Irgendein Dichter hat sich an diesem Bericht versucht und ihm einen dramatischen Titel gegeben: „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz“. Es klingt so, als ob gerade Deutschland in spezifischer Weise durch eine Aufzählung antimuslimischer Diskriminierungsfälle definiert werden könnte. Es fehlt nur noch der Zusatz: „Eine sehr deutsche Bilanz“. So weit wollte man es nicht treiben, obwohl jeder zweite Deutsche islamkritischen Aussagen, die im Universum des Berichts „muslimfeindlich“ sind, zustimmt.
Der Bericht soll aber nicht nur eine Bestandsaufnahme der antimuslimischen Gedanken in Deutschland bieten, sondern auch Handlungsempfehlungen geben, wie die weitverbreitete „Muslimfeindlichkeit in Deutschland besser zu bekämpfen“ sei, so Ministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser in ihrem Vorwort. Merkwürdig: Immer wenn es um das Leben in Deutschland geht, greift man im Innenministerium zu solchen drakonischen Sprachbildern, aber nie da, wo es darum ginge, das Gemeinwesen vor Gefahren und Belastungen zu schützen, sei es an der deutschen „Binnengrenze“ oder an den Außengrenzen der EU.
Die „oberste Maxime staatlichen Handelns“ sei, dass „die Menschen in Deutschland sicher leben können“, so Nancy Faeser in ihrem Vorwort. Menschen, nicht Bürger, wieder einmal. Faeser hat sich den Sicherheitsbegriff der woken Geister aus den USA geliehen und geht damit in Deutschland hausieren. Ihr Heilmittel gegen die Unsicherheit auf deutschen Straßen ist dabei durchaus speziell: „Wir müssen Tendenzen der Ausgrenzung und Spaltung frühzeitig aufhalten und entschieden für den Fortbestand unseres freiheitlichen demokratischen Zusammenlebens eintreten.“
Nur wer sich seines Status‘ als Flüchtling oder Zuwanderer in Deutschland stetig sicher sein kann und deswegen nicht von der Gesellschaft „ausgegrenzt“ wird, kann sich auch mental in Deutschland sicher fühlen. Das letzte Unwohlsein soll den hier lebenden Muslimen nun durch die Bilanz zur „Muslimfeindlichkeit“ genommen werden. In diesem Text wird das Islamkritik-Verbot zur inoffiziellen Regierungsdoktrin gemacht: mit der Unterschrift der Innenministerin.
Muslimische Verbände steuerten eigene Perspektive bei
In Auftrag gegeben wurde der Bericht im Nachgang zum Attentat von Hanau, das nun seit einigen Jahren zum neuen zivilreligiösen Hauptfest des politischen Jahres gemacht wird. Die Präsenz, die die Spitzenpolitiker der Ampel auf den Erinnerungsfeiern für Hanau zeigen, verweigern sie den Opfern „muslimischer“ Gewalt in Deutschland. Ja, man könnte den Spieß auch umdrehen und von Christenfeindlichkeit, Deutschenfeindlichkeit durch die neuen Zuwanderer sprechen. Statistisch könnte sich so durchaus eine relevante Zahl ergeben.
Nun aber kommt heraus: Der Bericht zur „Muslimfeindlichkeit“ entstand auch aufgrund von Interviews mit den Vertretern von „Beratungsstellen, Jugendverbänden, muslimischen Verbände“, die eine „Betroffenenperspektive“ beisteuern sollten. Darauf wies zuerst die Welt hin. Und das lässt in der Tat hellhörig werden. Wenn man auf die Liste schaut, finden sich nicht nur harmlose Jugendgruppen. Befragt wurden etwa auch die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS), die ihrerseits dem Islamischen Zentrum Hamburg (IZH) untersteht.
Das Zentrum unterhält nicht nur die Hamburger Blaue Moschee, sondern gilt auch als ein „bedeutendes Propagandazentrum“ des Irans in Europa, so das Bundesamt für Verfassungsschutz. Hier versucht man, die islamische Revolution zu exportieren, so der Verfassungsschutz Hamburg. Der Bundesverfassungsschutz spricht von der „neben der Botschaft wichtigsten Vertretung der Islamischen Republik Iran in Deutschland“.
Unterstudie zu Moscheeangriffen von Muslimgruppe verfasst
Doch die schiitische Moschee-Gemeinschaft ist nicht der einzige zweifelhafte Interviewpartner in diesem „unabhängigen“ Expertenbericht über Muslimfeindlichkeit. Daneben wird der Verein FAIR International nicht nur mehrmals erwähnt, etwa wo es um die Zahl der Angriffe auf Moscheen geht, er wurde vom „Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (UEM)” zudem beauftragt, eine „explorative Fallstudie“ zu den Auswirkungen von Moscheeangriffen auf Gemeindemitglieder anzufertigen. Der in Frage stehende Verein ist nicht irgendeiner, sondern teilt laut einer Antwort der nordrhein-westfälischen Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der AfD eine Adresse mit dem deutschen Ableger der islamistischen Bewegung Millî Görüş, der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) mit Sitz in Köln.
