„Die haben ja noch nie schwarze Zahlen geschrieben“. Gerade wurde ich wieder mit dieser Aussage über ein paar Internetbuden konfrontiert. Es war der Manager eines deutschen Versandhändlers, und natürlich hat er über diese neue Konkurrenz da aus Berlin schwadroniert. Aber ist das ein Argument gegen das Internet oder nicht doch eher eine Aussage über den begrenzten Horizont? Was immer im Internet passiert – es beginnt rot und bleibt lange rot.
Die Frage ist:
Wie bewertet man Internet-Unternehmen? Darf man sie anders bewerten als herkömmliche? Viele erinnern sich noch an die Phantastilliarden der New Economy, die in einem Blutbad für Anleger endete. Nun sind Übertreibungen Wesensmerkmal jeder neuen Technologieentwicklung: Wer Pferdegespanne für solidere Investments hielt als Eisenbahnen, hat verloren; viele Investoren, die Geld in Eisenbahnaktien steckten, aber auch: Im hektischen Auf- und Ab von Boom und Bust, werden Vermögen ebenso schnell geschaffen wie vernichtet.
Wer trotzdem am Spiel teilhaben will, sollte daher einige Besonderheiten der Internet-Ökonomie verstehen. Dabei muß man nicht so weit gehen wie Jeremy Rifkin. Er löscht mit seinem neuesten Bestseller gerade die Erinnerung an seine Bestseller aus, deren Vorhersagen nicht eingetreten sind. Seine Überlegungen über „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ beinhalten aber für einige Unternehmen doch viel Wahres: Die Kosten für jedes neue Produkt oder Dienstleistung sinken, und mit einer großen Anzahl von Produkten sogar ziemlich nahe gen Null. Man braucht also eine riesige Stückzahl; damit sinken die Kosten – und Cents je Kunden reichen dann aus, um Milliarden zu verdienen. Das Beispiel sind Facebook und Twitter: Hat man erst einen riesigen, globalen Markt mit hunderten von Millionen Teilnehmern, und hat man erst die Computerprogramme und Rechenzentren, dann kann jeder zusätzliche Kunde praktisch für umsonst bedient werden – einige Cents an Werbeerlösen mal viele Millionen Kunden, sind dann der gigantische Gewinn in der Null-Grenzkosten-Wirtschaft. Bis zu diesem geheimnisvollen Punkt allerdings sind auch gigantische Investitionen nötig.
Und ohne geht es nicht. Denn es sind auch Netzwerk-Unternehmen. Das tückische an einem Netzwerk ist, dass es erst ökonomisch funktioniert, wenn es ausgelastet ist. Das gilt sowohl für den Paketdienst von DHL, wie für virtuelle Dienstleistungen: Mit Milliardenaufwendungen muß sichergestellt werden, dass jedes Paket in Kürze an jeden Ort gelangen kann. Ist es nur ein Paket, werden Milliarden verbrannt. Das mußte beispielsweise die Deutsche Post in ihrer US-Expansion erleben, die 7 Milliarden Euro vernichtet hat. Sind es viele Pakete, wird viel verdient.
Ähnlich ist es bei virtuellen Netzwerken: Ist keiner dabei, steht das Netz für Einsamkeit. Sind alle meine Freunde dabei, wird es für mich wertvoll, mich einzuklinken. Solche Netzwerke können nicht schrittweise aufgebaut werden, sich nicht schrittweise erweitern – sie brauchen sofort eine Mindestgröße. Und die zu erreichen erfordert Investitionen und langen Atem. Wer also kritisiert, dass Internet-Unternehmen nur rote Zahlen schreiben, vergisst: Vor dem Verdienen steht das Investieren.
Damit steigen die Risiken. Denn sollten die Konkurrenten schneller und erfolgreicher beim Aufbau sein, ist das langsamere Netzwerk das der Dummen. Es gilt der Spruch: „The winner takes it all“.
