Eine der wichtigsten langfristigen Jugendstudien legte am Dienstag in Berlin ihre neuesten Ergebnisse vor. Die Shell-Studie wird bereits seit 1953 alle vier bis fünf Jahre unter 12- bis 25-Jährigen durchgeführt und zählt aufgrund ihrer langfristigen Beobachtungen als Referenzwerk der Sozialberichterstattung.
Die 19. Shell-Studie fördert dabei einige interessante Trends zu Tage und widerlegt gleichzeitig einige hartnäckige Gerüchte, die sich vor allem nach den Landtagswahlen im Osten Deutschlands in der öffentlichen Wahrnehmung festgesetzt haben.
Weitaus skeptischer sind die Jugendlichen allerdings im Hinblick auf ihre privaten Zukunftsperspektiven. Berufliche Sicherheit und ein gutes Einkommen haben an Dringlichkeit zugelegt, die Angst vor Armut stieg angesichts der verschiedenen Krisen sogar deutlich von 52 Prozent (2019) auf 67 Prozent (2024) an.
Übertroffen wurde diese Sorge nur von der Angst vor einem Krieg in Europa. 2019 rangierte diese Sorge mit 46 Prozent noch auf den hinteren Rängen, 2024 gaben 81 Prozent der Jugendlichen an, dieses Szenario zu fürchten. Deutlich rückläufig ist hingegen die Angst vor Umweltverschmutzung, die von 71 Prozent (2019) auf 64 Prozent (2024) fiel.
Polarisierung statt Rechtsruck
Weniger deutlich als erwartet fiel der vermutete Rechtsruck der Jugend aus. Nach den starken Ergebnissen der AfD unter Jugendlichen bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen konnte ein allgemeiner Rechtsruck unter Jugendlichen durch die Studie nicht bestätigt werden. Lediglich unter jungen Männern verortet sich mittlerweile jeder Vierte (2019: jeder Fünfte) als „rechts“ oder „eher rechts“. Da gleichzeitig aber auch die Zahl jener männlichen Jugendlichen anstieg, die sich als „links“ definieren, kann weniger von einem Rechtsruck denn von einer gesellschaftlichen Polarisierung geredet werden.
Denn in anderen Bereichen liegen die Geschlechter durchaus näher beieinander, als man vermuten sollte. Der Kinderwunsch ist unter Jugendlichen mit 68 Prozent ebenso stark ausgeprägt wie vor fünf Jahren. Bei der Verteilung der Verpflichtungen gibt es nur eine leichte, seit 2019 kaum veränderte Diskrepanz zwischen den Geschlechtern. Noch immer bevorzugen 49 Prozent aller Jugendlichen ein Modell des „Mannes als Allein- oder Hauptversorger“, wobei der Zuspruch im Westen Deutschlands mit 52 Prozent deutlich höher liegt als im Osten (35 Prozent). Dabei bevorzugen rund 52 Prozent aller männlichen Jugendlichen den männlichen Alleinverdienerhaushalt, während es unter Frauen immerhin 44 Prozent sind. Nur 5 Prozent aller Frauen wünschen sich das gegenteilige Modell mit einer weiblichen Hauptverdienerin.
Gleichzeitig entwickeln männliche Jugendliche auch das Bedürfnis nach mehr Zeit mit der Familie. So bevorzugen mittlerweile 42 Prozent der befragten Jugendlichen ein Modell, bei dem junge Väter nur 30 Stunden die Woche arbeiten. 2019 lag dieser Wert noch bei 35 Prozent. Ähnliche Beweggründe, die auch aus den Erfahrungen der Pandemie entstanden sein können, dürften dafür verantwortlich sein, dass mittlerweile 69 Prozent der Jugendlichen Wert darauf legen, „von Zuhause arbeiten zu können“, im Gegensatz zu 61 Prozent im Jahr 2019. Deutlich an Bedeutung verlor der Wunsch, „etwas für die Gesellschaft zu tun“ (2024: 58 Prozent, 2019: 65 Prozent).
Geopolitisch differenziert
Subtilere Veränderungen zeigten sich im Umgang mit Politik und Medien. Das allgemeine Interesse an Politik nimmt nach wie vor zu. Während 2002 nur 30 Prozent aller Jugendlichen angaben, sich für Politik zu interessieren, sind es mittlerweile 50 Prozent. Das Vertrauen in klassische Medien ist dabei zwar ungebrochen hoch, aber alternative Informationsquellen aus dem Internet haben deutlich an Relevanz und Vertrauen gewonnen.
Im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine geben rund 60 Prozent aller Jugendlichen Russland die Schuld und plädieren für eine „Bestrafung“ Russlands, allerdings herrscht in dieser Frage ein starkes West-/Ost-Gefälle. Nur 50 Prozent der Jugendlichen meinen darüber hinaus, dass Deutschland die Ukraine militärisch unterstützen sollte.
Gleichzeitig sind 52 Prozent der Jugendlichen der Meinung, Deutschland „sollte das Leid der Palästinenser mehr anerkennen“ und nur 32 Prozent sind der Meinung, Deutschland habe „eine besondere Verpflichtung gegenüber Israel“. Letztere Behauptung wurde von weiteren 32 Prozent abgelehnt.
Die Shell-Jugendstudie 2024 zeichnet somit ein Bild einer Jugend, die in Teilen konservative Erwartungshaltungen an das Leben heranträgt (Familie, Freunde, Beruf, soziale Absicherung), sich dabei aber tendenziell nach wie vor leicht links verortet. Die stets zunehmende Politisierung der Jugend führt dabei nicht zwingend zu einer prinzipiellen Verschiebung des politischen Spektrums, wohl aber zu einer Polarisierung der politischen Lager. Dennoch lässt sich feststellen, dass abseits von Fragen zu schnellen Autos und Feminismus nach wie vor eine gemeinsame Basis zwischen den Geschlechtern und ihren Zielen besteht, aufgrund derer ein produktives Miteinander auch in den kommenden Jahrzehnten möglich sein kann.