„Iuventa“ fährt nicht mehr. Die Italienische Küstenwache stoppte gestern das „Jugend Rettet“-Schiff auf dem Mittelmeer und eskortierte es auf die Insel Lampedusa. Dort wurde es nahe der Hafeneinfahrt, westlich der knapp zwei Kilometer langen Start- und Landebahn des Flughafen Lampedusa festgesetzt. Zweihundert Meter Steuerbord fällt der Blick auf eine Reihe recht ordentlicher Feriendestinationen, es gibt sogar einen kleinen Sandstrand. Die Zimmer im Hotel Giglio sind zwar etwas in die Jahre gekommen, aber ordentlich ausgestattet, Betten in Mahagoni-Optik, meerblaue Überdecken, maritime Bilder im Wechselrahmen an den Wänden und im hauseigenen Restaurant immer frischer Fisch.
Popliterat Moritz von Uslar war 2015 für die ZEIT auf der Insel. Nur mit einer Vespa und Kippe im Mund bewaffnet lauerte er auf Flüchtlingsboote, die eigentlich Marineschiffe sind oder solche der Finanzpolizei, die auf dem Meer Flüchtlinge aufgenommen hatten, in jenen Tagen noch ohne Hilfe der „Iuventa“.
Von Uslar traf damals Harald Höppner von Sea Watch. Der war mit Kameramann auf der Insel und erzählte Uslar von seinen Plänen einer privaten Seerettung. „Eine typische Nacht in Lampedusa: Ja, hier spielt sich, Nacht für Nacht, eine humanitäre Katastrophe ab. Wahrscheinlich ist, dass Europa noch ganz am Anfang einer humanitären Katastrophe steht.“, so beendet Uslar im Juli 2015 seine ZEIT-Reise.
Nun war die „Iuventa“ wie ein Dutzend weiterer Schiffe privater Hilfsorganisationen angetreten, diese humanitäre Katastrophe zu verhindern. Und es scheint heute so, als hätte sich die als hehres Anliegen etikettierte Unternehmung nun auf tragische Weise verselbstständigt: Es geht um Absprachen mit Schleusern, also um die gemeinsame Sache mit Kriminellen in Sachen illegale Einreise.
„Die Beweise sind schwerwiegend“, erklärt Staatsanwalt Ambrogio Cartosio. „Wir haben Beweise für Begegnungen zwischen Schleusern, die illegale Einwanderer zur ‚Iuventa‘ begleitet haben, und Mitgliedern der Besatzung.“ Und die Welt titelt: „Dieses Material bringt deutsche Hilfsorganisation in Bedrängnis.“
Nun wäre es unredlich, den engagierten Helfern pauschal ein vernichtendes Urteil auszustellen. Ganz sicher ist die Arbeit vieler einzelner junger Retter für sich genommen bewundernswert; Leben retten kann nicht verkehrt sein. Noch dazu, wenn man in brenzligen Situationen, bei Seegang oder Schlechtwetterfront gewillt ist, sein eigenes aufs Spiel zu setzten. Aber etwas scheint schiefgelaufen, hat sich verselbstständigt. Und wurde ganz offensichtlich von einer Ideologie geentert, die sich meilenweit von ihrer ursprünglichen Aufgabe entfernt hat. Die Organisation macht auch nicht einmal eine Hehl daraus, wenn sie im Internet erklärt: „Neben der Seenotrettung wollen wir mit unserem europäischen Botschafter_innen-Netzwerk ein Zeichen setzen und mit politischer Arbeit gegen den Status Quo der europäischen Asylpolitik vorgehen.“
Man hat sich vorgenommen, „öffentlichen Druck auf staatliche Akteur_innen“ auszuüben. Dieser Druck ist nun offensichtlich als Bumerang zurückgekommen. Und das zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, als die Augen der Medien auf einer Aktion der „rechten Identitären“ Bewegung ruhen, die eben genau solche Verselbstständigungen in der Seerettung mit einem eigenen Schiff observieren und für ihre Zwecke dokumentieren wollen.
Per Twitter meldet „Jugend rettet“, man sei nun bemüht, alles aufzuarbeiten, möchte aber keine Spekulationen mitteilen. Deswegen werde man zunächst auf allen Ebenen Informationen sammeln. Und man hofft dabei auf zeitnahe und klärende Gespräche mit den italienischen Behörden.
Das eigentlich tragische – zumindest für die „Iuventa“: Die Organisation wird eingeholt von Ereignissen, die schon viele Monate zurückliegen und wohl auch über Monate gesammelt wurden. Das Urteil der Staatanwaltschaft zu den Ermittlungsergebnissen lässt für die „Retter“ wenig Gutes hoffen: „In einigen Fällen habe die „Iuventa“ Menschen in Seenot gerettet. In den meisten Fällen habe sie jedoch agiert, ohne dass die Migranten in Gefahr gewesen seien.“
Es liegen Aufnahmen vor, die zu bestätigen scheinen, dass es eine fast freundschaftliche Zusammenarbeit mit den libyschen Schleppern gegeben haben muss. Wenn nun allerdings einer der Mitbegründer der Organisation, Titus Molkenbur im Morgenmagazin des ZDF erklärt: „Wir haben als Organisation immer versucht, uns soweit wie möglich fernzuhalten von den Schleppernetzwerken“, dann kann jeder, der in den letzten Wochen ein paar dieser NGO-Schiffe via Vesselfinder beobachtet hat, berichten, wie sie immer wieder in die Hoheitsgewässer Libyens eindringen und dort ihre Schleifen fuhren.
„Manche Rettungscrews schienen schon vorher zu wissen, wo die nicht seetüchtigen Flüchtlingsboote später auftauchten“, widerspricht auch Staatsanwalt Cartosio. Und aktuell fällt direkt auf, dass die NGO-Schiffe in den letzten Tagen penibel den Abstand zur 12-Meilen-Zone einhalten.
„Ein langer Tag auf der Insel. Warten. Starren auf die Bewegungen am Hafen.“, berichtete vor Jahren ein Moritz von Uslar. Die Besatzung der „Iuventa“ jedenfalls wird diese Erfahrung jetzt wohl auch machen müssen.