Eine neue, globale Konsumgesellschaft ist entstanden. Noch nie war es so einfach, zum Konkurrenten zu wechseln, dafür braucht es nur ein paar Klicks auf der Tastatur. Deshalb gewinnt der Anbieter, mit dem protzigeren, vielversprechenderem Auftritt, global und in Blitzkriegsmanier. Und die neue Kundschaft ist verwöhnt – sie wartet nicht. Der virtuellen Bestellung folgt die blitzschnelle Belieferung. Hinter den Netzwerken des Internethandels steht eine extrem leistungsfähige Logistik und Abwicklung, die den gemütlich gewachsenen deutschen Versandhandel auch von der Leistungsseite her aufgerollt hat.
Deutsche sind dabei selten auf der Gewinnerseite. Sie lieben konservative Geschäftsmodelle, die aus sich heraus wachsen; Konsumentenorientierung ist oft noch immer ein Fremdwort. Oft fehlt der Mut zu neuen, disruptiven Modellen und der Wahn, die Weltherrschaft anzustreben. Ganz egal ob Facebook, Google oder Amazon – deren Gründer wollen die Weltherrschaft in den jeweiligen Märkten. „Think Big“ ist aber nicht nur ein moralischer Defekt, sondern Erfolgsvoraussetzung.
In der Internetwelt frißt der große Schnelle den langsamen Kleinen. Kaum jemand wollte beim kleinen, begrenzten „StudiVerZeichnis“ eines deutschen Unternehmens mitmachen, nachdem Facebook eine globale Gemeinschaft anbot. Viele deutsche Unternehmen starten regional und verkaufen, sobald ein größerer US-Konkurrent respektabel Millionen anbietet. Marc Zuckerberg verzichtete dagegen in legendärer Trotzigkeit auf hunderte von Millionen, um Milliarden zu gewinnen – und Aktionäre, die im folgten, wurden reich. Nicht nur eine mentale Hürde ist dabei zu überwinden – auch eine ganz kapitale. Die des Geldes. Der US-Kapitalmarkt ist bereit und willig, Milliarden in winzige Startups zu investieren und auf deren globalen Durchbruch zu hoffen. Der Taxi-Dienst Uber ist eines der jüngeren Beispiele: Goldman-Sachs steckt eine riesige Summe in ein Vorhaben, das dann auf kleinstädtische deutsche Taxigenossenschaften trifft. Der deutsche Kapitalmarkt ist dafür nicht tief genug; und viele Entscheider lassen sich von tiefroten Bilanzen abschrecken, statt für die Vision der Gründer Geld auszugeben. Mit kleinkrämerischer, notorisch klammer Sparkassenmentalität lassen sich globale Netzwerkunternehmen aber nicht finanzieren.
Gehört die Welt also den neuen Netzwerkunternehmen? Sicherlich zu einem großen Teil. Sie sind aber auch gefährdet – der neue Konsument ist nicht nur anspruchsvoll, sondern auch launisch. Treue und Kundenbindung sind keine Werte mehr; der Konkurrent ist nur einen Klick weit entfernt und schreit vor Glück, auch bei einem neuen Anbieter. Das macht diese Netzwerke angreifbar, anfällig für neue Konkurrenten, Moden und Marotten. Aber auch für die gilt dann: Think Big! Schrecke nicht vor roten Zahlen zurück.
Allerdings muß schon die Aussicht bestehen, auch mal dauerhaft in die schwarzen Zahlen zu gelangen. Der globale Marktanteil muß sich letztlich auszahlen, und immer neue Ideen alleine werden nicht honoriert. Das erfährt Amazon-Gründer Jeff Bezog gerade: Mit immer neuen Ideen außerhalb seines Kerngeschäfts, mit Twitch und Firephone und Kindle hat er sich verzettelt, nach einer Phase geringer, aber wenigstens vorhandener Gewinne ist er in rote Zahlen gerutscht. Die Folge sind 15 Milliarden Wertverlust an der Börse an einem einzigen Tag – das Vertrauen der Geldgeber kann man auch verspielen.
Allerdings: Davor steht eine ungeheure Wachstumsstory. Und die Story seines Versandhandel-Erfolgs wurde bereitwillig finanziert.
Fazit: Ich fürchte, im Versandhandel werden die, die heute noch schwarze Zahlen schreiben, früher oder später blutrot. Und andersherum.