Im Anschluss an den türkischen Politiker Necmettin Erbakan fordert die Millî-Görüş-Bewegung einerseits eine „nationale Sicht“, zum anderen eine „gerechte Ordnung“, die nur durch die Umsetzung islamischer Grundsätze zu erreichen sei. Alle anderen Ordnungen sind gemäß der Millî-Görüş-Ideologie nichtig. Zu den „nichtigen“ Ordnungen gehört demnach auch die gegenwärtige Ordnung der westlichen Zivilisation. Der deutsche Millî-Görüş-Ableger wird vom Verfassungsschutz beobachtet, auch wenn die Extremismus-Bezüge der IGMG angeblich schwächer werden (vgl. Verfassungsschutzbericht 2022, S. 229 ff.). Die deutsche Millî Görüş betont aber weiterhin, eine religiöse Organisation mit „politischem Anspruch“ zu sein.
Übrigens wird auch die Bundestagsabgeordnete Serap Güler (CDU) von dem Millî-Görüş-Netzwerk in NRW unterstützt, so pries sie die Europäische Moscheebau- und Unterstützungsgemeinschaft (EMUG) als „unsere Kandidatin zur Bundestagswahl 2021“ an, wie die NRW-Landesregierung in ihrer Antwort schreibt. Was sind die Erdogan-kritischen Worte der Politikerin also wert? Aber das nur am Rande.
Es gab auch ein Hearing zum „antimuslimischen Rassismus in Kitas“
Die Beauftragung von FAIR International – zu einem noch unbekannten Preis – rechtfertigt der Koordinator des „Unabhängigen Expertenkreises”, Mathias Rohe, Jurist an der Universität Erlangen, mit den „Vorarbeiten“ von FAIR International auf diesem Feld. Man müsse „vorhandene Erkenntnisse“ nutzen. Die wissenschaftliche „Eruierung von Fakten“ bedeute noch keine Solidarisierung mit Befragten. Aber darum geht es auch gar nicht. Es geht vielmehr um die Frage, ob die eventuell Betroffenen, also ein islamistischer Verband mit Nähe zu einer großen Moscheebaugemeinschaft (EMUG), dazu berufen sind, das Thema Muslimfeindlichkeit unabhängig zu untersuchen. Und diese Frage kann man mit nahezu 100-prozentiger Sicherheit verneinen. Verfolgt man diese Logik weiter, brauchen wir künftig auch keine unabhängigen Richter mehr. Ein Schuldspruch durch die Opfer des Verbrechens reicht vollkommen aus. Genauso, wenn ein Bürger den anderen schädigt, wird der Zivilprozess unnötig, weil das betroffene „Opfer“ die Höhe der Entschädigung am besten selbst beziffern kann.
Interviewt wurden daneben Vertreter des Islamverbands Ditib, der der staatlichen Religionsbehörde Diyanet der Türkei untersteht. Hinzu kam ein „Hearing“ mit dem Koordinationsrat der Muslime, in dem verschiedene Verbände zusammengefasst sind, darunter wiederum der Zentralrat der Muslime sowie der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e.V., ein weiterer Ableger der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Auch der Verein Inssan gehört dem Koordinationsrat der Muslime an. Er ist dem Berliner Verfassungsschutz durch personelle und organisatorische Verbindungen zu den Muslimbrüdern aufgefallen, wird aber in den letzten Jahren nicht mehr in Verfassungsschutzberichten erwähnt.
Beim „Hearing mit deutschen Journalist*innen zu den Ursachen der Islamberichterstattung“ heißt es übrigens: „Das Hearing erfolgte anonymisiert.“ Natürlich, welcher Journalist wollte schon seinen Namen gerne in diesem Kontext lesen. Aber der Verdacht liegt nahe, dass hier wiederum die dieser Regierung besonders nahestehenden Kollegen befragt wurden, die immer wieder durch lukrative Zusatzengagements aufgefallen sind. Auch ob Vertreter der „Neuen deutschen Medienmacher“ (einst unter dem Vorsitz von Ferda Ataman) dabei waren, kann man demgemäß nicht wissen.
Es gab daneben auch ein Hearing zum „antimuslimischen Rassismus in Kitas“. Das ist an Absurdität nicht zu übertreffen und erinnert in schlimmer Weise an frühere Überwachungsansätze für Kitas und Kindergärten, etwa als das Bundesfamilienministerium mit Hilfe der Amadeu-Antonio-Stiftung zur Fahndung nach „rechten Eltern“ aufrief.
