Tichys Einblick
Was wäre ohne sie geworden?

Jubiläum der Rosinenbomber – Dankbarkeit à la Hauptstadt

Zum 70. Geburtstag der Luftbrücke lässt der sogenannte Senat von Berlin US-Piloten von damals mit ihren historischen Maschinen nicht mehr in der Stadt landen. Man kann sich darüber ärgern – aber was bringt das? Viel erfüllender ist es, sich vorzustellen, wo die rot-rot-grünen Polit-Simulanten ohne die Luftbrücke heute wohl wären. 

Michele Tantussi/Getty Images

„Schaut auf diese Stadt.“ (Ernst Reuter, 9. September 1948)

Berlin hat Beziehungsprobleme. Da ist die gestörte Beziehung zum Geld. Man gibt es aus. Über die zahlreichen und mit der berüchtigten hauptstädtischen Heftigkeit geführten Debatten darüber, wofür man es am besten ausgibt, hat man allerdings irgendwie vergessen, dass es erst auch verdient werden muss.

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs umgeht man dieses Problem – zunächst mithilfe des „Notopfers Berlin“, danach mithilfe der Berlin-Zulage und seit deren Abschaffung mithilfe des Länderfinanzausgleichs. Die Mittelherkunft änderte sich, das Ergebnis blieb immer gleich: Von anderswo wurde Geld nach Berlin hinein- und aus den Fenstern der Senatsgebäude dann wieder hinausgeworfen.

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Da ist die gestörte Beziehung zum Flugverkehr. Man plant einen BER. Über die zahlreichen und mit der nicht minder berüchtigten hauptstädtischen Selbstverliebtheit geführten Gerichtsverfahren darüber, auf welchen Flugrouten der Airport erreicht bzw. eben gerade nicht erreicht werden darf, hat man allerdings irgendwie vergessen, dass der BER überhaupt erst noch gebaut werden muss.

Seit dem ersten verstrichenen Eröffnungstermin (November 2011, die Älteren erinnern sich) versucht man, den Rest der Welt vom eigenen Totalversagen abzulenken – zunächst mithilfe immer neuer Fantasie-Eröffnungstermine, danach mithilfe immer neuer granatenmäßig inkompetenter Flughafenchefs und schließlich (seitdem selbst die allergrößten Hohlbroschen den Job nicht mehr mit der Kneifzange anfassen möchten) mithilfe von mafiaähnlichem Totschweigen. Die Methode änderte sich, das Ergebnis blieb immer gleich: Der BER, hieß es, würde bald kommen. Und er kam nicht.

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Dann ist da noch die gestörte Beziehung zur Geschichte. Man hat sie. Über die zahlreichen und mit der berüchtigten hauptstädtischen Ignoranz geführten Diskussionen darüber, woran man sich erinnern will (billige Mieten im Osten) und woran lieber nicht (Tote an der Mauer), hat man allerdings irgendwie vergessen, dass man aus seiner Vergangenheit nicht austreten kann wie aus einem Kegelclub.

Seit Klaus Wowereit das Talent, Schaumwein aus Damenschuhen zu trinken, als hinreichenden Befähigungsnachweis zum Regierenden Bürgermeister interpretierte, versuchen sich die Berliner – insbesondere die Berliner Sozialdemokraten – an einem medizinischen Wunder: dem absichtlich herbeigeführtem Alzheimer. Die Hauptstadt-SPD will vergessen, was ihre Koalitionspartner von der SED-PDS-Linken der Stadt angetan haben.

Zunächst betäubt man das Gedächtnis mithilfe der Macht: Man stellt den Regierungschef, das hilft beim Vergessen. Danach, wenn die Wirkung nachlässt und die Umfragewerte sinken, tut man es mithilfe von Luftschlössern: Berlin war schon immer auf der Jagd nach dem großen weißen Elefanten, dessen Abschuss alle Probleme lösen würde. Die Olympischen Spiele, die Einheit, der Regierungsumzug, auch der BER – immer versprach man sich und dem Volk das Paradies, sobald nur dieses oder jenes Großereignis käme. Das Paradies kam natürlich nie, meist kamen noch nicht einmal die Großereignisse. Trotzdem erwägt der sogenannte Senat ernsthaft, sich wieder für Olympische Spiele zu bewerben.

Schließlich, wenn das alles nicht mehr hilft, versucht man eine Art historischer Lobotomie: Die lästige Geschichte soll regelrecht herausgeschnitten werden. Man leugnet sie nicht nur – man versucht, sie zu entsorgen.

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Und dann kam der 70. Jahrestag der Luftbrücke.

Für die Jüngeren: Vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949 hatte die Sowjetunion den von den anderen drei Alliierten (USA, Großbritannien, Frankreich) besetzten Westteil Berlins hermetisch abgeriegelt, um die Stadt erst auszuhungern und dann zu übernehmen. Die Alliierten organisierten eine Luftbrücke und brachten per Flugzeug Hilfsgüter in die Stadt, dafür prägten die Berliner den liebevollen Begriff „Rosinenbomber“. Mit fast 280.000 Flügen versorgten US-Amerikaner, Briten und Franzosen die damals mehr als zwei Millionen Einwohner mit fast zwei Millionen Tonnen Fracht, vor allem mit Lebensmitteln und Kohle. 41 Briten, 31 US-Amerikaner und 13 Deutsche verloren ihr Leben bei Unfällen während der Luftbrücke.

