Tichys Einblick
TE-Interview 05-2024

CDU-Politiker Schlarmann: Unter Merkel gab es keine offenen Diskussionen

Als Chef der Mittelstands-Union und Mitglied des Parteivorstands gehörte Josef Schlarmann zu den wichtigen Politikern der Ära Merkel. Bis heute unverständlich ist Schlarmann, wieso die Union keinen Widerstand geleistet hat. „Das ist bis heute das große Rätsel für mich: Wie konnte die CDU das alles mitmachen?"

picture-alliance/ dpa | Rainer Jensen

Berlin. Der CDU-Politiker Josef Schlarmann, 2005 bis 2013 Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, kann sich an keine offene Debatte mit der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel über zentrale Fragen der Politik erinnern. Der Parteivorstand der CDU habe von Merkel getroffene Entscheidung nur abgenickt, erinnert sich Schlarmann im Gespräch mit der Mai-Ausgabe des Monatsmagazins Tichys Einblick. „Ich habe während meiner Zeit in Führungspositionen keine einzige Diskussion mit Merkel mit offenem Visier erlebt. Das lag vermutlich daran, dass sie aus ihrer Vergangenheit gar keine offenen Diskussionen kannte“, spielt Schlarmann auf Merkels DDR-Vergangenheit an. So war Merkel als Kulturreferentin der FDJ für die Abteilung „Agitation und Propaganda“ zuständig.

Der Bundesvorstand der CDU habe nicht einmal über zentrale Weichenstellungen debattiert. „Die großen gesellschaftspolitischen Entscheidungen – Atomausstieg, Migration, Klimapolitik – waren gar keine Sitzungsthemen im Vorstand. Vor den Tagungen gab es Besprechungen im ganz kleinen Kreis um Merkel, dann tagte das Präsidium, und anschließend verkündeten der Generalsekretär oder Merkel selbst dem Vorstand, was das Präsidium beschlossen hatte“, schildert Schlarmann, der in seiner Zeit als MIT-Vorsitzender auch Mitglied des CDU-Bundesvorstandes war. „Zu 98 Prozent wurde das auch so hingenommen.“

Bis heute unverständlich ist Schlarmann, wieso die Union keinen Widerstand geleistet hat. „Das ist bis heute das große Rätsel für mich: Wie konnte die CDU das alles mitmachen? Ich kann das nur mit dem Herdentrieb erklären: Wenn die Führung in eine bestimmte Richtung marschiert, marschieren die meisten Abgeordneten hinterher, weil sie befürchten, sonst auf der Strecke zu bleiben.“

2011, als Kanzlerin Merkel nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima den Atomausstieg verkündete, habe die CDU-Parteizentrale „einem Hühnerhaufen“ geglichen, so Schlarmann, allerdings „nicht wegen des Atomunfalls in Fukushima, sondern wegen der bevorstehenden Landtagswahl in Baden-Württemberg“. Durch Fukushima sagten die Prognosen den Grünen bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg über 20 Prozent voraus. „Merkel verkündete den Ausstieg aus der Kernkraft, um eine Landtagswahl zu retten. Wenn man so ein hohes Amt innehat, dann muss man sich bei großen Entscheidungen fragen: Dient das dem Land, dient es der Partei – oder dient es nur mir? Unter diesem Gesichtspunkt hat Merkels Kanzlerschaft eine sehr fragwürdige Bilanz hinterlassen.“


Das ganze Interview in Tichys Einblick 05-2024 >>>


Die mobile Version verlassen