Herr Wiesendanger, Sie wurden für Ihre Studie, wonach das SARS-CoV-2-Virus, welches die COVID-19 Erkrankung hervorruft, aus dem Labor in Wuhan stammt, heftig kritisiert, insbesondere von deutschen Medien. Hat das Ihre Meinung geändert, wie geht es weiter?
Prof. Dr. Roland Wiesendanger: Richtig, Kritik hagelte es von deutschen Medien. Aber ansonsten habe ich Tausende von positiven Rückmeldungen mit Worten des Dankes und des Respekts erhalten: u.a. von Wissenschaftlern, Ärzten, Klinikdirektoren, Juristen, aber auch von vielen Privatpersonen aus allen Bevölkerungsschichten. Mir wurden zudem weitere ca. 100 Dokumente und Hinweise über die Vorgänge in Wuhan zugänglich gemacht. Damit kommen wir der Wahrheit immer näher, die geprägt ist durch sehr viele Merkwürdigkeiten wie die Löschung von Daten über Coronaviren des virologischen Instituts in Wuhan, dass Ärzte in China nicht über die Vorkommnisse in der Frühphase der Pandemie offen berichten durften oder dass Proben von Patienten aus dem Zeitraum von Oktober bis Dezember 2019 nicht ausgehändigt wurden, auch nicht jüngst gegenüber Mitgliedern der WHO-Untersuchungskommission. Ich stehe mit meiner Analyse des Ursprungs der Coronavirus-Pandemie keineswegs allein da. Steven Quay, Gründer des biopharmazeutischen Unternehmens Atossa Therapeutics, Inc. in Seattle, hat auf Basis wissenschaftlicher Methoden eine 99,8% Wahrscheinlichkeit errechnet, dass das SARS-CoV-2-Virus aus dem Labor stammt, während eine natürliche „Zoonose“ nur eine 0,2%-ige Wahrscheinlichkeit hätte (siehe hier). Auch jüngste Artikel aus den USA unterstützen die Aussagen meiner Studie (siehe hier).
Planen Sie eine neue Veröffentlichung und wenn ja: mit welchem Ziel?
Das kann ich mir gut vorstellen. Mir geht es nicht um Vergangenheitsbewältigung und Schuldzuweisung. Die zentrale Frage der Weltgemeinschaft ist viel eher: Darf man biotechnologische Forschung betreiben mit dem Ziel, natürlich vorkommende Viren für den Menschen gezielt ansteckender, gefährlicher und letztlich tödlicher zu machen? Bedenken Sie: Die Forschergruppe um Zheng-Li Shi am „Wuhan Institute of Virology“ hat nicht nur natürlich vorkommende Coronaviren untersucht, sondern diese gezielt manipuliert, mit dem Ziel, diese perfekt an menschliche Zellrezeptoren anzupassen. Diese sogenannte „gain-of-function“-Forschung am „Wuhan Institute of Virology“ ist durch mehrere wissenschaftliche Originalpublikationen in referierten Fachzeitschriften belegt und kann nicht bestritten werden. Die perfekte Adaption des SARS-CoV-2 Virus an menschliche Zellrezeptoren sorgt u.a. dafür, dass nicht nur die oberen Atemwege und die Lunge, sondern auch zusätzliche innere Organe angegriffen werden. Dieser seit längerer Zeit bekannte klinische Befund sorgt dafür, dass die Heilung von der COVID-19 Erkrankung teilweise erheblich erschwert wird. „Long COVID“, also die Langzeitfolgen, werden möglicherweise sehr viel weitreichender sein, als wir uns das bislang vorstellen konnten. Insbesondere haben wir keinerlei Erfahrungen über die Wirkung künstlich erzeugter Viren.
Entschuldigung für die naive Frage: Welchen Sinn macht Forschung, die Viren ansteckender und tödlicher machen will?
