das Volk wartet auf weißen oder schwarzen Rauch, was im Inneren vor sich geht, bleibt bis zur Verkündigung unklar. Überraschend klar hatte Karlsruhe etwa letzte Woche das Gut der Meinungsfreiheit, insbesondere als Instrument der Machtkritik, in einer solchen Weise bestärkt, dass auch Kritiker aufhorchten. In jüngster Zeit hat das Gericht nach den zehrenden Corona-Jahren wieder Vertrauen gewonnen – wird es dieses Mal den Kurs fortsetzen, oder in alte Muster verfallen?
Mehrere Medien postulieren sogar eine mögliche Zwischenlösung: nämlich den Wegfall der 5-Prozent-Hürde. Einer der Kläger, der Regensburger Professor für Öffentliches Recht, Thorsten Kingreen, wirft der Klausel vor, sie unterdrücke „gesellschaftlichen Pluralismus“. Florian Meinel, Staatsrechtler aus Göttingen, spekulierte darüber, dass die Hürde fallen könnte, da sie für regionale Parteien zu hoch ausfalle. Auch der Hamburger Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl sagte: „Die Grundmandatsklausel abzuschaffen und gleichzeitig an der Fünfprozenthürde festzuhalten, bedeutet eine Verengung des Repräsentationsspektrums im Parlament.“
Ein Kompromiss sähe demnach so aus: Die Direktmandatsregel der Wahlrechtsreform bleibt bestehen. Doch das Bundesverfassungsgericht könnte dies mit einer Reform der Reform verknüpfen, die das Ende der seit 1953 bestehenden Fünf-Prozent-Hürde bedeuten könnte. Das wäre nicht nur für die Linkspartei und die CSU ein Signal. Sondern auch für zahlreiche junge Parteien für die kommende Bundestagswahl.