Tichys Einblick
Geschichte der Deutschen Einheit

Jahrestag der Grenzöffnung in Ungarn 1989 – von Parteien und Haltungsmedien ignoriert

Vor 35 Jahren zerriss der Eiserne Vorhang in Ungarn. Ein Festakt in Berlin erinnerte an das historische Ereignis. Der Großteil von Hauptstadtpresse und Politik zeigte kein Interesse.

Der 27. Juni 1989 zeigt die damaligen Außenminister Österreichs, Alois Mock (L), und Ungarns, Gyula Horn (R), beim Durchschneiden des Stacheldrahtes, der die beiden Länder trennte und den ersten Durchbruch durch den Eisernen Vorhang schuf

picture-alliance/ dpa/dpaweb

„Ungarn hat keine Belehrungen aus Westeuropa nötig. Und schon gar nicht aus Deutschland“, stellte Gerhard Papke bei seiner Eröffnungsrede der Feierstunde fest, zu der das deutsch-ungarische Institut für europäische Zusammenarbeit und die Deutsch-Ungarische Gesellschaft  in die Botschaft Ungarns Unter den Linden geladen hatte. Papke, ehemals Fraktionschef der FDP in Nordrhein-Westfahlen, gehört als Vorsitzender der länderübergreifenden Organisation zu den vehementesten Verteidigern des kleinen EU-Staates, dem ein großer Teil des deutschen Politikbetriebs und der deutschen Medien vor allem mit barschen Zurechtweisungen begegnen.

Bei der Veranstaltung handelte es sich allerdings weniger um einen Abend zur aktuellen Politik, jedenfalls nicht unmittelbar, sondern um den Festakt zum 35. Jahrestag der Grenzöffnung in Ungarn. Damals fiel in den Tagen zwischen dem 19. August und dem 11. September 1989 zwischen dem reformerischen Ostblockstaat und Österreich der Eiserne Vorhang. Diese Sommerwochen markierten unübersehbar das Ende des Ostblocks. Am 19. August wähend des sogenannten „paneuropäischen Picknicks“ bei Sopron kam es schon zu einer Überwindung des Grenzzauns im Kleinen: Das „Picknick“ organisierten damals ungarische Oppositionelle und Otto von Habsburg, damals Vorsitzender der Paneuropa-Union.

Als sich ein Grenztor für einige Stunden öffnete, nutzten hunderte DDR-Touristen, die rechtzeitig den Tipp bekommen hatten, die Gelegenheit für ihre Flucht nach Österreich. Die damalige Reformregierung Ungarns duldete den hoch symbolischen Akt. Am 11. September beschloss sie, DDR-Bürger generell nicht mehr am Grenzübertritt zu hindern. Die Reisefreiheit via Ungarn wiederum wirkte als gewaltiger Katalysator für die Demonstrationen gegen das SED-Regime in der DDR. Denn die SED-Oberen ließen fortan auch keinen ihrer Staatsbürger mehr in das angebliche Bruderland. Glück hatten diejenigen, die schon vorher zum Sommerurlaub aufgebrochen waren.

Ungarn, die Deutschen und die Grenze – diese Konstellation wiederholte sich ab 2015 unter ganz anderen Bedingungen. Die taumelnde SED-Führung warf im September 1989 Ungarns Reformern Verrat am Sozialismus vor. Als sich die Regierung von Viktor Orbán 2015 zunächst an die formal gültigen EU-Vereinbarungen hielt, und den Migrantenstrom aus Mittelost und dem Westbalkan im September nicht einfach Richtung Österreich und Deutschland weiterwinken wollte, lautete der Vorwurf aus Berlin: Verrat an EU-Europa. Bis heute tritt Ungarns Regierung für einen restriktiven Umgang mit der Asyleinwanderung auf das Gebiet der Staatengemeinschaft ein – im Gegensatz zu den Regierungen Merkel und Scholz.

Gerhard Papke, Veranstaltung in der ungarischen Botschaft in Berlin am 4. September 2024 (Foto: Alexander Wendt)

Papke nutzte die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass es in Ungarn keinen Islamismus gebe, dafür aber ein jüdisches Leben ohne schwere Polizeibewachung der Synagogen. Botschafter Péter Györkös erinnerte an den Moment, als in Ungarn Weltgeschichte geschrieben wurde, und konnte sich in einer Rede Seitenhiebe auf die tendenziöse Berichterstattung vieler deutscher Medien nicht verkneifen. Kürzlich hatte der SPIEGEL in seiner Titelgeschichte „Wie Faschismus beginnt“ Viktor Orbán ernsthaft in die Nähe Hitlers gerückt.

Der aus Ostdeutschland stammende Autor und Nius-Journalist Ralf Schuler erinnerte in seiner Ansprache daran, dass Ungarn vielen kritischen DDR-Bürgern auch schon vor dem Herbst 1989 eine Ahnung von Freiheit vermittelte. Dort konnte man beispielsweise westdeutsche Magazine und Zeitungen ganz offiziell kaufen.

Eine Besonderheit des Abends lag darin, dass sowohl ein großer Teil der Medien als auch der Politik die Veranstaltung komplett ignorierten: Von der Presse in Berlin waren nur Vertreter von Tichys Einblick, der NZZ, Berliner Zeitung und der Jungen Freiheit erschienen, von der Union lediglich die Brandenburger CDU-Politikerin Saskia Ludwig. Das Adenauer-Haus schickte noch nicht einmal einen Abgesandten aus der fünften Reihe. Und von den Regierungsparteien ließ sich sowieso niemand blicken. Dabei gehörte der Sommer in Freiheit in Ungarn vor 35 Jahren zur Geschichte der Deutschen Einheit. Und zu den Schlüsselfiguren der Ereignisse zählten ein Unionspolitiker – der schon erwähnte Otto von Habsburg, Mitglied der CSU.

Das historische Ereignis von damals scheint heute nicht mehr ins offizielle deutsche Konzept zu passen.

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