Noch einmal: Wie kann man solche Experimente rechtfertigen? Da fällt mir nur Bert Brecht ein, der davor warnte, dass der Jubel über einen Erfolg im Labor durch den Entsetzensschrei der Menschheit wegen der furchtbaren Folgen beantwortet werden könne …
Genau so ist es. Und deshalb beschäftigen sich seit 2011 sehr viele nationale und internationale Gremien mit diesen Fragen. In Deutschland hat 2014 der nationale Ethikrat im Auftrag des Deutschen Bundestages ein rund 140-seitiges Gutachten über „Biosicherheit – Freiheit und Verantwortung in der Wissenschaft“ erstellt. Daran kann (oder will?) sich jetzt niemand erinnern. Der wesentliche Punkt ist, dass dieses Thema immer nur in relativ kleinen Kreisen von Wissenschaftlern und Politikern diskutiert wurde. Aber diese menschheitsentscheidende Frage geht letztlich jeden an.
Und ich erinnere daran, dass diese Debatte auch in den USA geführt wurde, seit 2011/12 daran gearbeitet wurde, den Erreger der Vogelgrippe für Säugetiere und letztlich auch den Menschen ansteckend und gefährlich zu machen.
Mit welchem Ergebnis?
Ferner hat Frankreich beim Aufbau des Labors in Wuhan damals mitgewirkt. Die Entscheidung, ein solches biotechnologisches Labor, welches hoch risikoreiche Forschung betreibt, im Zentrum einer 10-Millionen-Metropole zu errichten, kann aus heutiger Sicht niemand mehr verstehen. Das ist die eigentliche Ursache der Katastrophe, die wir erleben. Die Folgen erleiden wir jetzt jeden Tag und auch noch viele Jahre in der Zukunft.
Nun wird Ihnen vorgeworfen, Sie würden die Verantwortung einseitig auf China abladen und in Wirklichkeit wäre es eine bekannte Zoonose, also der nicht komplett unwahrscheinliche Übergang vom Tier auf den Menschen.
Dass diese Antwort nicht stimmen kann, habe ich in meiner Studie nachgewiesen, genauso wie etliche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vor mir. Das Beharren auf einer Zoonose als mögliche Ursache der gegenwärtigen Pandemie ist meiner Meinung nach dadurch begründet, dass man lieber von einer „Naturkatastrophe“ spricht, weil etwas Schicksalshaftes für viele Menschen leichter zu ertragen scheint. Tatsächlich aber ist es keine Naturkatastrophe, sondern eine vom Menschen gemachte und zu verantwortende Katastrophe. Vielleicht ist es eine schreckliche Wahrheit. Aber als Wissenschaftler bin ich der Wahrhaftigkeit verpflichtet. Wenn wir als Wissenschaftler diese Verpflichtung nicht ernst nehmen, verlieren wir unseren Anspruch, Wissenschaftler zu sein – ja noch schlimmer – wir verlieren unsere Vorbildfunktion für nachfolgende Wissenschaftlergenerationen.
Im übrigen wird das Thema „Ursprung der Pandemie“ etwa in den USA viel offener und breiter diskutiert. In Europa ist es anders, nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich. Da hat beispielsweise der Medizin-Nobelpreisträger Luc Montagnier im April vergangenen Jahres in einem Interview eines französischen Fernsehsenders festgestellt, dass das neuartige Coronavirus teils identische Sequenzen wie HIV-Viren enthält. Er schlussfolgerte daraus, dass SARS-CoV-2 nur in einem Labor hergestellt worden sein könne. Er wurde dann beispielsweise von der französischen Zeitschrift „Le Monde“ in einer höchst diffamierenden Weise niedergemacht.
Herr Montagnier hat einer Gruppe von Forschern widersprochen, darunter Peter Daszak. Er ist ein anerkannter britisch-amerikanischer Zoologe und Experte für Infektionsepidemiologie, spezialisiert unter anderem auf dem Gebiet der Zoonosen.
Anfang März vergangenen Jahres haben 27 Virologen eine entsprechende gemeinsame Erklärung publiziert, in der sie die schnelle, offene und transparente Reaktion der chinesischen Seite nach Ausbruch der Pandemie gelobt haben. Interessant ist dabei, dass diese Initiative von Peter Daszak ausgegangen ist, der über Jahre hinweg eng mit den Forschern in Wuhan zusammengearbeitet und gemeinsam publiziert hat. Genau diese Gruppe von 27 Virologen hat formuliert, dass die These vom Labor-Unfall eine „Verschwörungstheorie“ sei. Wunderbar. Einer der Verantwortlichen spricht sich selbst frei. Auch Professor Drosten hat diese Erklärung mit unterzeichnet.
