Spätestens ab heute sollten es sich TE-Leser angewöhnen, nicht länger auf Algorithmen zur Verbreitung von Nachrichten zu vertrauen, sondern stattdessen proaktiv Quellen wie TE selbst aufsuchen, da sie nur so sichergehen können, dass Brüssel nicht womöglich einen Artikel vor ihnen versteckt. So schreibt TE-Autor David Boos. Denn heute tritt der Digital Services Act der EU, das gefürchtete Zensurgesetz, in Kraft und verleiht damit zukünftig staatlichen und überstaatlichen Organen offiziellen Zugriff auf die Diskurshoheit im Internet Europas – ein Schritt von vielen in Richtung internetbasierter Dystopie.
Unternehmen, so heißt es von der EU, die sogenannte Hassrede und Desinformation nicht zufriedenstellend bekämpfen, müssen mit Strafzahlungen von bis zu 6 Prozent des Jahresumsatzes rechnen. Für Facebook mit einem Umsatz von 116 Milliarden US-Dollar würde das 7 Milliarden US-Dollar Strafzahlung bedeuten.
Von heute an müssen die großen Digital-Firmen wie der Facebook-Konzern Meta, Twitter und andere gegenüber der EU-Kommission „nachweisen, dass sie Schritte unternommen haben, um das Gesetz durchzusetzen“. Zuckerbergs Meta-Konzern soll dafür bereits die zusätzliche Einstellung von 1.000 Personen angekündigt haben. TikTok und Snapchat seien im Vergleich noch nicht so weit, so der derzeitige EU-Kommissar Breton. TikTok soll nächste Woche einem sogenannten EU-Stresstest unterzogen werden, den Twitter schon durchlaufen hat.
Das alles sieht das wohlmeinend formulierte EU-Gesetz über digitale Dienste (GdD) vor. Eine besonders unselige Rolle spielt dabei Breton. So wollte Breton dem Twitter-Chef Elon Musk drohen, der sich nicht dem sogenannten freiwilligen EU-Abkommen gegen die Verbreitung von Falschinformationen anschließen wollte. Breton schrieb auf Twitter auf Elon Musk gemünzt: »Du kannst weglaufen, aber du kannst dich nicht verstecken.« Das sei ein Satz, der die autokratische Fratze der EU schön offenlege, so hieß es von Nutzern auf Twitter. Musk scheint immerhin die Zensur transparent zu machen – sehr zum Ärger der EU.
Breton sagte in einem Interview mit dem französischen Nachrichtensender France Info, die EU-Kommission könne den Zugang zu sozialen Netzwerken wie TikTok, Twitter, Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat auf der Grundlage dieses neuen Zensurgesetzes vollständig sperren lassen. Dies könne dann der Fall sein, wenn die Betreiber nicht gegen rechtswidrige Inhalte bei sozialen Unruhen vorgingen – und was rechtswidrig ist, bestimmt im Zweifel die EU.
»Wir hätten Teams, die sofort eingreifen könnten«, fuhr der Franzose fort. »Wenn die Verantwortlichen nicht sofort handelten, könnten wir nicht nur eine Geldstrafe verhängen, sondern auch den Betrieb der Plattformen auf unserem Territorium verbieten.« Die Kommission werde prinzipiell eine zentrale Aufsicht führen, um einen sogenannten Durchsetzungsstau in einzelnen Ländern zu verhindern.
Breton war früher Chef des IT-Konzerns Atos und führt jetzt die EU ins technologische Hintertreffen. Als er von Atos wegging, habe sich das große Unternehmen als fragiles Kartenhaus entpuppt, so schrieb die französische Zeitung Le Monde. Eine Finanzfachzeitschrift formulierte: »Durch eine Vielzahl von Übernahmen verschleierte er die unterdurchschnittliche operative Leistung des Konzerns, dass interne Innovationsdefizit und den Niedergang traditioneller Geschäftsbereiche wie Outsourcing.«
Breton versucht, wie in einer Planwirtschaft mit Steuergeldern Industriepolitik zu machen. So will er vorgeben, welche Chips eine neue Chipindustrie in der EU produzieren soll – unabhängig davon, ob die in der von der EU vorgegebenen Technologie auch überall benötigt werden. Denn die sind unterschiedlich.
So gefiel sich Breton auch darin, zu warnen, eigene Ladestecker für Handys anzubieten. Er setzte mit der EU-Kommission durch, dass ab Ende des nächsten Jahres alle Handys einheitliche Ladegeräte nach dem sogenannten USB C Standard haben müssen. Damit wird Fortschritt behindert. Während künftig fortgeschrittene Industrieländer nächste technisch bessere Standards nutzen, wird innerhalb der EU immer noch der USB-C Standard genutzt werden müssen. Der allerdings dann völlig veraltet sein wird.
Die technologische Musik wird weiterhin in den USA und Südkorea spielen – während die EU weiter ins Hintertreffen gerät. Breton spielt dabei eine entscheidende Rolle.