Zum 70. Jahrestag nun wollten überlebende US-Piloten von damals in mehr als 20 der Original-Rosinenbomber wieder über Berlin fliegen, Rosinen abwerfen und dann in Tempelhof landen. Doch da wurde nichts draus, der sogenannte Senat verbot es kurzerhand. Die Erinnerung an die Luftbrücke und die Ehrung der Opfer: verhindert von der SED-PDS-Linken mithilfe der Grünen und der SPD.

Da haben 90-jährige den weiten Weg aus Nordamerika nach Europa gemacht, um sich noch einmal über die Stadt fliegen zu lassen, für deren Überleben in Freiheit sie einst ihr eigenes Leben riskiert hatten – und die aktuellen Vertreter ebendieser Stadt zeigen den Veteranen todesmutig aus den Dienstzimmern des Roten Rathauses den Mittelfinger: Fuck you. Ami, go home.

Wie eigentlich mag ein Sozialdemokrat sich so fühlen, wenn er merkt, dass ein Landeverbot ihn daran hindern soll, sich daran zu erinnern, wozu sein Berliner Koalitionspartner (die SED-PDS-Linke) und dessen historischer Verbündeter (die UdSSR) fähig waren?

Wie mag ein Sozialdemokrat sich fühlen, wenn er merkt, dass alles, wofür seine Partei und deren politischer Riese Ernst Reuter einmal standen, heute von einem Bürokratenzwerg namens Michael Müller verdampft wird?

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Was wäre aus den heutigen Berliner Politiker-Darstellern ohne die US-Kampfpiloten von damals wohl geworden?

Der Nichtregierende Bürgermeister Michael Müller würde die SPD nicht auf Umfrageergebnisse herunterlabern können, die sogar der Projekt-18-FDP peinlich wären. Das könnte er deshalb nicht mehr, weil es die SPD gar nicht mehr gäbe: Sie wäre freiwillig zwangsvereinigt, würde jetzt unter SED firmieren und müsste sich nicht diesen lästigen Wahlen stellen. Das mit dem verprassten Erbe von Ernst Reuter hätte sich auch erledigt, denn der wäre bei Erfolg der Blockade nicht Bürgermeister geblieben, sondern sehr wahrscheinlich hingerichtet worden. Seine berühmte Rede an die „Völker der Welt“ hätte er jedenfalls nicht mehr halten können. Müller ist ohne Frage biegsam und moralresistent genug, um es auch in der SED zu etwas zu bringen. Falls nicht, bliebe ihm immerhin noch seine quasi natürliche Zweitkarriere: als Idealbesetzung für die Hauptrolle in der Realverfilmung von Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Untertitel: Wie man es hinbekommt, auch ohne Rückgrat zu gehen.

Müllers Stellvertreterin Ramona Pop von den Grünen müsste sich nicht als Senatorin mit den Schwierigkeiten der Marktwirtschaft herumschlagen, denn die gäbe es nicht. Vermutlich käme das sowohl ihren Neigungen als auch ihren Fähigkeiten entgegen, denn Pop hat noch nicht eine Minute ihrer mittlerweile mehr als vier Lebensjahrzehnte zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung beigetragen: Noch als Politologie-Studentin begann sie ihr Lebenswerk als Berufspolitikerin und lebt seitdem vom Geld eben jener Berliner Steuerzahler, deren Geschichte sie so gerne umschreiben würde. Freilich ist fraglich, ob Pop Berlin überhaupt je erreicht hätte: Denn sie ist gebürtige Rumänin. Mit fünf Jahren durfte sie zusammen mit ihrer Mutter im Zuge des Aussiedlungsprogramms für Banater Schwaben nach Deutschland – West, versteht sich. Wäre die sowjetische Berlin-Blockade erfolgreich gewesen, gäbe es heute keine Ramona Pop in Berlin. Für die Stadt wäre das kein Schaden.

Für Partei-Patriarch Klaus Lederer von der SED-PDS-Linken gäbe es vermutlich den größten Einschnitt. Politisch wäre ein sowjetisches bzw. russisches Berlin für ihn zwar vermutlich dicht am Paradies. Aber: Lederer ist mit einem Mann verheiratet. Im freien Berlin geht das problemlos. In Russland aber ist Homosexualität – nun ja, sagen wir mal: nicht förderlich. Oder anders: Er würde nicht als Senator geschichtsklitternde Politik machen, sondern auf der Straße von Chauvinistenhorden verprügelt werden.

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Dass all das nicht so ist, dafür haben vor 70 Jahren genau jene Männer gesorgt, die Lederer und Pop und Müller heute in Berlin nicht landen lassen.

Deutschlands nach Einwohnern größte Stadt ist politisch-geistig die kleinste.

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