Klingt fast, als würden sich die Virologen gegenseitig decken?
Das Problem ist, dass im Falle des Nachweises eines Laborunfalls erheblich einschränkende Regulierungen von biotechnologischen Forschungsaktivitäten erwartet werden können. Viele Wissenschaftler fürchten wohl, dass die Katastrophe von Wuhan ähnlich drastische Konsequenzen für die Biotechnologie haben könnte wie im Falle der Kernkrafttechnologie nach dem Reaktorunglück von Fukushima. Aber angesichts der ungeheuren Gefährlichkeit der „gain-of-function“ Forschung geht es nicht ohne internationale Regulierungen und gegenseitige Aufsicht. Die Folgen des Unfalls in Wuhan sind zu ungeheuerlich: Millionen Tote, Schäden für die Wirtschaft in astronomischer Höhe und ein nicht zu beziffernder Schaden für das Wohlergehen jedes Einzelnen. Das kann die Weltgemeinschaft so nicht hinnehmen. Wir dürfen uns nicht noch einmal einer solchen Gefahr aussetzen.
Aber auch in den USA wurde die Debatte zeitweise unter den Teppich gekehrt.
Das war dadurch begründet, dass Donald Trump sehr frühzeitig mit dem Finger auf Wuhan gezeigt hat, aber die Begründung für die Verdächtigungen schuldig geblieben ist. Damals haben insbesondere amerikanische Intellektuelle davor gescheut, die extrem wichtige Frage nach dem Ursprung der Pandemie zu thematisieren, weil man den Rechten und Populisten keinen Auftrieb geben wollte. Aber nach dem Regierungswechsel in USA ist die Debatte über dieses Thema nun sehr breit und sehr offen. Es kam zu einem Meinungswechsel. Es ist nicht mehr verboten, darüber zu sprechen. Tatsächlich ist die berechtigte Frage nach dem Ursprung der Pandemie politisch weder „rechts“ noch „links“ anzusiedeln – es ist die natürlichste aller Fragen angesichts der derzeitigen weltweiten Tragödie.
In Deutschland wird das Narrativ oder Märchen aufgebaut, etwa von Fridays for Future und anderen Klimaaktivisten, dass die Zoonose eine Folge der Klimaerwärmung sei.
Sie haben die Antwort selbst gegeben. Das ist ein Märchen. Das Virus kommt nicht aus der Natur. Es kommt aus dem Labor.
China geht hart gegen die Laborbehauptung vor. In Deutschland wird sogar ein Kinderbuchverlag angegriffen, der geschrieben hat, das Virus käme aus China.
Das ist eine Schutzbehauptung, um die Verantwortung nicht übernehmen zu müssen.
Ihre Argumentation ist erschütternd. Denn wenn ich zusammenfasse, dann sagen Sie nicht weniger, als dass wir Opfer einer Art Frankenstein-Wissenschaft geworden sind.
Wahrhaftigkeit ist die Basis der Wissenschaft. Der sind wir verpflichtet, kompromisslos. Politik muss Mehrheiten hinter sich bringen und Kompromisse schließen. Das sind unterschiedliche Rollen. Gefährlich wird es, wenn Wissenschaftler politisch werden. Das ist in diesem Falle geschehen, etwa in der bereits angesprochenen Stellungnahme der 27 Virologen im März vergangenen Jahres, also zu einem Zeitpunkt, zu dem niemand einen Laborursprung auf wissenschaftlicher Basis ausschließen konnte.
Der Präsident der Universität hat sich in einer Videobotschaft hinter Sie gestellt und die Verantwortung der Wissenschaftler für ihr Tun angemahnt. Fühlen Sie sich bestätigt?
In der Tat sind wir als Wissenschaftler in vielfacher Weise gegenüber der Gesellschaft verpflichtet. Dies beschränkt sich nicht nur auf fachspezifisches Erarbeiten fundamental neuer Erkenntnisse, sondern muss auch die Einordnung des wissenschaftlichen Tuns und Handelns beinhalten, bis hin zur konkreten Übernahme von Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.
Vielen Dank für das Gespräch!