Muslimische Frauen zu Opfern von Ehrenmorden „stilisiert“
So absurd wie die Arbeitsweise ist in vielem auch der Inhalt des Berichts, der als unabhängig etikettiert wird, aber mit einem offiziellen Vorwort der Innenministerin daherkommt. Zu „Ehrenmorden“ heißt es in dem Bericht (S. 86), dieses „Narrativ“ werde „politisch vor allem durch die Parteien CDU/CSU sowie FDP aufgegriffen und als Legitimationsgrundlage für verstärkte Integrationsforderungen genutzt“.
Die drei genannten Parteien konstruieren dabei angeblich „Gewalt gegen Frauen als primär migrantisches Problem“ und „stilisieren muslimische Frauen zu Opfern“. Wer hat sich nur diesen letzten Halbsatz ausgedacht? Was wären Musliminnen denn sonst als Opfer ebendieser Praxis? Dagegen verhalten sich „die Parteien Bündnis 90/Die Grünen sowie Die Linke“ laut dem Expertenbericht vorbildlich, indem sie „versuchen, die Ereignisse in einen breiteren Kontext zu stellen und sogenannte ‚Ehrenmorde‘ als eine Facette eines gesamtgesellschaftlichen Problems zu rahmen, um damit die zuvor skizzierte kulturelle Engführung aufzubrechen“. Ja, sicher, nichts hat mit nichts zu tun, und auch deutsche Väter und Brüder haben manchmal etwas gegen den Lebenswandel oder die Partnerwahl ihrer Tochter und Schwester. Nur endet das eben nicht mit Totschlag und Messermord.
Beim Thema Moscheebau kritisieren die Autoren des Berichts erneut eine Forderung der CDU/CSU-Fraktion, nämlich die zur Offenlegung und Unterbindung der „Finanzierung des politischen Islamismus in Deutschland“. Dass Moscheen in Deutschland nur selten nichts mit Islamismus zu tun haben, müssen die Autoren übersehen haben. Das „Herausgreifen einzelner Bevölkerungsgruppen bei der Bewältigung übergreifender Extremismusprobleme“ beeinträchtigt demnach das Vertrauen in den Rechtsstaat – und nicht die islamistische Finanzierung von Moscheen in Deutschland. So die Position der Autoren, die schon einen „Dialog“ zur finanziellen Transparenz beim Moscheebau als Zumutung empfinden (S. 89).
400 Seiten unausgewogenes Palaver
Auch die Kommentierung des Karikaturenstreits ist geradezu idiotisch. Die Autoren scheinen zu glauben, dass es dabei um die Abwägung zweier Grundrechte gegangen sei, nämlich der respektiven Rechte „auf freie Meinungsäußerung“ und „auf Religionsausübung“. Das kann aber nicht der Ernst der Autoren sein, denn das Recht auf Religionsausübung stand und steht nirgendwo in Europa zur Debatte, das Recht auf religiös motivierte Rache an einem Karikaturisten aber sehr wohl.
Aus der Befragung von Medienvertretern ergaben sich Weisheiten wie diese: „Durch die Präsidentschaft von Trump oder den Parlamentseinzug der AfD sei in deutschen Redaktionen die Erkenntnis gereift, dass geistige Brandstifter*innen wie Sarrazin die Demokratie bedrohen könnten.“ Demgegenüber hätten die „rassistischen Anschläge von Hanau und Christchurch oder die Black-Lives-Matter-Bewegung (…) das Bewusstsein für Probleme des Rassismus und der Diversität in deutschen Redaktionen gesteigert“.
Nebenbei wird dem Leser des Berichts noch mitgeteilt, dass natürlich auch Juden langfristig von der Stimmungsmache der AfD bedroht seien. Denn auch wenn Vertreter der Partei derzeit auf den (vor allem durch zugewanderte Muslime) wachsenden Antisemitismus in der Gesellschaft hinweisen, geschehe das nur, um „letztlich eigene antisemitische Haltungen zu überdecken“. Das ist schon ein ganz ordentlicher Vorwurf, der so in den Raum gestellt wird, sich aber vermutlich kaum belegen lassen wird. 138 Mal wird die AfD in dem Bericht genannt, so oft wie keine andere Partei. Die CDU kommt nur auf rund 60 Nennungen, obwohl auch ihre Anhänger wie die der FDP häufig „muslimfeindlich“ seien. Auch das „christlich-jüdische Abendland“ ist übrigens nur so eine verfehlte Idee, die es gar nicht gibt, eine Art „rechte Verschwörungstheorie“ (S. 37 f. des Berichts).
So palavert sich dieser Bericht über 400 Seiten hinweg. Jede Meinung aus einem einschlägigen Buch, Artikel oder Hearing, die den Verfassern in den Kram passte, wurde aufgenommen. Wissenschaftlich kann man das Ganze nicht nennen, weil durchweg die Abwägung fehlt, ob die Dinge wirklich so sind, wie der befragte Experte oder Betroffene meint.