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Von hinten durch die Brust

Jamaika-Sondierungen: Faule Kompromissvorschläge aus dem Ländle

Strobl möchte die mit Kretschmann in Baden-Württemberg beschlossene Asyl- und Zuwanderungspolitik zur Grundlage von Verhandlungen einer Koalition machen, die für ihn im Sinne Merkels alternativlos und offenkundig schon beschlossen ist.

In der Stuttgarter Zeitung (StZ) vom 10. November äußern sich der grüne baden- württembergische Ministerpräsident Kretschmann und sein CDU-Vize Strobl unter dem Titel „Man kann nicht wählen, bis es passt“ zum Stand und den Perspektiven der laufenden Jamaika-Sondierungsgespräche. Beide sind glühende Verfechter einer Jamaika-Koalition, die ihrer Meinung nach vor allem deswegen zustanden kommen müsse, weil es ansonsten zu Neuwahlen käme. Dazu Kretschmann: „Der Preis von Neuwahlen ist so hoch, dass ich nur abraten kann. Wenn in Deutschland keine Regierung zustande kommt und neu gewählt werden muss – das dauert ja mindestens bis zum nächsten Sommer, womöglich noch länger – trägt das eine enorme Instabilität nach Europa.“ Strobl sekundiert: „Eine geschäftsführende Regierung ist keine optimale Interessenvertretung für deutsche Belange. Wir brauchen auch weiterhin eine Bundesregierung mit einer starken Stimme in Europa und international.“

Ergo: Jamaika ist aus Sicht von Kretschmann und Strobl, die beide an den Sondierungsgesprächen teilnehmen, aus außenpolitischen Gründen zwingend, obwohl die vier beteiligten Parteien innenpolitisch auf wesentlichen Politikfeldern, allen voran der Umweltpolitik sowie der Asyl- und Migrationspolitik, weitgehend konträre Ziele verfolgen. Außenpolitisch scheint es demnach wenig oder auch gar keinen Dissens in den Gesprächen zu geben. Innenpolitisch ist dies anders, was die beiden auch nicht in Abrede stellen. Dort müsse man aus außenpolitischer Verantwortung nun eben Kompromisse schließen, nachdem sich die SPD einer Neuauflage der Großen Koalition (GroKo) verweigert. Dazu Kretschmann: „In solchen Situationen können einem nur Kompromisse helfen. Auch wenn sich Parteien im Wahlkampf kräftig beharken, haben sie immer auch Gemeinsames.“ Und Strobl, mit Verweis auf Helmut Schmidt: „Wer den Kompromiss nicht versteht, versteht die Demokratie nicht.“

Die von Kretschmann und Strobl favorisierte Kompromisslinie sieht folgendermaßen aus. Die Grünen verzichten auf zentrale umweltpolitische Ziele, allen voran das Ziel, bis zum Jahr 2030 den Verkauf von Dieselmotoren zu verbieten, das Kretschmann vor wenigen Monaten selbst als völlig abwegig bezeichnet hat. CDU und CSU verzichten dafür auf wesentliche Teile der gemeinsamen Grundsätze, die beide Parteien vor Beginn der Sondierungsgespräche zum Thema Asyl und Zuwanderung verabschiedet haben. Zur Disposition stellt Strobl dabei insbesondere die Festlegung auf eine zahlenmäßige Begrenzung der Zuwanderung auf maximal 200.000 Personen pro Jahr. Dazu Strobl: „Die Union hat hier einen klaren Standpunkt. Aber es wäre ein bisschen merkwürdig, wenn man sagt: Wir gehen in Verhandlungen – aber wir verhandeln nicht. Baden-Württemberg ist doch ein gutes Beispiel, dass auch hier tragfähige Lösungen möglich sind.“

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Es geht dem baden-württembergischen Innenminister demnach nicht darum, in Sondierungsgesprächen herauszufinden, ob die von CDU und CSU gemeinsam beschlossenen asyl- und migrationspolitischen Grundsätze sich mit einer Jamaika-Koalition in die Tat umsetzen ließen, um dann zu entscheiden, ob es Sinn macht, Koalitionsverhandlungen überhaupt aufzunehmen. Er möchte vielmehr die Asyl- und Zuwanderungspolitik, die er mit Kretschmann in Baden-Württemberg längst beschlossen hat, zur Grundlage von Koalitionsverhandlungen machen, die für ihn ganz im Sinne Merkels alternativlos und offenkundig schon beschlossene Sache sind. Dazu Strobl weiter: „Das bedeutet, ganz kurz gefasst: Asylrecht und Genfer Flüchtlingskonvention gelten. Wer vor Gewalt, Vergewaltigung davon laufen muss, um Leib und Leben fürchten muss, dem geben wir Schutz. Und die anderen führen wir konsequent in ihre Heimatländer zurück. Auch beim strittigen Thema ‚sichere Herkunftsländer‘ haben wir in Stuttgart für Nordafrika eine gemeinsame Linie entwickelt. Das alles zeigt doch: Es geht!“
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Kein Wort zu den Regelungen von Dublin III und zum bestehenden Asyl- und Aufenthaltsgesetz, die täglich gebrochen werden. Kein Wort zum Missbrauch des Asylgesetzes als Einfallstor für Zuwanderer, die nicht nur aus „sicheren Herkunftsländern“, sondern auch aus Krisen- und Kriegsregionen als Arbeitsmigranten in anhaltend großer Zahl nach Deutschland kommen und die Aufnahmekapazitäten und Integrationsmöglichkeiten des Landes längst überfordern. Nicht zuletzt gegen diesen Zustrom richtet sich die zahlenmäßige Begrenzung der Zuwanderung aus „humanitären Gründen“, die CDU und CSU in ihrem gemeinsamen Grundsatzbeschluß vereinbart haben. Strobl wollte weder von einer solchen Begrenzung noch von einer Beendigung des Mißbrauchs des Asylrechts für Einwanderung offenkundig aber nie etwas wissen, sonst hätte er in Baden-Württemberg keinen solchen asyl- und migrationspolitischen Kompromiss mit beschlossen. Dieser trägt daher eindeutig die Handschrift der Grünen, die in Baden-Württemberg den Regierungschef stellen.

Stattdessen will er die baden-württembergische Lösung nun, sekundiert von seinem Chef Kretschmann, via StZ mit der folgenden Begründung auf die Bundesebene übertragen: “Ich war vor zwei Jahren zum Tauchen auf Jamaika. Es war wirklich eine weite Reise dorthin. Aber wenn man einmal da ist, ist es wunderschön.“ Angesichts der Qualität solcher Argumente für eine Politik der faulen Kompromisse kann man nur hoffen, dass aus der Sondierungs-Delegation der CSU nicht auch einer oder mehrere Teilnehmer in Jamaika zum Tauchen waren oder gar planen, mit Strobl dort ihren nächsten Tauchurlaub zu verbringen. Von Lindner und seiner Truppe wissen wir (noch) nicht, ob sie auch nach Jamaika zum Tauchen reisen.


Roland Springer arbeitete als Führungskraft in der Autoindustrie. Er gründete im Jahr 2000 das von ihm geleitete Institut für Innovation und Management. Sein Buch Spurwechsel – Wie Flüchtlingspolitik wirklich gelingt erhalten Sie in unserem Shop www.tichyseinblick.shop

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